Voriges Kapitel
Inhaltsverzeichnis
Nächstes Kapitel
******** ********
79. Der fliegende Holländer
"Was hat sie erzählt?" Edwin will es ganz genau wissen. Ich erzähle es ihm. Und er stellt mir ganz genau dieselben Fragen wie Doktor Morton.
Wir sitzen auf dem Achterdeck. Es ist der 20. Februar 1999, später Morgen. Unsere Position ist 3 Kilometer östlich der Coracora-Insel, und wir liegen ortsfest. Es ist Samstag, und es ist beschlossen worden, das Wochenende nicht mit allzuviel Arbeit zu verderben.
Es sind tiefhängende Wolken aufgekommen, es ist noch dunkler als üblich, und ab und zu regnet es. Nebel liegt auf dem Wasser, gerade soviel, daß die Coracora-Insel im Westen manchmal verschwindet, und die anderen Inseln, die weiter weg sind, meistens. Die kühlen Springbrunnen der CHARMION schaffen es gerade eben, mit dem Regenwasser zusammen eine Wassermischung zu erzeugen, die gerade eben kühlend wirkt - wenn man sich nicht gleichzeitig körperlich anstrengt. Interessanterweise ist der Regen etwas kühler als das Seewasser - bloß 34 Grad. Daß ist schon ein ganz wesentlicher Unterschied, wenn man sonst keinerlei Kühlungsmöglichkeiten haben sollte.
Ob Carola deshalb solange überlebt hat? Sie war mit den Haien weit weg, in einer Gegend, wo es zufällig etwas kühler war! Ganz auszuschließen ist es nicht. Und nur wenige Grad weniger können viel ausmachen, wenn die Außentemperatur so nahe an der normalen Körpertemperatur eines Menschen liegt oder diese sogar noch übersteigt.
"Diese Sache mit den gehäuteten Menschen, die sie an Masten von irgendwelchen Schiffen gesehen haben will - ob da was dran ist?" fragt Edwin, "Wie kann sie die überhaupt gesehen haben? Sie ist doch kurzsichtig!"
"Ich weiß es nicht." sage ich, "Meiner Meinung nach kann man mit vier Dioptrien keine Einzelheiten auf einem Schiff erkennen, wenn man die ganze Zeit im Wasser schwimmen und sich an einer Rückenflosse eines Hais festhalten muß."
"Vielleicht war sie ja gar nicht die ganze Zeit im Wasser?"
"Auch möglich. Aber wenn es in dieser Gegend einen Saurierfänger der Granitbeißerinnen geben sollte - oder ein anderes Schiff - dann ist es merkwürdig, daß es uns noch nicht begegnet ist. - Und wenn Carola an Bord eines solchen war - Warum hat sie es dann wieder verlassen? Oder warum hat man sie wieder vom Schiff runtergelassen? Und warum hat sie sich wieder einen Hai ausgesucht, um sich über Wasser zu halten?"
"Das kannst du nicht wissen, ob sie sich 'wieder' einen Hai ausgesucht hat!"
"Stimmt. - Denkfehler."
"Also Phantasien?" schlägt Edwin vor.
"Nimm eine Sammellinse von vier Dioptrien und sieh dir die Welt dadurch an! Dann weißt du, was sie gesehen haben kann! - Sie ist sich dieser Schwäche durchaus bewußt. Vor sechs Tagen zum Beispiel hatte sie Angst, das Boot aus den Augen zu verlieren, wenn sie nur ein bißchen rauschwimmt!"
"Jaja." sagt Edwin, "Wir haben es gesehen."
"Werde ich den Rest meines Lebens alle meine Damenbekanntschaften, die ich hier an Bord hatte, aufs Butterbrot geschmiert bekommen?"
"Du wirst doch ein Buch darüber schreiben! Und da wirst du doch wohl ausführlich ..."
"Pflicht des Chronisten!"
"Wenn sie mal heiratet - schenkst du ihr dann ein Exemplar zur Hochzeit?"
"Die heiratet nicht! Und ein Exemplar wird sie dann schon haben. Und es ist nicht im mindesten ehrenrührig, was in diesem Buch drin stehen wird."
"Das kannst du so sehen."
"Wie soll man das sonst sehen?" Irgendwie habe ich das Gefühl, Edwin ist dabei, mein Schreiben zu kritisieren. Ich wechsele das Thema: "Vielleicht ist die Carola nicht mehr so stark kurzsichtig wie früher und hat deshalb tatsächlich etwas sehen können!"
"Wieso denn?"
"Wegen des hohen Druckes hier. Könnte die Augengeometrie verändern. Wir müssen es untersuchen, wenn sie wieder gesund ist."
"Wenn das so wäre - warum hat sie es nicht früher gemerkt? Und müßten wir dann nicht alle weitsichtig sein?"
"Vielleicht. - Weitsichtigkeit kann man kompensieren. Besser jedenfalls als Kurzsichtigkeit. Und vielleicht merken wir es nicht, wenn wir alle weitsichtig werden: Im Boot ist es immer heller als hier draußen. Hier draußen sind wir durch die Dämmerung nicht im Vollbesitz unserer üblichen Sehstärke, und drinnen wegen der druckbedingten Weitsichtigkeit. Wir haben uns alle dran gewöhnt. Vielleicht. Wir werden es noch genau nachmessen. - Aber es gibt noch eine Möglichkeit, wie Carola tatsächlich etwas gesehen haben kann, trotz ihrer Kurzsichtigkeit!"
"Nämlich?"
"Abblenden. Wie ein Fotoapparat. Jeder Kurzsichtige sollte diese Maßnahme für den Notfall kennen."
"Wie geht denn das?"
"Durch ein kleines Loch hindurchsehen. Nähnadel in Pappe stechen. Provisorisch kann man auch mit Daumen und Zeigefinger ein kleines Loch machen und hindurchsehen. So!" Ich zeige es ihm.
"Genial!"
"Naheliegend eher. Aber vielleicht hat sie das auch nicht gemacht. Erstens weiß ich nicht, ob sie diesen Trick kennt, und zweitens wird das gesehene Bild dann dunkler. Noch dunkler, als es hier sowieso schon ist. Es bringt also eigentlich kaum etwas."
"Wir werden sie selber fragen, wenn wir wieder mit ihr reden können."
"Wenn sie sich dann noch erinnert."
Einen Moment bricht wieder Schweigen zwischen uns aus. Das liegt vielleicht daran, daß jemand durch das Luk heraufkommt. Es ist Gabi. Sie trägt einen knappen Bikini und hat offenbar die Absicht, zu schwimmen. Dazu steigt sie über das vordere Deck ins Wasser, um uns nicht über den Weg zu laufen.
"Ist sie nicht auch kurzsichtig?" fragt Edwin. "Manchmal läuft sie doch auch mit einer Brille rum!"
"Wenig." sage ich, "Wir werden sie schon nicht retten müssen. Außerdem wird sie nicht weit rausschwimmen - das ist sogar ihr zu warm! - Wetten?"
Dann schweigen wir wieder, als ob es zwischen uns eine stillschweigende Übereinkunft gäbe, das, was Gabi angestellt hat, nicht zu erwähnen. Dann tut Edwin es aber doch:
"Solange sie da rumschwimmt, können wir wenigstens sicher sein, daß das Boot nicht plötzlich taucht!"
"Nicht unbedingt," sage ich, "Wer weiß, was für logische Bomben sie noch im System gepflanzt hat! Und wer weiß, welche Programmierfehler ihr dabei noch unterlaufen sind."
"Dann kann sie sich einen Hai suchen!"
"Und wir auch! - Nebenbei: Hast du unsere Biologen zu dem Thema etwas sagen hören? Ich habe von Delphinen gehört, daß sie manchmal in Not gekommenen Menschen helfen sollen, aber niemals von Haien."
"Sie haben eben noch ein weiteres Stück auf der Evolutionsleiter erklommen." schlägt Edwin vor.
"Und warum haben sie das bei uns oben nicht getan? - Haie sind uralt. Prähistorische Kampf- und Freßmaschinen. Es gab keinen Grund für eine Auslese, die ihnen ein Sozialverhalten beigebracht hätte. Und hier? Warum sollten sie es hier gelernt haben? Diese Haie sahen nicht gerade wehrlos aus, also warum mußte ihnen die Evolution eine Modifikation ihrer Verhaltensmuster beibringen?"
"Weiß ich nicht. - Vielleicht, weil sie doch eine ganze Menge Feinde haben? Fischsaurier, diesen Riesenrochen, den wir gesehen haben, was weiß ich - vielleicht sind es gar keine Haie. Vielleicht hat die Evolution eine andere Fischart in die Form der Haie hineinmodifiziert, weil es die zweckmäßigste Form für Raubfische ist. - Vielleicht waren es mal ganz nette Elefanten! - Oder Eichhörnchen."
Das finde ich komisch: "Du streckst das Evolutionsprinzip aber ganz schön weit! - Wiedereroberung der Weltmeere!"
"Warum nicht?" fragt Edwin, "Es ist eine andere Art von Weltmeer als bei uns oben! Praktisch kein Salzgehalt. Vielleicht ist der Weg vom Landtier zu einem Bewohner dieses Süßwasserozeans kürzer als von einem Bewohner eines Salzwasserozeans zu einem Bewohner eines Süßwasserozeans?"
"Ich werde Seltsam fragen," sage ich, "Vielleicht hat er da schon eine Idee."
"Dann hat Reinhardt schon eine andere."
"Jedenfalls scheint dir der Evolutionsgedanke irgendwie schon sehr vertraut!" sage ich.
"Man hat hier ja viel Zeit, darüber nachzudenken."
"Ob der Pater das auch tut?"
Gabi ist tatsächlich hinausgeschwommen, etwa in Richtung Nordwesten oder Norden, und jetzt wird der Regen gerade um soviel dichter, daß wir sie nicht mehr sehen. Kurz bevor wir sie aus den Augen verloren haben, hat sie nach Osten abgedreht.
"Sehr gefährlich, was sie da macht!" sage ich.
"Sie hat es gemerkt und Kurs auf uns genommen. Sie muß gleich wieder auftauchen. Wenn sie nicht im Kreise schwimmt."
"Sie hat Kurs auf uns genommen? - Sah mir nicht so aus."
"Doch doch. - Sie hört uns auch reden."
"Dann wird es jetzt aber für sie unangenehm, wenn wir uns nichts mehr zu sagen haben!"
Wir starren weiter in den Nebel hinaus, aber weder meine noch Edwin's Vermutung über Gabi's Kurs lassen sich verifizieren. Nichts deutet darauf hin, daß hinter dieser Regenwand ein Mensch schwimmt.
"Hast du dich mit deiner Frau mal über die Evolution gestritten?" frage ich, "Wenn ich mich richtig erinnere, dann ist sie doch studierte Theologin!"
"Es gibt so viele andere Dinge, über die man sich streiten kann ..." weicht Edwin aus.
"Ja? - Erzähl!"
Gabi taucht immer noch nicht aus dem Nebelregen auf, und Edwin erzählt nichts über seine familiären Streitigkeiten. Also wieder anderes Thema.
"Auf jeden Fall trage wir in der Elektrolytzusammensetzung unserer Körperflüssigkeiten immer noch das Echo des Salzgehaltes des Urozeans in uns," sage ich, "und das gilt natürlich auch für die Meeresbewohner. Der Weg zu einem Leben im Süßwasser ist weit."
"Aber wir haben oben auch Süßwasserfische. Soweit, daß die Evolution das nicht schafft, kann dieser Weg also nicht sein!" stellt Edwin fest.
"Stimmt auch wieder. - Wo bleibt sie denn? - In dieser Brühe kann man doch nicht solange schwimmen!"
'Brühe' ist natürlich übertrieben - wie wir wissen, ist dieses Wasser sehr sauber und könnte fast mit nicht mehr Vorkehrungen als ein paar Sieben in unsere Wasserleitungen gepumpt werden. Aber warmes Wasser ist in unserer Erfahrungswelt eben nicht klar und sauber: Urin, tropische Gewässer, laugenhaltige Waschwässer, Kühlwässer, Heizwässer.
Der Regen wird immer dichter, aber auch ungleichmäßiger. In kurzen Abständen kann man zwischen den Regenschleiern wieder weit sehen, aber man kann nie genau vorhersagen, wann und in welcher Richtung das der Fall sein wird. Gabi müßte jetzt nordöstlich von uns sein - ungefähr. In der Welthöhle kann man das ja nie genau abschätzen, und bei diesem Wetter erst recht nicht. Aber wir wissen, daß die Coracora-Insel im Westen ist, und daß der Bug der CHARMION genau dahin zeigt. Da die CHARMION keine Tendenz hat, sich von selbst zu drehen, können wir davon ausgehen, daß das immer noch so ist, ohne in der Zentrale rückfragen zu müssen.
Nun haben wir wieder solch eine Lücke zwischen den Regenschleiern im Norden - dort, wo wir Gabi das letzte mal gesehen haben. Jetzt sehen wir sie aber nicht - erst, als die Regenlücke langsam nach Osten abwandert, taucht ein Punkt auf dem Wasser auf.
"Schon passiert!" sage ich, "sie verliert die Richtung! - Idiotisch, soweit rauszuschwimmen." Und dann stehe ich auf, um zu rufen: "Heh, Gabi, hierher! Hier sind wir!"
Sie scheint zu reagieren. Bevor wir dessen sicher sein können, ist die Regenlücke noch weiter nach Osten abgewandert. Der Blick wird weiter, aber Gabi ist nicht mehr zu sehen. Sie müßte ihre Richtung wenigstens ein paar Dutzend Meter halten, damit wir sie und sie uns trotz des Regens sehen können. Ich bleibe stehen, damit sie es leichter hat.
Die Peer-Elderman-Insel, die etwa 5 bis 6 Kilometer nordöstlich von uns liegt, kommt in Sicht. Schottische Verhältnisse, denke ich: In der einen Richtung sieht man kaum hundert Meter weit, und zwanzig Winkelgrade daneben sind es viele Kilometer. Wir müssen mitten in einem dichteren Regengebiet sein.
"Jetzt kann ich sie überhaupt nicht mehr sehen!" sagt Edwin, "Von ihr aus müßte sie nach links abgewichen sein, oder?"
"Ungefähr," sage ich, "aber in der Lücke wird sie nicht auftauchen - die wandert schneller, als sie schwimmen kann."
Trotzdem sehe ich die ferne Insel genauer an. Sie liegt in einer merkwürdigen, helleren Beleuchtung, aber das liegt vielleicht nur daran, daß es bei uns jetzt unüblich dunkel ist. Wie eine Verheißung, diese Insel - bloß wegen der geringfügig stärkeren Beleuchtung. Mit was für marginalen Einflüßen man einen optischen Eindruck emotional färben kann! Trotzdem genieße ich es. Ich habe es schon früher mal erlebt, daß irgendwelche Landschaftsmerkmale zwischen Regenlücken und in einer plötzlichen, zufälligen Beleuchtungskombination ganz eigen aussahen. Manchmal nur für Sekunden. Damals wie jetzt habe ich plötzlich gedacht: Merk dir das, Herwig! Diesen Anblick. Eine Verheißung, eine Illusion. Mehr gibt's im Leben nicht. Genieße den Augenblick, wo du wenigstens die Illusion oder vielleicht das Tranzendente zu ahnen glaubst. Vielleicht wird einmal nicht mehr das der Fall sein. Vielleicht wirst du irgendwann vergessen haben, daß es so etwas wie eine Verheißung einmal gegeben hat.
Man soll nicht undankbar sein. Schon bei den Reisen, die ich vor langer Zeit ganz allein durch ein fremdes Land unternommen habe, dachte ich: Etwas dem großen Abenteuer ähnlicheres wird es nicht geben. Wievielmehr müßte ich das jetzt denken. Oder auch auf der Reise vor zwei Jahren. Dieses Boot. Die Welthöhle. Eine geheimnisvolle Insel, die noch nie ein Mensch betreten hat. Du selbst noch am Leben und gesund. Was willst du mehr?
Natürlich will ich mehr: Das Schicksal hätte ein paarmal weniger heftig zuschlagen können. Der Preis für das große Abenteuer war zu hoch. Charmion. Irene. Und diese Insel da hat auch schon den Namen eines Sterblichen.
Und da sehe ich das Schiff.
"Jetzt sehe ich sie." sagt Edwin, "Sie uns auch. Sie hält Kurs."
Das Schiff liegt vor der Peer-Elderman-Insel, Bug nach Westen, und es macht kaum Fahrt. Es ist ein großes Schiff. Der Regen schiebt sich dazwischen, aber ich erkenne trotz der großen Entfernung noch die Aufbauten: Masten, Masthäuser, Deckshäuser, die Segel, den langen Bugspriet. Dieses Schiff muß mindestens so groß sein wie der Saurierfänger, auf dem ich seinerzeit zuerst gefahren bin. Masthöhe hundert Meter. Sonst wäre es mir auch gar nicht aufgefallen.
Ich kann nicht erkennen, ob es sich bewegt hat. Dazu war der Blickkontakt zu kurz.
"Siehst du sie?" fragt Edwin, "Laß doch noch einmal deine Stimme erschallen!"
"Ein Schiff!" sage ich.
"Was? - Wo denn?"
"Da! - Vor der Insel!"
Es ist zu spät. Edwin glaubt mir nicht. Er hat überhaupt nichts gesehen. "Was für ein Schiff?" fragt er.
"Sorg dafür, daß die Gabi reinkommt!" sage ich und sprinte los. Sekunden später nur bin ich in der Zentrale, nehme kaum die angenehme Kühle des Schiffsinnern wahr: "Haben Sie das Schiff geortet?" frage ich.
Wellington sieht zur Seite, wo Rolf Sydekum sich sofort an eine der Konsolen setzt. "Ein Schiff? - Wo soll denn das denn sein?" fragt dieser.
"Vor der Peer-Elderman-Insel. Kurs wahrscheinlich ungefähr nach Westen." Ich erzähle nacheinander alle Einzelheiten, die ich noch weiß. "Es war ein so kurzer Augenblick!" sage ich zum Schluß.
"Mmh." sagt Sydekum, "Vor der Insel?"
"Ja."
"Kriegen wir kaum Signale. Bewegen tut sich überall etwas, in Landnähe."
"Wollen wir nicht hinterherfahren?" frage ich.
"Und warum sollten wir das tun?" fragt Wellington.
"Um zu sehen, ob es wirklich eins war!"
"Ich denke, Sie sind sich sicher!"
"Ja, natürlich bin ich das! Aber ich habe kaum Einzelheiten gesehen! Wollen wir die nicht feststellen?"
"Wir werden noch früh genug Gelegenheit dazu haben," sagt Wellington, "Im Moment, bei den Sichtbedingungen, wüßten wir ja nicht einmal, in welche Richtung wir fahren müßten." Er setzt sich auch vor eine Konsole, um seinen Eintrag ins Logbuch zu machen. Ich wüßte gerne, ob er schreibt: 'Homberg hat ein Schiff gesehen', oder 'Homberg glaubt, ein Schiff gesehen zu haben'.
"Nichts definitives," sagt Sydekum, "Aber soweit weg, an der Wasseroberfläche, das kriegen wir weder akustisch noch mit Radar hin."
Wieder einer der Momente, wo man sich klarmachen muß, was die CHARMION gekostet hat. Aber vielleicht bin ich ungerecht: Was wäre gewesen, wenn sich auf einer der APOLLO-Missionen hinter einem Felsen plötzlich kleine, grüne Männchen gezeigt und den Astronauten lange Nasen gemacht hätten? Um derartigen Dingen nachzugehen, waren die APOLLO-Astronauten genausowenig gerüstet wie wir.
Aber zum Teufel, denke ich mir, das kann man ja eigentlich gar nicht vergleichen. Niemand erwartet ernsthaft kleine, grüne Männchen auf dem Mond. Mit den Schiffen in der Welthöhle ist das etwas anderes.
"Gab es etwas, was den Beobachtungen der Frau Rau entsprach?" fragt Amerlingen.
"Auf die Entfernung kann man überhaupt keine Menschen erkennen, weder lebende noch tote." antworte ich.
Auf dem Weg nach oben kommen mir unter den Einstiegsluken Gabi und Edwin entgegen.
"Ihr könnt weiterschwimmen," sage ich, "Wir fahren nicht hinterher."
"Warum denn nicht?"
"Weil Wochenende ist. - Denke ich."
Weil das Boot weiter an Ort und Stelle liegenbleibt, steigen Edwin und ich wieder nach oben. Wir setzen uns wieder auf unseren Platz auf dem Achterdeck und beobachten - doch der Regen wird stärker und gleichmäßiger. Wir können nicht einmal mehr die viel näher liegende Coracora-Insel sehen.
"Wenn du wirklich ein Schiff gesehen hast - das kann uns jetzt über den Haufen fahren!" meint Edwin.
"Ich habe wirklich ein Schiff gesehen. Und aus geringer Entfernung werden wir es ja wohl orten können. Wir sind von der Oberfläche weg, bevor sie hier sind."
"Warum eigentlich?"
"Sagte ich doch: Es ist Wochenende. Zeit für die Mannschaft, sich in der Kantine gegenseitig anzuöden. Außerdem will der Alte ein paar klarere Worte von Carola hören. Montag ist dann entschieden, was wir weiter machen werden."
"Was glaubst du, was wir weiter machen werden?"
"Tja. Wenn ich das wüßte." Eigentlich brauche ich mir nur zu überlegen, was ich tun würde. "Die Coracora-Insel ist soweit inspiziert, wie man das ohne Landgang machen kann. Und Landgang ist da zu schwierig. Wenn wir das wollen, müssen wir woanders hin. Die Peer-Elderman-Insel ist jetzt etwas interessanter geworden - es sei denn, keiner glaubt mir. Die Säulengabelinsel ist irgendwo in Gegenrichtung, ungefähr im Süden oder Südwesten, noch ein ganzes Stück weit weg. Die wäre interessant, um rauszukriegen, was aus den Sachinor geworden ist."
"Und Grom?"
"Wissen wir nicht genau, wo das liegt."
"Und Casabones?"
"Was wollen wir da?"
"Naja, vielleicht willst du es wieder sehen!"
"Will ich nicht. Und außerdem geht kein Weg mehr hinauf, wie du nach der Lektüre meines Buches wissen müßtest!"
"Doch. Da war von einem alternativen Weg die Rede."
"Den habe ich nie selbst gesehen."
"Mmh. Also werden wir ziellos kreuzen?"
"Nein nein, das kann man nicht sagen. Kartographieren werden wir, und das normale Forschungsprogramm wird weitergeführt. Wir werden schon über genug interessante Dinge stolpern. Sei froh, daß es im Moment keine Hektik gibt! Sei froh, daß wir auf Deck sitzen und uns kühl beregnen lassen dürfen! Denk daran, was die EG dafür bezahlt hat, für jede Sekunde hier! - Auch für jede Sekunde Nichtstun."
"Ich bin froh!" sagt Edwin, "Ich könnte den ganzen Tag hier sitzen bleiben!"
Jemand kommt aus der Luke nach oben. Es ist Amerlingen. "Hallo!" sagt er, "Da seid ihr ja!"
"Ja?" frage ich, "Werden wir vermißt?"
"Das nicht. Aber wir haben im Norden jetzt doch ein Echo. Wir sehen uns das einmal aus der Nähe an."
"Heißt das Einsteigen?"
"Das heißt es. - Bitte keine Hektik, aber in 30 Sekunden tauchen wir!"
Copyright © Josella Simone Playton
2000-09-15 14:00:00
Zurück zu meiner Hauptseite