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71. Des Meeres und der Liebe Wellen

Kurz vor 20 Uhr - nach dem Abendessen - kommt Carola wieder zu mir: "Ich probiers doch noch mal!"

"Was?"

"Schwimmen! - Die Wassertemperatur ist auf 36 Grad gefallen. Luft sogar 35 Grad. - Kannst du mitkommen?"

"Ja. - Warum?"

"Ich geh ohne Brille. Außerdem dürfen wir ja nicht alleine raus, und im Moment ist gar niemand draußen."

"Laufen die Springbrunnen noch?"

"Ja. - Kenn dich doch, sonst würde ich dich doch nicht bitten, mitzukommen! - Ich gehe mich nur noch rasch umziehen."

Nachdem ich die Zentrale informiert habe, daß wir rauswollen, ziehe ich auch wieder meine Badehose an. Chapman, der Wache hat, sagt mir, daß im Umkreis von drei Kilometern kein Fisch ist, dessen Länge 10 Zentimeter übersteigt. Wenn was ist, werden sie uns rechtzeitig alarmieren.

Auf dem Weg zum zentralen Niedergang kommt mir Natalie entgegen. Sie sieht so durch mich hindurch, daß es das reinste Wunder ist, daß wir nicht zusammenstoßen.

Wenig später ist Carola auch da. Kaum, daß wir oben sind, legt sie schon wieder ihren Bikini-Oberteil ab. "Ich wollte im Boot nicht so rumlaufen!" erklärt sie, "Hälst du's mal?"

"Was?" frage ich, "dies Stoffteil, oder ..."

"Phhh ..." macht sie.

Wir gehen zum Bug, der immer noch auf die Insel im Westen ausgerichtet ist. Carola beginnt, über die Kollisionsschienen nach rechts hinunterzusteigen. Schon hat sie einen Fuß im Wasser.

"Merkt man, daß es ein Grad weniger ist?" frage ich.

"Kaum. Komm doch mit!"

"Das überlege ich mir gerade."

Wenig später hängen wir beide steuerbordseitig, noch vor den äußeren Tauchtanks, den Wärmeaustauschern und den Vortriebsmaschinen, seitlich am Bug und halten uns an einer der Kollisionsschienen fest. Aus dieser Perspektive, Kinn nur wenige Zentimeter über dem Wasserspiegel, sieht die Welthöhlenlandschaft noch bedrohlicher aus als sonst, obwohl ich nicht sagen kann, woran das liegt. Hinter der Insel im Westen, noch einige Säulen weiter, dehnen sich unter den Wolken düstere Öffnungen aus. Das müssen Randtäler der Welthöhle sein - dort kann sich die Leuchtende Wolkendecke nicht überall ungestört entwickeln, oder in entlegeneren Lagen dieser Täler, die ja eigentlich Seitenhöhlen sind, auch gar nicht.

Im Norden scheint sich die Säulenwaldsee endlos zu dehnen, aber da sind auch dunklere Gebiete - entweder, dort hängt die Decke der Welthöhle gebietsweise so tief, daß sich dort auch keine Leuchtende Wolkendecke entwickeln kann, oder es handelt sich um einen Wettervorgang, der die Aktivität der Leuchtenden Wolkendecke stört.

Unter den Leuchtenden Wolken gibt es zur Zeit kaum Wolken, die die Sicht behindern.

"Wie eine Badewanne, so heiß. Lange halte ich das nicht aus!" sagt Carola, "Wo hast du mein Top hingetan?"

"Oben, auf die Gräting! - Das weht nicht weg."

"Gut." Sie sagt eine Zeitlang nichts. Dann stößt sie sich ab, paddelt ein paar Meter vom Boot weg, ohne richtige Schwimmbewegungen zu machen, und hängt sich dann wieder neben mich an die Kollisionsschienen. Kleine Wellen laufen weg und sind noch Dutzende von Metern weiter draußen zu identifizieren, so schwach ist der Wellengang. Jeder Tropfen, der von dem Sprühregen der Schiffsspringbrunnen seinen Weg bis auf unser Gesicht hier findet, ist eine reine Wohltat.

"Erinnert mich an das Schwimmenlernen - vor zehntausend Jahren, in einem Schwimmbad in Lerbach!" sage ich, "Nur ja nicht zu weit vom Rand weg."

"Wo?"

"Lerbach. Kleiner Ort am Harz."

"Ach so."

"Ich habe noch an der Angel schwimmen gelernt!" erwähne ich, und in demselben Moment, wo ich das sage, kommt die Erinnerung wieder: An den rauhen, nassen Stoff des Haltegürtels der Angel und den ebenso rauhen Umgangston des Bademeisters. Schönfelder hat er geheißen, oder so ähnlich. Das Wasser war immer saukalt - bis an den allerwärmsten Tagen des Sommers - dann war es nur 'ziemlich' kalt. Und ich mochte das Schwimmenlernen überhaupt nicht. Wie lang das her ist - und wie stolz der Tag war, als ich selbst, mit einer sukzessive leergelassenen Schwimmweste, allmählich die ersten, richtig selbstständigen Schwimmbewegungen machte, ohne unterzugehen - ohne Angel und ohne Hilfe. Kleine Siege. Völlig vergessen. Millionen andere Kinder haben's genauso gemacht. Aber ich, denke ich, habe Schwimmen gelernt, um eines Tages im Ozean der Welthöhle zu schwimmen! - Gönn dir den Stolz. Ein bißchen nur.

Wie still dieses Meer ist. Wie lautlos die kleinen Wellen. Im Moment, denke ich, könnten wir fast alleine auf der Welt sein - nichts weißt darauf hin, daß sich in diesem Boot außer uns noch andere lebende Menschen aufhalten.

"Das hat dich wohl sehr verwirrt!" sagt Carola.

"Was?"

"Daß Natalie vielleicht doch nicht schwanger ist!"

"Es wäre schon eine Erleichterung." gebe ich zu.

"Für wen?"

"Für alle! - Für alle Beteiligten."

"Habt ihr damals - du weißt schon - über Verhütung gesprochen?"

"Unsere Sondervorstellung in der Zentrale? Nein. Ich glaube, ich darf mich da als der Verführte betrachten. Die Initiative ging eindeutig von ihr aus. - Auch, wenn du es vielleicht nicht glaubst, aber es war so."

"Naja, wir haben ja den Fummel gesehen, den sie anhatte."

"Es ging jedenfalls so schnell" fahre ich fort, "daß ich überhaupt nicht einen Gedanken in die Richtung hatte. Das hätte ich früher nie gedacht, daß das sogar mir passieren könnte: Eine Verführung, so schnell und so überwältigend, daß man gar nicht dazu kommt, über das Für und Wider nachzudenken!"

"Du Armer!"

"Ja, wirklich!"

"Und was war mit der Menschenfresserin? Mit Charmion?"

"Ach, das zählt irgendwie nicht. Ganz andere kulturelle Gepflogenheiten. Das war ja auch am Anfang eine echte Vergewaltigung. - Ja. So muß man es wohl sagen."

"So hast du's auch beschrieben. - Aber Spaß hat es trotzdem gemacht, nicht?"

"Bei Natalie oder bei Charmion? - Naja, natürlich. Ja. In beiden Fällen. Beide sind oder waren attraktive Frauen. In beiden Fällen hatte ich vorher eine längere Enthaltsamkeit hinter mir. Da kann man nicht vermeiden, daß es einem Spaß macht."

"Als Mann."

"Ich kann die andere Seite nicht beurteilen! - Ja, also, auf jeden Fall - es gab keinen Gedanken über Verhütung. Später mal, danach, ja. Aber dann habe ich gedacht, wenn man von einer zivilisierten Frau so verführt wird, dann wird die sich ja wohl irgendwie geschützt haben. Und Natalie ist Biologin - Unwissenheit in dieser Richtung kann man ihr doch wohl als allerletztes unterstellen. Nein, ich war ziemlich sicher, daß da nichts passiert war, nichts passiert sein konnte. Und dann plötzlich das."

Nach einer Weile setze ich noch hinzu: "Aber es ist natürlich schon ein Unterschied gewesen, zwischen Natalie und Charmion. Am Anfang konnte ich bei Charmion ja nicht sicher sein, daß sie sich plötzlich nicht doch mehr für meine Qualitäten als Proteinlieferant und Kaloriendepot interessiert als für meine Qualitäten als Liebhaber. - Es ist nicht ganz einfach, mit einer Menschenfresserin, weißt du. - Das ist bei Natalie natürlich nicht zu erwarten."

"Würdest du mit Natalie noch einmal schlafen?" fragt Carola mit einem fast lauernden Tonfall.

"Die Frage stellt sich im Moment nicht."

"Und wenn sie sich doch mal wieder stellt?"

"Ich weiß nicht. - Ich weiß es wirklich nicht."

Weil das Thema gerade dran ist, kann man es ja ebensogut weiter verfolgen. Carola wird mir schon widersprechen, wenn ich Unsinn rede. "In beiden Fällen war es nicht die große Liebe - bei Natalie schon gleich gar nicht. Die große Liebe gibt es in unserem Alter nicht mehr."

"Nein?"

"Nein. Sex und Situation. Gelegenheit. Überschwappen des Hormonspiegels. Bei Charmion kam noch die Fremdartigkeit der ganzen Situation hinzu. Aber diese Verzauberung etwa eines ganzen Stadtviertels, bloß, weil die Angebetete da wohnt, die hat es in früher Jugend mal gegeben. Jetzt nicht mehr. Weder bei Natalie noch bei Charmion."

"Und bei deiner Frau?" fragt Carola, "Von der redest du eigentlich überraschend wenig!"

"Oh, ja, das stimmt. Wirft das jetzt ein schlechtes Licht auf meinen Charakter? - Nein, bei der Irene war es auch nicht so. Ich war ja schon zarte 32, als ich sie kennenlernte. - Was die Häufigkeit der Erwähnung betrifft - Natalie ist hier an Bord, und Charmion war Bewohnerin der Welthöhle. Irene hat mit diesem Unternehmen weniger zu tun. Vielleicht liegt es daran, daß ich selten von ihr rede."

"Mmh." macht Carola. Zustimmung oder Widerspruch ist nicht zu erkennen. Sie läßt ihre Beine auftreiben, bis diese die Wasseroberfläche erreichen. Dann trampelt sie das Wasser, so daß es hoch aufspritzt.

"Du hast Ödeme in den Beinen!" sage ich.

"Komplimente machen kannst du nicht."

"Das war eine klinische Feststellung! Eine einfache Diagnose."

"Ich kann nichts dafür, daß meine Beine nicht so niedlich sind wie die von Natalie."

"Nun sei doch nicht gleich eingeschnappt! Erstens sind für mich bei einer Frau nicht die Beine das Interessanteste - Beine habe ich selber - sondern das, was dazwischen liegt, und zweitens kann man etwas gegen diese Ödeme tun!"

"Jetzt kommst du wieder mit dem Laufsport."

"Tja, wenn du's schon weißt."

"Schwimmen ist auch gut."

"Aber nicht, wenn man so faul am Boot hängt wie wir jetzt! - Wollen wir eine Strecke rausschwimmen?"

"Ne." sagt Carola, "Da habe ich wirklich Angst, daß mein Kreislauf versagt. Zu heiß. Ich schwitze jetzt schon."

"Merkt man im Wasser nicht!"

"Und der Sprühregen kommt nicht viel weiter raus. - Nein, ich mag nicht. - So ist es doch ganz schön. - Außerdem könnte es sein, daß ich das Boot nicht mehr sehe, wenn ich zu weit hinausschwimme."

"Wenn du meinst." sage ich. Ich schwimme ein paar Meter hinaus, bloß um zu zeigen, daß ich das kann. Aber Carola hat recht: Zu warm. "Ein Meer von Urin, frisch gepisst, kann nicht wärmer sein!" sage ich.

"Du hast Vergleiche." sagt sie, als ich mich wieder neben ihr festhalte. Da hat sie recht: Im Moment vergleiche ich die Dichte von Wasser mit der Dichte von weiblichen Brustdrüsengewebe durch Betrachtung des Aufschwimmens von Carolas Busen. Keine genaue Meßmethode, denke ich - da müßte man sich etwas einfallen lassen. Die Physiologen nennen das eine 'unblutige Meßmethode', was ich suche. Grapschen, anheben und Schätzen, zum Beispiel. Unblutig, aber ungenau. Carola läßt nicht genau erkennen, ob es ihr unangenehm ist, wenn mein Blick ein paar Sekunden länger auf ihr liegt.

Carola's Busen erinnert mich wieder an Charmion. "Charmion war wie von einer anderen Welt - und dann wieder auch nicht. Sie sah gut aus - für eine Granitbeißerin sowieso, aber auch nach unseren Maßstäben, und sie war de facto aus einer anderen Welt. Aber manchmal passiert es mir jedenfalls, daß man ein Mädchen sieht, da denkt man: Die kennt man schon seit zehntausend Jahren. Als ob man mit ihr in grauer Vorzeit über die endlosen Steppen vor den Gletschern gewandert ist, als ob man mir ihr dem Nordwind widerstanden hat und dem mächtigen Mammut. Als ob man mit ihr Feuer und Lager geteilt hat. Und nachts haben wir nicht verstanden, was die Sterne sind."

"Deja-vu." sagt Carola.

"Ja sicher. Ich weiß das. Dieser Eindruck verfliegt im allgemeinen auch, sowie so eine Frau den Mund auftut. Von einer Sekunde zur anderen ist sie dann eine ganz gewöhnliche Zeitgenossin. - Schade eigentlich."

"Kommt das oft bei dir vor, dies deja-vu bei einer Frau?"

"Nein. Selten. Immer seltener. Je älter man wird. Das gilt für jede Art von deja-vu. - Das hat sicher eine eine nüchterne neurologische Erklärung, aber es ist, als ob man Erinnerungen aus einem früheren Leben allmählich vergißt. - Als Kind hat man noch viele davon gewußt."

Wir schweigen ein paar Minuten und hängen einfach nur an den Kollisionsschienen des Bootes. Ich verfolge die Punkte, die um die hervorragenden Küstenfelsen der Insel im Westen von uns kreisen. Keines dieser Tiere hat bis jetzt auf unsere Anwesenheit irgendwie reagiert. Aber von dort aus sind wir ja kaum zu sehen: Ein paar Quadratmeter grauer Stahl im Meer, wie ein unwichtiger Felsen, auf dem sich manchmal etwas bewegt. Wir sind nicht interessant genug - das Nahrungsangebot bei diesem Felsen muß besser und leichter erreichbar sein.

"Was würdest du denn machen, wenn ich jetzt ohnmächtig werden würde?" fragt Carola plötzlich.

"Oh. Schwierig. Ich bin kein Rettungsschwimmer. Dann halt dich lieber am Boot fest!"

"Und wenn ich hier ohnmächtig werde?"

"Das müßte gehen," sage ich und löse mich von meinem Griff, "Ich umklammere dich so, daß du nicht untergehst und rufe dann um Hilfe! - Alleine krieg ich dich nämlich nicht aus dem Wasser raus."

Bei diesen Worten habe ich ihr vorgeführt, was ich meine: Ich habe rechts und links von ihr die Kollisionsschienen ergriffen und drücke sie mit meinem Körper gegen das Boot. Dabei dreht sie sich, und wir schwimmen Front an Front aneinander im Wasser. Bauch an Bauch, Becken an Becken, Brust auf Brüste. Ich bin einen Moment lang irritiert.

"Also so würde ich um Hilfe rufen!" sage ich.

"Wenn man uns so im Wasser sieht, glaubt keiner, daß wir Hilfe nötig haben!" stellt Carola fest. Ich stelle fest, daß ich fünfzehn Jahre lang nicht gewußt habe, wie weich sich meine Kollegin anfühlt.

"Wie meinst du denn das?" frage ich.

Sie sieht mir in die Augen, und ich sehe ihr in die Augen: "Ich denke dabei zuviel. Das ist mein Problem." sagt sie.

"Wobei denkst du zuviel?"

"Bei dem, was ich jetzt gerne machen möchte."

"Aha." sage ich. Wahrscheinlich ist es taktisch günstig, jetzt nicht explizit zu fragen, was sie denn gerne machen möchte. Also halte ich den Mund.

Außerdem stelle ich fest, daß sie sich gar nicht gegen meine enge Umklammerung wehrt. Dabei dauert diese schon länger als unbedingt nötig.

"Ich laß dich nicht untergehen!" sage ich, in einem lahmen Versuch, die Situation doch noch ins Harmlose einer Erklärung über Rettungsschwimmen abgleiten zu lassen. Statt einer Antwort umschlingt sie unter Wasser meine Hüfte mit ihren Beinen. Das ist kaum noch uminterpretierbar.

Lange Sekunden vergehen, in denen keiner was sagt. Dafür rührt sich bei mir was, und das kann ihr kaum entgehen, so, wie wir uns jetzt umklammern.

"Was man nicht sieht, das existiert nicht!" sage ich in einem Versuch progressiver Verführungsphilosophie. Ihre Bewegungen scheinen nur das Ziel zu haben, unsere Badehosen runterzustreifen. Zum Teufel auch, denke ich, bei manchen Dingen muß man eben manuell eingreifen. Kaum, daß ich anfange, mir mit einer Hand die Badehose runterzuziehen, macht sie bei sich dasselbe. Wie auf ein Kommando fliegen dann beide Badehosen nach oben auf die Gräting. Dann umschlingt sie mich wieder.

"Jetzt könnte ich versehentlich reinrutschen!" sage ich, "Ich weiß nicht, ob dieses Wasser dazu ..."

"Halt doch den Mund." sagt sie, "Und mach es schon!"

Einen Moment lang überlege ich mir, daß wir vorhin über die rechtzeitige Erwähnung von Verhütungsmethoden gesprochen haben. Aber ob sie die Pille nimmt, hat sie nicht gesagt. Was schließt man daraus?

Das Eindringen ist schnell und für beide fast überraschend. Vielleicht liegt das am Wasser. Ich weiß nicht. Eine Welle von Wohlbefinden schwappt in meinem Bauch nach oben.

"15 Jahre habe ich darauf gewartet!" sage ich. Das stimmt nicht. Ich weiß es und sie weiß es. Aber im Moment ist es so, als ob es wahr wäre. Merkwürdige Spezies, dieser Homo Sapiens, denke ich - irgendwie spannend, dazuzugehören. Besser, als ein unbeteiligter Geist zu sein.

Es dauert an. Die Zeit der Bewegungen, Stöße, immer wieder, die Wärme ihres Bauches und des Wassers rundherum. Sie denkt zuviel dabei, hat sie gesagt. Das geht auch anderen so. Immerhin ist diese Kollegin von mir brilliante Gedankengänge gewöhnt und nicht gleichmäßiges Dauerrammeln.

"Daß einem so einfache Dinge soviel Spaß machen können!" sage ich, um überhaupt etwas zu sagen. "Halt den Mund und mach weiter!" sagt sie, "Guck dir die Landschaft an, wenn's dir langweilig wird!"

Dann kann es mit dem 'zuviel denken' ja gar nicht so schlimm sein. "Ich guck lieber dich an!" sage ich, aber auch nur aus rationaler Überlegung - ungefähr weiß ich, was Frauen hören wollen.

Und plötzlich denke ich: Die bleibt dir. Wir werden nicht zusammenziehen wollen, wir werden nicht heiraten wollen. All diese Konfliktstoffe, mit denen man sich das Leben so schwer machen kann - das wird es bei Carola nicht geben. Also steuern wir auf eine Zukunft kollegialer Zusammenarbeit mit dem notwendigen Abstand und gelegentlichen sexuellen Exzessen zu - ist das nicht fast ideal? Keine emotionalen Probleme. Keine Ehekräche. Keine verzehrenden Leidenschaften. Nur entspannender Sex. Ohne Denken.

"Das möchte ich jetzt alle 15 Jahre mit dir machen!" sage ich. Witze kommen bei ihr aber im Moment nicht an.

Jetzt hat sie ihren Kopf auf meine Schulter gelegt und die Augen geschlossen. Soll ich jetzt aufpassen, daß sie mit dem Kopf nicht unter Wasser gerät? Ich habe doch schon zu tun! Und ich tue es, bis sie etwas zu stöhnen anfängt. An dieses Bad soll sie sich noch lange erinnern. Wir beide werden uns daran erinnern, denke ich.

"Mach schon - tiefer!" sagt sie. Das geht doch anatomisch gar nicht, was redet sie so? Noch ein paar solche Bemerkungen, und ich gehe wieder 'offline'. Sie merkt das nicht, was sie mit diesem Wort angerichtet hat, und gibt sich ganz den gemeinsamen, wellenartigen Bewegungen hin.

'Des Meeres und der Liebe Wellen.' Plötzlich kommt mir dieser Titel in den Sinn. Eine Fantasy-Geschichte, die ich irgendwann einmal gelesen habe:

Ein Junge verliebt sich in eine wunderschöne Nixe. Die Verbindung würde unerfüllt bleiben, wenn nicht der Vater Meeresgott ein Einsehen hätte und bei einer Verlobenszeremonie den Jungen in einen Nix verwandelte. Tatsächlich, es gelingt auch, weil dieser Meeresgott auch ein bißchen allmächtig ist, jedenfalls, was diese Dinge betrifft. Wie auf ein Zauberwort verfügt der Junge plötzlich über einen prächtigen, großflossigen Fischschwanz von der Taille an abwärts.

Die Hochzeitsnacht wird aber eine arge Enttäuschung. Die Nixe wird die Eier legen, und er soll drüberschwimmen und seinen Samen ablegen. So hat er sich das nicht vorgestellt, und im Kummer um die verlorengegangene Fähigkeit zur Sexualität möchte er sich ertränken.

Leider geht das auch nicht, weil er bei der Verwandlung auch Kiemen bekommen hat. Jemand, der Kiemen hat, kann nicht ertrinken.

Um das Maß vollzumachen, muß er auch noch erfahren, daß Nixen unsterblich sind.

Ich muß kurz lachen, als ich an diese Geschichte denke. Carola klammert sich fester an mich und murrt. "Schneller!" sagt sie. Tut mir leid, Kaninchenrammeln geht unter Wasser nicht. Zuviel Dämpfung. Ich überlege, ob ich ihr das erläutern soll, aber ihre immer heftiger werdenden Bewegungen lassen nicht vermuten, daß sie jetzt über Hydrodynamik diskutieren möchte. Ich spüre ihren Orgasmus in ihr aufsteigen, und ich möchte mitmachen, weil ...

Links von mir zischt und braust es auf. Über einen großen Teil der Länge des Bootes wird das Wasser weiß und fängt an, zu schäumen und zu spritzen. Was ist denn das? Ein Tier? Ist doch etwas ungesehen in die Nähe des Bootes gekommen? Die Zentrale sollte uns doch gewarnt haben! - Da höre ich von weitem die Alarm-Klaxone aus dem Boot. Dann begreife ich:

Es ist die CHARMION, die da angefangen hat, zu brüllen - sie entlüftet ihre Tauchtanks. Wir tauchen!


Copyright © Josella Simone Playton 2000-09-15 14:00:00



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