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70. Die Springbrunnen
Auch, wenn der Aufenthalt außerhalb des Bootes alles andere als ein Vergnügen ist, so gibt es doch draußen durchaus etwas Ernsthaftes zu tun. Das Boot muß von außen wenigstens etwas untersucht werden, wenn wir schon die Gelegenheit dazu haben. Und das bedingt unter anderem auch, sich schwer zugängliche Stellen ansehen zu müssen - die meisten davon unter Wasser.
Um das überhaupt machbar zu machen, müssen die, die das tun, gekühlt werden. Das aber ist vorgesehen, und es gibt sogar mehrere Möglichkeiten, das zu tun.
Unter Wasser braucht man sowieso einen Taucheranzug. Einen solchen kann man leicht mit einer Kühlung versehen. Um das zu erreichen, sind diese Taucheranzüge nicht nur mit Druckluftflaschen, wie das so üblich ist, ausgerüstet, sondern auch mit einer großen Batterie und einer Wärmepumpe. Wie man sich leicht anhand der thermodynamischen Grundlagen klarmachen kann, sind nur wenige Dutzend Watt notwendig, um einen Taucher in diesem warmen Wasser kühl zu halten. Das kann die mitgenommene Batterie über Stunden leisten, auch, wenn der Taucher sich anstrengen muß.
Über Wasser ist es einfacher: Das Boot kann große Mengen von Wasser für unbegrenzte Zeit kühlen, und die muß man einfach irgendwo ins Freie geben. Man braucht nur Öffnungen im oberen Teil des Druckkörpers, weil es selbstverständlich aus Sicherheitsgründen nicht möglich ist, durch die geöffnete Luke einen Schlauch ins Freie zu legen. Solche Öffnungen sind überall vorhanden, weil es ja möglich sein kann, daß die Öffnungen, die für bestimmte Zwecke vorgesehen sind, etwa, um die denaturierten organischen Abfälle oder die Salzsole, die von der Elektrolyse übrigbleibt, aus dem Boot herauszupumpen, oder die Regelzellen zu be- und entwässern, durch äußere Einflüsse verlegt worden sind. Dann muß man ausweichen können, und deshalb gibt es auch im oberen Teil des Druckkörpers solche Öffnungen.
Der Durchmesser dieser Bohrungen ist nie sehr groß und liegt, je nach Zweck, im Bereich von einigen Millimetern bis zu einem Zentimeter. Das heißt, daß man durch so eine Öffnung mit bescheidenem Druck ein paar Liter Wasser pro Sekunde auspressen kann. Wenn diese auf 15 Grad gekühlt worden sind, dann kann man mit dieser einfachen Vorrichtung den Aufenthalt auf dem Deck sogar ganz angenehm gestalten. Ausgenommen, man ist Brillenträger, wie Carola.
So um 11:30 sind die notwendigen Schaltungen erledigt, und wir können ein zweites Mal raus. Wir, das sind die, die wirklich draußen zu tun haben, wie die Schiffsingenieure, und die, die die Welthöhle mehr touristisch genießen wollen und dürfen. Irgendjemand kommt auf die Idee, daß man zur Abwechselung einmal draußen essen könnte, und diese Idee verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Gegen Mittag sitzen einige der nautische und fast alle wissenschaftlichen Besatzungsmitglieder auf Laufgitter und Kolisionsschienen, unter dem Sprühregen der vielen Springbrunnen, die die CHARMION ausspeit, und versuchen, eine sehr diffizile Optimierungsaufgabe zu lösen: Einerseits den eigenen Körper möglichst vollständig dem kühlenden Sprühregen auszusetzen, andererseits zu verhindern, daß das Mittagessen vollregnet.
Ich sitze zwischen Edwin und Carola, die sich auch wieder herausgetraut hat, in Bugnähe. Natalie, die auch herausgekommen ist, hat sich zum Heck verzogen.
"Kneift es jetzt nicht mehr?" frage ich mit vollem Mund und deute auf Carola's Bikinioberteil, den sie wieder angezogen hat.
"Doch. Aber ich bin nicht zu deiner persönlichen Unterhaltung mitgekommen!" maunzt sie zurück.
"Die Esther Petersen sitzt dahinten, und die ist 'oben-ohne'!"
"Die hat da ja auch nichts."
Ungewöhnliche Bemerkung für Carola, denke ich - ich stehe auf und werfe einen gezielten Blick. Dann setze ich mich wieder: "Stimmt. Du hast mehr!"
"Im alten Ada-Compiler-Projekt," mischt Edwin sich nun ein, "haben wir über viel sachlichere Themen geredet als jetzt."
"Haben wir das?" frage ich, "Ich erinnere mich aber an sehr unsachliche Themen. Wer zum Beispiel zum AT ernannt worden ist, oder zum Fachreferenten, und wo wieder umorganisiert wird. Was hatte das mit Compiler-Bau zu tun? Du kannst sicher sein, daß ich lieber über Carola's Brüste rede als über diese Firmen-Seilschaften!"
"Also wenn du meinst." sagt Carola und legt ihren Bikini-Oberteil ab.
"Wie dürfen wir das verstehen?" frage ich.
"Ich tue eben etwas für meine Kollegen. - Naja, und er kneift eben. Guck weg!"
"Ich guck nicht weg. Wir werden dafür bezahlt, während unseres Aufenthaltes hier die Augen offenzuhalten!"
"Nana," sagt Edwin, "das ist wohl etwas anders gemeint!"
"Ne, nicht unbedingt! Wenn Carola eine Granitbeißerin wäre, zum Beispiel, dann wären wir gehalten, sofort mit dem Zentimeterbandl ihre Oberweite zu messen!"
"Wenn sie eine Granitbeißerin wäre," sagt Edwin, "dann würde sie dir etwas husten, wenn du es nur versuchst, aber so, daß du nachher nicht mehr weißt, ob du Männchen oder Weibchen bist! - Jedenfalls hast du es so beschrieben."
"Nicht alle Granitbeißerinnen. Bei Charmion hätte ich schon mal nachmessen dürfen!"
"Wollen wir nicht wieder über AT Ernennungen reden? - Wäre mir angenehmer." schlägt Carola vor.
"Da haben wir nichts zu reden. Im Rahmen dieser Mission haben wir eine wohlumrissene Aufgabe, und was nachher kommt, also wenn du in den Diensten der EG bleibst, da können wir auch nichts reden, weil keiner von und etwas über die Hierarchie dieser Behörden weiß!"
"Stimmt." sage ich, "Dieses ganze Sozial-Engineering, das kennen wir gar nicht. Wir sind gewissermaßen Consultants! Beförderungschance Null. Jedenfalls während dieser Reise!"
"Verarmtes, akademisches Proletariat!" sagt Carola, "Mir kommen die Tränen!" Sie matscht in ihrem Essen rum, genau wie wir. Wir haben alle dasselbe Problem: Das Essen 'macht Wasser'. Bei Buchheim macht ein leckgeschlagenes U-Boot Wasser, bei uns das Mittagessen. Jedenfalls, solange wir hier unter den Springbrunnen sitzen.
"Wir müßten hier auf einem Stativ eine Höhensonne aufstellen - dann könnten wir uns sonnen!" sagt Carola.
"Ist es dir vielleicht noch nicht heiß genug hier?" frage ich.
"Naja, mit diesem Sprühregen natürlich."
"Eine Höhensonne mit Ozonloch?" fragt Edwin, "Jedem sein eigenes Melanom?"
"Ach, das kann man bei modernen Höhensonnen doch wegfiltern, oder?"
"Trotzdem, Carola" sage ich, "ob mit oder ohne Filter - außerhalb des Bootes dürfen wir das nicht."
"Warum?"
"Hast du nicht die Meßwerte gesehen, wie wenig natürliches UV-Licht hier vorhanden ist? Eine ganz normale Quecksilberdampf-Hochdruckentladung würde da hinten auf der Insel tausendmal mehr UV-Einstrahlung erzeugen als dort auf natürliche Weise ankommt. Das ist die Tier- und Pflanzenwelt hier nicht gewöhnt, und deshalb dürfen wir es nicht. Ganz einfach."
"Meinst du, daß auch Dickhäuter Schaden nehmen könnten?"
"So dick ist die Haut der Dickhäuter nicht - das suggeriert nur der Name. Von Elefanten glaube ich zu wissen, daß sie sogar eine recht empfindliche Haut haben - aber das muß nicht richtig sein. - Kann man das nicht ändern, Carola?"
"Was?"
"Dein Bikini-Oberteil. Wenn es doch kneift!"
"Schwer. Das ist nicht elastisch, und vorne ist nur ein einfacher Haken. Man muß irgendwie umnähen."
"Der Herwig hat Defizite - der versucht doch nur, einen Vorwand zu finden, dir am Busen rumzufummeln!" sagt Edwin.
"Wieso? Wenn er mir das umnäht - das darf er!"
"Ich bin kein Änderungsschneider!" stelle ich fest, "Ich habe nur eine technische Frage gestellt. Eine technische Frage unter Kollegen."
"Die nächste technische Frage, die er stellt, ist, ob du die Pille nimmst!"
"Edwin!" sage ich, "Noch ein Wort, und du bist der erste von uns, der in diesem Ozean ein Bad nimmt!"
"Apropos Pille," sagt Carola, "Da weiß ich was!"
"Was denn?"
"Vorhin war ich auf der Toilette. Jemand hatte vergessen, ein gebrauchtes Tampon wegzuwerfen. Ein frisch benutztes Tampon. Es lag neben der Schüssel."
"Na und?"
"Gerade vor mir war Natalie Yay auf derselben Toilette!"
"Ehrlich?"
"Wenn ich's doch sage!"
"Und das war ganz frisch? - Ich meine, frisch benutzt, die üblichen Blutspuren?"
"So war es."
Einen Moment lang haben wir leiser geredet, aber wie das so ist, wenn man etwas verbergen möchte, werden die anderen aufmerksam. Wir müssen das Thema vertagen.
Aber dann denke ich: Doktor Morton hat es doch gesagt. Sie kann sich nicht irren: Schwangerschaft ist doch entsetzlich einfach zu diagnostizieren. Also entweder ist das Tampon nicht von Natalie, oder sie hat Nasenbluten gehabt. Ich muß es wissen.
"Also, von dir ist es nicht?"
"Ich hatte meine Tage vor ein paar Tagen." sagt Carola.
"Ja. Stimmt. Das habe ich gemerkt."
"Wie darf ich das verstehen?"
"Ach nichts. - Ähem."
"Außerdem werfe ich gebrauchte Tampons nicht in die Gegend."
"Das habe ich auch nicht behauptet. Ich will nur wissen, ob tatsächlich Natalie ..."
"Geh doch hin und frag sie!" schlägt Edwin vor, "Dann weißt du es!"
"Wenn sie nicht zu mir kommt, gehe ich auch nicht zu ihr."
"Herrgott, ihr Männer!" Carola ist fast empört, "Ihr könnt überhaupt nicht über den eigenen Schatten springen!"
Wir sind fertig mit dem Essen - bis auf das, was der Sprühregen ins Meer gespült hat. Nacheinander stehen immer mehr Besatzungsmitglieder auf und gehen ins Boot zurück. Dafür tauchen Dauphin und Sydekum in Taucheranzügen aus der Luke auf und fangen an, seitlich vom Boot herunterzuklettern.
"Sie dürfen nur zu zweien!" sage ich, "Sicherheitsmaßnahme. Wir übrigens auch - auf dem Deck soll sich auch niemand alleine aufhalten. - Falls du noch schwimmen gehen willst, Carola!"
Sie will nicht. Außerdem sieht sie wegen ihrer nassen Brille kaum noch etwas. Also gehen wir wieder zurück ins Boot.
Dabei erfahren wir, daß die CHARMION noch den ganzen Tag hier liegen bleiben wird, und vielleicht morgen auch noch. Kommt drauf an, was bei der Außenbordinspektion noch gefunden werden wird.
Copyright © Josella Simone Playton
2000-09-15 14:00:00
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