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67. Vaterschaftsfeststellung

"Von ... ?"

"Weiß ich nicht. Dazu ist es noch so früh. Man könnte natürlich jederzeit eine genetische Analyse machen."

"Puh ..."

"Ich habe ja gesagt, sie werden gleich durcheinander sein!"

"Wie alt ist denn das, ich meine, in welchem Monat, oder anders ..."

"Zwischen Null und einem Monat. Sie vermißt gerade eine Regel. - Jedenfalls ist es hier an Bord passiert."

"Diese medizinische Tatsache dürften Sie mir gar nicht mitteilen." sage ich. Vergeblicher Versuch, das Thema zu wechseln.

"Richtig. Eigentlich darf ich das nicht. Nicht einem Außenstehenden. Aber Sie sind ja nicht direkt außenstehend, nicht?"

"Das ist nicht gesagt - da gibt es - ach du Scheiße."

Ich verlasse die Krankenstation mit Äußerungen in demselben Tonfall, den Natalie angewendet hat. Wahrscheinlich bilde ich mir den spöttischen Blick im Nacken von Doktor Morton nur ein.

Im vorderen Oberdeck lasse ich mich in meinen Sitz fallen und sehe den Bildschirm an, ohne ihn anzusehen.

"Scheiße." sage ich, "Große, heilige, verdammte, kochende, rote Scheiße!"

"Jetzt fängt der auch noch an. Versteht ihr das?" wundert Cohäuszchen sich. Dann begreift Ulrich Solzbach als erster. Er tut einen unartikulierten Schrei. Dann haut mir jemand auf die Schulter.

"Was ist denn hier los?" Carola kommt gerade ins Oberdeck hinauf. Sie hat bis jetzt geschlafen, wegen ihrer Nachtwache.

"Herwig wird Vater!" wird ihr mitgeteilt.

"Das ist noch gar nicht raus, ob ich das war!" versuche ich, klarzustellen. Damit habe ich natürlich diese Vermutung bezüglich des Problemes verifiziert. Und nun hört niemand mehr auf mich und eventuelle Einwände - Leugnen geht nicht mehr.

"Was? Herwig? Nie! - Mit wem eigentlich?"

Schnell werden Carola alle notwendigen Fakten mitgeteilt, die noch gar nicht feststehen. Bei all ihren Ansätzen von schlechter Laune in der letzten Zeit, jetzt scheint sie leidlich amüsiert. Sollte jeder Psychiater wissen: Schadenfeude ist eine gute Medizin gegen Depressionen.

"Wirklich Herwig?" fragt nun auch Edwin, "Das kann nicht sein. Ihr kennt doch seine Einstellung!"

"Wann ist es denn soweit?" fragt Cohäuszchen. Mir reichts. Ich stehe auf und gehe zum zentralen Niedergang.

Alfred Seltsam ist dabei, im hinteren Labor an einem Analysegerät Einstellungen vorzunehmen. Er sieht etwas überrascht auf, als ich eintrete: "Ist was passiert? Du siehst so unruhig aus!"

Außer ihm sind noch Eugen Serpinski und Esther Petersen anwesend. Ich frage Alfred: "Kannst du mal mit vor die Tür kommen? - Möglicherweise haben wir etwas zu bereden!"

Im oberen zentralen Niedergang, unter den Einstiegsluken, fragt Alfred, nachdem er die Tür hinter sich geschlossen hat, noch einmal: "Du machst es wirklich geheimnisvoll! Was ist denn? - Hat das Boot Junge bekommen?"

"Das Boot nicht." sage ich, "Natalie."

"Yuph." sagt Alfred.

"Das habe ich auch gesagt."

Alfred ist verwirrt. Das sagt genug - also hat er auch mit ihr geschlafen. Seine nächste Frage bestätigt das:

"Von wem?"

"Naja," sage ich, "erstmal müssen wir eingrenzen."

"Äh - ich habe ..."

"Ich mache übrigens keinerlei Vorwürfe!"

"Das habe ich nicht angenommen. - Ich übrigens auch nicht."

"Also wir zwei schon mal. Kommt noch jemand in Frage?"

Alfred schüttelt den Kopf. Dann fragt er: "Woher weißt du es denn?"

"Von Doktor Morton. Zufallsbefund!"

"Das ist aber komisch!"

"Was?"

"Warum weiß sie dann nicht, wer es war?"

"Sie meint, sie müßte erst eine genetische Untersuchung machen. Hat sie wohl noch nicht, entnehme ich daraus."

"Ich dachte, das wäre eine der einfachsten Übungen! Das kann man doch heute schon fast gleich nach der Zeugung!"

"Ich kenne mich damit nicht so aus." muß ich zugeben.

"Tja," sagt Alfred, bevor wir rumtheoretisieren, müßten wir das ja erst einmal wissen. - Es sind ja zwei völlig verschiedene Situationen!"

"Da hast du recht." sage ich, "Entschuldige, aber - ich würde gerne wollen, daß es nicht meins ist. Aber davon hängt es wohl nicht mehr ab."

"Ne. das tut's nicht. Gehen wir mal runter, zu unserer Tante Doktor?"

"Ich glaube, wenn sie einen Grund hatte, die Vaterschaft nicht sogleich festzustellen, dann hat sie das immer noch nicht getan. Die Untersuchung von Natalie ist doch schon vorbei."

"Braucht sie nicht unsere DNS oder sowas?"

"Hat sie. Im Moment wird jeder am Bord untersucht, einer nach dem anderen. Sie nimmt dabei Blutproben. Von jedem."

Alfred grinst: "Da könne man jetzt schön Verwirrung stiften, wenn man die Blutproben heimlich vertauscht! - Aber im Ernst - ich weiß im Moment nicht, wie ich mit Natalie - weiß sie es?"

"Ja, natürlich."

"Und?"

"Ich glaube, sie liegt in ihrer Kabine und heult. Oder sie ist nur eingeschnappt - ich weiß nicht. Mich jedenfalls wollte sie nicht sehen. - Aber wer der Vater ist, weiß sie ja auch noch nicht."

"Zum Henker." sagt Alfred.

"Hast du mal vorgehabt, eine Familie zu gründen?"

"Eigentlich nicht. - Und du?"

"Ich hatte eine Familie. Kinder hatten wir nicht."

"Ach ja. Entschuldige."

"Was rede ich - es hängt ja nicht von uns ab. Gerade wollte ich rumdozieren, daß ihr im Alter ja viel besser zusammenpaßt. Aber davon hängt es nicht ab. Überhaupt nicht."

"Warten wir vielleicht erst einmal ab. - Ich muß weitermachen. Übrigens danke."

"Wofür?" frage ich.

"Für die Information. - Himmel, wie soll ich jetzt Natalie gegenübertreten?"

"Wenn sie jetzt in die Kantine kommt, kannst du's gleich ausprobieren!"

"Ich glaube nicht, daß ich heute in die Kantine komme!"

"Wird schönes Gerede geben, wenn wir alle drei nicht auftauchen!"

"Ist mir egal." Alfred legt seine Hand an das Schott. "Das werden unruhige Tage."

"Nanana. Wenn das unsere einzigen Probleme wären ..."

An diesem Abend trau ich mich doch in die Kantine, fest darauf vertrauend, daß Natalie nicht aufkreuzt. Und wenigstens dieses eine Mal habe ich mit meiner Vorhersage recht. Außer dem intensiven Interesse meiner Kollegen ist der Vorfall praktisch wie nicht geschehen.

Das, was mir an diesem Abend nicht widerfährt, geschieht mir dafür am anderen Morgen. Es ist der 11. Februar, Donnerstag und unserer 29. Projekttag. Inzwischen haben wir erfahren, daß die Drucksteigerung langsamer vorgenommen wird als zunächst beabsichtigt, weil einige Besatzungsmitglieder über schmerzende Gelenke geklagt haben, kaum, daß der Druck 2 Bar deutlich überstiegen hatte. Es werden also noch zwei Tage bis zum Öffnen der Luken vergehen.

Natalie betritt die Kantine. Sie gibt sich, als ob nichts wäre. Unmittelbare Krise ist vorbei. Aber es setzt sofort eine akustische Pause ein, weil jeder, der sie sieht, sie ansieht und mitten im Satz aufhört, und die, die sie nicht gleich sehen, aufhören zu reden, weil die anderen aufhören.

Wie es der Zufall will, sitzt Carola mir gegenüber, und wir haben es an diesem Morgen tatsächlich geschafft, nicht über dieses Thema zu reden. Dafür schweigen wir jetzt darüber.

"Tja." sagt Cohäuszchen, und "Tja." Irgend etwas kommt jetzt. Ich weiß es - er will etwas sagen.

"Tja." sagt er noch einmal, "Wenn man sich so umguckt ..." und er macht eine Geste in Richtung des nächsten Bildschirmes mit Außenansichten, aber ein bißchem mehr könnte diese Geste doch noch umfassen, "wenn man sich so umguckt, dann ist man doch immer wieder erstaunt."

"Erstaunt worüber, Günther?" fragt Solzbach nach zwei Sekunden. Und weitere zwei Sekunden vergehen. Warum muß es ausgerechnet jetzt so still sein?

"Wie fruchtbar das hier ist!"

Das Gelächter schwappt wie eine Brandungswelle über uns zusammen. Natalie tut so, als ob überhaupt nichts wäre, und setzt sich neben Carola, mir schräg gegenüber. Sie sieht mich aber nicht an.

"Als das Lachen verebbt ist, und bevor der normale Gesprächspegel wieder einsetzt, hört man, wie Cohäuszchen schon wieder Luft holt, um noch etwas zu sagen. Und das allgemeine Gespräch setzt doch noch nicht ein.

"Uli, weißt du, wo da in der Küche die Salzgurken sind?" Wieder ein Heiterkeitsausbruch. Und Cohäuszchen fängt an, die Gabi Gohlmann zu fixieren. Jetzt muß die sich auch noch eine Bemerkung gefallen lassen.

Aber es kommt anders. Ganz anders. Carola spricht in die akustische Pause hinein, die die anderen eigentlich für die nächste Bemerkung von Cohäuszchen eingeräumt haben, und sie spricht laut und deutlich:

"ICH lasse es mir übrigens NICHT wegmachen."

'Wieso, wir haben doch gar nicht ...' will ich sagen, bremse mich aber. Warum sagt sie das? Nun stimmen alle Reaktionen nicht mehr. Natalie's Kopf fährt herum, und sie sieht Carola überrascht an. Cohäuszchen hält den Mund, weil ihm jetzt nichts mehr einfällt. Gabi fällt die Kinnlade herunter.

"Daß du's weißt." fährt Carola fort. Jetzt fixiert Natalie mich. Und dann wieder ihr Tablet. Und dann steht sie auf bringt ihr Tablet weg und geht. Und dann steht Carola auf und bringt ihr Tablet weg und geht. Und dann stehe ich auf und bringe mein Tablet weg.

Zahllose Augen in meine Richtung. Warum so viele, denke ich? 30 minus 2 mal 2 minus meine zwei eigenen sind doch höchstens 54 Augen, oder? Die können doch nicht jetzt gerade alle hier sein?

"Herwig, gibt es denn gar nichts anderes, was man in der Freizeit tun kann?" fragt Cohäuszchen.

"Wenn du was findest, sags mir bitte." sage ich und gehe in Richtung Kabinenzeile.

Sekunden später stehe ich in der Tür von Carola's Kabine. Sie hat sich auf ihre Koje gelegt und offenbar schon darauf gewartet, daß ich hereinschneie: "Was fällt dir denn ein, so eine Bemerkung zu machen?"

"Mir paßt das nicht, wie ihr mit der Natalie umgeht. Ich wollte mal sehen, was für Gesichter ihr macht!"

"Und warum gerade so? Ich stehe jetzt da wie jemand, der restlos der sexuellen Haltlosigkeit anheimgefallen ist!"

"Du kannst mir leidtun!"

"Und du stehst da wie ..."

"Ich kann's jederzeit widerrufen."

"Also kriegst du doch kein Kind!"

"Von dir nicht, das müßtest du wissen. Oder hast du die Übersicht verloren? Vielleicht solltest du Buch führen! Über die Frauen an Bord, mit denen du noch nicht geschlafen hast, das ist vielleicht einfacher!"

"Das geht dich überhaupt nichts an!"

"Was du mit der Natalie machen wirst, das geht mich schon etwas an. Ich kenne dich lang genug. Du wirst sie zur Abtreibung überreden wollen!"

"Also, zunächst einmal, es ist noch gar nicht raus, ob ich der Vater bin!"

"Wieso? Der Seltsam etwa? Der hat doch nicht!"

"Der hat doch!"

"Woher willst du das wissen?"

"Von ihm selbst."

"Und? Selbst wenn? Es müßte doch schon feststehen, wer ..."

"Nein, das steht noch nicht fest."

"Na gut. Das wird aber schnell feststellbar sein."

"Ja, und dann? Was mischst du dich denn da ein?"

"Weil ich nicht will, daß Natalie gegen ihren Willen abtreibt!"

"Und wenn es nicht gegen ihren Willen ist?"

"Woher willst du das wissen? Hat sie das gesagt?"

"Ich habe mit ihr noch überhaupt nicht darüber gesprochen!"

"Da sieht man es wieder mal! Mit ihr, mit der Hauptbeteiligten, sprichst du gar nicht! Statt dessen kommst du hier rein und fängst an zu streiten! - Typisch Mann."

"Ich fange nicht an zu streiten. Du hast angefangen! Mit dieser blöden Bemerkung!"

"Ich habe nur ..." Carola sieht plötzlich hinter mich. Ich stehe immer noch in der Tür und habe diese nicht geschlossen. Als ich mich umdrehe, steht Natalie hinter mir. Wie lange hat sie schon zugehört?

"Du bekommst keine Probleme damit. Das verspreche ich dir!" sagt sie. Dann geht sie in ihre Kabine und macht die Tür hinter sich zu.

"Habe ich schon einmal 'Arschloch' zu dir gesagt?" frage ich, als ich mich wieder zu Carola umdrehe.

"Sag's ruhig. Ist dein Niveau!"

Ich verlasse ihre Kabine ohne weitere Worte.

Alfred Seltsam war an diesem Morgen noch nicht frühstücken und deshalb nicht Zeuge dieser Szene. Aber weder er noch ich ist jetzt eine Schlüsselfigur. Ich würde am liebsten Doktor Morton sofort zur Feststellung der Vaterschaft bewegen. Aber die benutzt die Tage unserer erzwungenen Inaktivität während der Drucksteigerung zum Ausschlafen.

Eine hervorragende Idee, denke ich. Solange wir uns nicht vom Fleck bewegen, kann man sich ebensogut etwas langmachen. Und die Außenaufnahmen kann ich mir auch in meiner Kabine auf den Bildschirm holen. Von jeder Kamera. - Aber den Vaterschaftstest, der ist wichtig. Den müssen wir so bald wie möglich machen.


Copyright © Josella Simone Playton 2000-09-15 14:00:00



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