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61. Krankenbesuch
Peer Elderman ist nicht bei Bewußtsein, aber er wird nicht künstlich beatmet. Die einzigen Zeichen der Intensivpflege sind einige Kanülen, mit denen er 'verdrahtet' worden ist. Doktor Morton räumt einen Schrank um, und Natalie hilft ihr dabei. Allgemeines Ordnung-Schaffen, wahrscheinlich, weil in der Eile sehr viel medizinisches Material umgeräumt wurde.
"Wie geht's ihm?" frage ich, "Doch kein Pneumothorax?"
"Doch, aber das habe ich schon längst im Griff. Nachdem die Rippenfrakturen mit Osteosynthese stabilisiert worden sind, konnte der Rest relativ leicht behandelt werden. Die Lunge war glücklicherweise nicht punktiert." Doktor Morton setzt sich auf eine freie Liege. Sie sieht müde aus. Kein Wunder, denke ich - sie muß sehr schnell gearbeitet haben, mit zuerst zwei und dann einem so schwer verletzten Patienten. Natalie fährt fort, in den Schränken zu räumen und achtet gar nicht auf uns.
"Ich habe etwas von Herztrauma gehört?"
"Ja. Auch da hat er Glück gehabt. Keine Ruptur, keine ausgerissenen Klappen. Sonst wäre die Prognose sehr schlecht. Nur Hämatome. Vorübergehende Reizleitungsstörungen, die zu Tachycardien geführt haben."
"Und wie ist die Prognose jetzt?"
"Er sollte sich schonen. Kein Streß. Absolute Ruhe. Mildes Klima. Dann kommt er nicht nur durch, sondern er wird sogar wieder ganz gesund."
Bei diesen Worten fällt mir eine Szene aus dem Film 'Briefe eines Toten' ein: Der alte Professor, der irgendwo in Rußland den Atomkrieg überlebt hat, fragt einen der noch übriggebliebenen Ärzte, den er in einem der noch existierenden Bunker getroffen hat, wozu er ihm raten würde. Und der antwortet: 'Zu Bergluft. - Und zu absoluter Ruhe!'
"Mildes Klima!" sage ich, "Wie soll das gehen? Die Welthöhle ist die Hölle, klimamäßig!"
"Er kann selbstverständlich nicht von Bord. Auf Monate hinaus nicht! - Es würde ihn umbringen."
"Das wird schwierig. Auf jeden Fall wird der Druck im Boot erhöht werden müssen. Wie sieht es damit aus?"
"In den nächsten vier Wochen nicht."
"Haben Sie das Wellington erzählt?"
"Ja."
"Und was hat er gesagt?"
"Was schon? Er ist sofort mit der naheliegenden Idee gekommen - allmähliche Druckanhebung und so weiter. Ich bin dagegen."
"Abgesehen vom Druck kann er doch jede Luftzusammensetzung bekommen, die er braucht, oder?"
"Das ist nicht so sehr das Problem," sagt sie, "jede Änderung, gleich welchen Parameters, führt sofort zu einer Änderung von Dutzenden anderen Werten, und das auf ganz unvorhersehbare Weise. Druckerhöhung heißt Erhöhung der Partialdrucke. Welchen Partialdruck erhöhen wir um wieviel?"
"Also ist es die Änderung des Druckes, die ihn schädigen könnte, und nicht die Druckerhöhung an sich?"
"Vielleicht kann man das so sagen. Stark vereinfacht. Aber solange er mein Patient ist, bin ich gegen jede Druckerhöhung!"
"Mmh." sage ich. Ich trete dicht an die Liege heran: "Ist er bewußtlos, oder schläft er?"
"Er schläft. Wenn er wach ist, ist er ansprechbar."
"Dann will ich ihn nicht wecken." sage ich und wende mich zum Gehen. Peer Elderman's Augenlider flattern. Er scheint mich anzublinzeln. Also ist er doch wach, oder er wacht gerade auf. Ich beuge mich über ihn.
"Wir sind drin, ja?" flüstert er mit Anstrengung. Doktor Morton runzelt die Stirn. "Drin in der Welthöhle, ja?"
"Ja." sage ich, "Wir sind drin."
"Es war so ..." Er scheint wieder einzuschlafen. Frau Morton flüstert: "Er weiß noch nicht alles über unsere Schwierigkeiten."
"Wir haben doch keine Schwierigkeiten!" sage ich, "Das kann er ruhig wissen!"
"Nicht zuviele Einzelheiten! Da müßten Sie zulange reden, und er müßte zulange zuhören. Deshalb."
"Ach so." sage ich und wende mich wieder Peer zu. Der hat die Augen wieder offen:
"Großartige Fahrt ... Ich war so stolz ... wollte unbedingt die Saurier sehen ... Schon als Kind ... Und nun das hier."
"Aber nein," sage ich, "Sie sind verletzt. Aber Sie werden wieder gesund. Ich sehe das, ich verstehe etwas davon!"
"Haben Sie schon Saurier gesehen?"
"Einen. Mehr eine Art Riesenrochen." antworte ich wahrheitsgemäß.
"Wirklich! Wie groß?"
"Größer als das Schiff! - Aber keine Sorge - er konnte dem Boot nichts tun. Jetzt schlafen Sie erst einmal! Wenn es Ihnen besser geht, können Sie sich die Aufzeichnungen ansehen!"
"Größer als das Schiff! - Die möchte ich sehen. - Und alle anderen Tiere."
"Das werden Sie," sage ich, "wie wir alle."
Er schließt die Augen wieder. Ich erinnere mich, daß er etwa 22 Jahre alt sein muß. Die Begeisterung für Abenteuer und Urwelttiere hat er sich offenbar bewahrt. Sogar jetzt noch, wo er als einer der ersten bereits von diesem Abenteuer empfindlich getroffen wurde. Und immer noch die Neugier - ich könnte ihn fast beneiden.
"Jetzt ist aber genug." sagt Doktor Morton, "Er sollte die meiste Zeit schlafen."
"Tut er schon wieder. Sie sollten das auch tun, Frau Morton. Sie sehen müde aus!"
"Das werde ich in dieser Nacht. Frau Yay wird die Krankenwache übernehmen."
"Wir haben eine reguläre Wache! Ich bis Mitternacht, und dann wahrscheinlich Frau Rau!"
"Nein nein. Sie wissen nicht, was zu tun ist. Diese und die nächste Nacht braucht er noch eine eigene Pflegerin."
Ich verlasse die Krankenstation wieder.
Copyright © Josella Simone Playton
2000-09-15 14:00:00
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