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59. Suchkurs

Als das Boot sich um 11:30 Uhr dieses Tages, des 9. Februars wieder in Bewegung setzt, stellt sich in der Tat heraus, daß es die ganze bisherige Fahrt unbeschadet überstanden hat. Die Manöverbewegungen sind so präzise wie eh und je. Europäische Präzisionsarbeit! Man könnte stolz sein. So ab und zu muß man sich eben klarmachen, daß in der CHARMION mehr Gehirnschmalz und mehr Geld steckt als im Mondprojekt der NASA vor 30 Jahren.

Zunächst steigen wir senkrecht nach oben, um die Höhlendecke zu inspizieren. Dabei präzisiert sich das Ortungsbild der Umgebung. Es handelt sich um ein gewaltiges Gewölbe, das wesentlich weiter als hoch ist, und schon die Höhe ist mit 500 Metern eindrucksvoll genug. In verschiedenen horizontalen Richtungen gibt es echofreie Gebiete. Dort werden wir als nächstes nachforschen.

Auch, als die Höhlendecke in Sicht kommt, kann unser Geologe keine definitiven Aussagen treffen. Für uns Laien sieht sowieso jeder Felsen gleich aus, und Gerald findet nichts auffälliges. Trotzdem wäre die Aussage, ob diese Höhlendecke zum Kippberg gehört oder nicht, ja interessant gewesen.

Dann sinkt die CHARMION wieder und nimmt Kurs auf das erste echofreie Gebiet in Ostrichtung. Im Verlaufe dieser nächsten paar Dutzend Minuten kommt man tatsächlich zu der Ansicht, daß die Felsen über uns zu einer nicht fest mit dem Untergrund verbunden Formation gehören - die Wände des Gewölbes treffen seinen Grund immer in spitzem Winkel, so, als seien diese großen Beulen aus Fels in den Untergrund hineingedrückt worden.

Dann gibt es aber auch immer wieder Spalten und Klüfte, die der Vorstellung eines einzigen großen, monolithischen Blockes über unseren Köpfen widersprechen. Wir können uns aber nicht mit Einzeluntersuchungen aufhalten.

Das Gewölbe wird sehr flach - 70 Meter hoch und 240 Meter weit. Wir sind gezwungen, einige Umwege zu fahren - die Geometrie dieser Gewölbe stellt sich als unübersichtlich heraus. Als wir einem Nordkurs folgen, bricht der Boden plötzlich ab. Die Tiefenlotungen ergeben kein Signal mehr. Da die Höhlendecke sich nicht senkt, so daß wir nicht zu größerer Tauchtiefe gezwungen sind, halten wir diesen Kurs bei. Die Struktur der Höhlendecke über unseren Köpfen wird komplizierter und unübersichtlicher.

"Um einen beweglichen Berg herum" sagt Gerald, "würde ich eine ganze Menge Lücken erwarten, durch die man aufsteigen kann. Aber wir haben noch nichts dergleichen gefunden. - Es muß doch so sein, oder?"

"Nicht unbedingt," sage ich, "Wenn dieser Berg immer wieder präzise in dieselbe Position zurückfällt, kann das ja daran liegen, daß er rundherum keinerlei Spielraum hat!"

"Tja. - Vielleicht." sagt Gerald. Er scheint mir irgendwie betrübt ob der vielen ungelösten Fragen. Aber vielleicht irre ich mich.

Dann greift Gerald wieder in die Tasten: "Ich schalte die akustischen Außensignale herein, ja?" Niemand widerspricht. Gerald dreht die Verstärkung soweit auf, daß ein Rauschen an der Grenze der Hörbarkeit erscheint.

"Ist das nun Verstärkerrauschen, oder ist das echt?" frage ich.

"Vorhin war es echt. Aber hier sind wir offenbar in einer akustischen Totzone. Kann sein, daß das Rauschen unter das Verstärkerrauschen gesunken ist. - Kann man da nicht etwas machen? Herwig, du bist doch Physiker! Ich habe mal gehört, daß es Geräte gibt, mit denen man ein Signal 'aus einem Meer von Rauschen' herausholen kann. Wie macht man das?"

"Das gibt es - das hilft uns aber nichts. Das geht nämlich nur, wenn man schon eine ganze Menge über das zu empfangende Signal weiß. Einfachster Fall: Das Signal ist nur in einem bestimmten Frequenzbereich zu erwarten. Dann blendet man eben alle anderen Frequenzbereiche aus. Damit wird man dann auch nicht von dem Rauschen aus diesen anderen Frequenzbereichen gestört. So einfach ist das. Wenn man aber überhaupt nichts über das Signal weiß, dann bleibt einem ja nichts anderes übrig, als das gesamte verfügbare Frequenzband abzulauschen. Und dann hört man eben auch das gesamte Rauschen, das in diesem Frequenzbereich erzeugt wird. - Willst du auf Tierlaute hinaus?"

"Auch. Aber das Rauschen von vorhin - Wellenrauschen. Das interessiert mich."

"Rauschen aus Rauschen herausfiltern? Tut mir leid. Physikalisch unmöglich."

"Habe ich mir fast schon gedacht. Und Tierlaute?"

"Schon eher. Die meisten akustischen Äußerungen von Tieren beschränken sich auf ein paar wohldefinierte Frequenzen. Allerdings pflegen die sich in der Tonhöhe zu ändern. Wenn man die Verstärkerempfindlichkeit gerade auf diese Frequenzen einschränkt, dann kann man allerdings solche Lautäußerungen nachweisen, die noch unter dem thermischen Rauschen liegen. Aber auch hier gilt wieder: Man muß vorher wissen, wie die Lautäußerungen aussehen, die man erwartet."

"Vielleicht haben wir ja auch anders Glück, Herwig!" schlägt Edwin vor, "Sieh dir doch diese unübersichtliche Topographie da draußen an! Das sieht doch aus wie eine Hügellandschaft. So etwas ist doch ein wunderschönes Habitat für Jagdtiere! - Vielleicht haben wir Begegnungen aus der Nähe."

Bevor ich mich drüber wundern kann, woher Edwin diese Terminologie so genau kennt, kommt mir Doktor Reinhardt zuvor: "Nein, Herr Daum! Da irren Sie sich. Wir sind tiefer als 3000 Meter. In dieser Tiefe werden sie keine großen Raubtiere finden, gleich welcher Gattung. Das ist völlig unmöglich, und zwar ..."

Die Begründung, die Reinhardt geben will, erfahren wir nicht. Ein kräftiger Rülpser schwappt in tiefem Baß aus den Lautsprechern und geht in ein langgezogenes Knurren über. Weil Gerald die Verstärkung soweit aufgedreht hat, können wir unsere eigenen Worte nicht mehr verstehen.

Aber schon dreht Gerald die Lautstärke herunter. Mein Herzschlag ist ein bißchen schneller - die Plötzlichkeit hat uns wohl alle erschreckt. Aber trotzdem: manche Siege der wissenschaftlichen Auseinandersetzung muß man kalt genießen:

"Sprechen Sie weiter, Herr Doktor Reinhardt!" sage ich, "Wir hören aufmerksam zu!" Reinhardt sagt erst einmal nichts.

"Das war ganz nahe. Sieht jemand was?" fragt Carola. Wir nehmen die Außenaufnahmen sämtlicher laufenden Außenkameras auf die Bildschirme. Die hängende Hügellandschaft da draußen sieht genauso aus wie zuvor, aber jetzt erwartet man eigentlich, daß sich plötzlich ein Monster hinter einem der Hügel hervorwagt.

"Es muß nichts großes gewesen sein. Die Verstärkung und die Lautstärke - das hat uns alle erschreckt." sage ich.

"Warum brüllt es gerade jetzt?" fragt Edwin.

"Wenn es brüllen kann, dann wird es irgendwann auch brüllen. Warum denn nicht gerade jetzt? - Aber wie gesagt, es kann viel leiser gewesen sein, als wir uns das jetzt vorstellen."

Das Boot befinden sich etwa 150 Meter unter der hängenden zerklüfteten Hügellandschaft - soweit man eine solche Aussage überhaupt machen kann. Die höchsten Hügel - also die, die am tiefsten herunterhängen - erreichen das Höhenniveau des Bootes. Wenn wir noch etwas tiefer gehen, wird das Licht der Scheinwerfer im nicht ganz klaren Wasser vollständig gestreut, bevor es auf die hängenden Felsen fällt. Deshalb läßt Wellington offenbar nicht tiefer steuern. Ist auch interessanter so.

"Da bewegt sich was! Voraus!" sagt Gerald. Er kann die Echolotbilder schneller interpretieren als wir.

"Wieweit voraus? Wie groß?" fragt Carola. Ihre Stimme klingt unruhig. Und "Kann man was sehen?" fragt Gabi. Man kann nicht. Aber unsere Augen kleben an den Bildschirmen.

"Vielleicht ist es beunruhigt wegen dem Licht." sagt Carola wieder.

"Wegen des Lichtes!" korrigiere ich.

"Im Duden steht immer noch, daß Dativ auch geht!"

"Könnt ihr eure Grammatik nicht nach dieser Reise ausdiskutieren? Außerdem heißt es 'durch das Licht'. - Da vorne bewegt sich wirklich etwas!" sagt Edwin.

"Ich kann noch nichts sehen." sage ich, "Aber es kann nicht groß sein. Wir müßten uns über die absolute Lautstärke ..."

Die Lautstärke wird uns wieder vorgeführt. Und dann sehen wir alle, daß sich in Fahrtrichtung etwas bewegt. Es fällt aus der Hügellandschaft herab.

"Mein Gott! - ist das groß!" flüstert Carola.


Copyright © Josella Simone Playton 2000-09-15 14:00:00



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