Voriges Kapitel Inhaltsverzeichnis Nächstes Kapitel



Voriges Kapitel Inhaltsverzeichnis Nächstes Kapitel


******** ********

Buch 3: Pilger in der Welthöhle

57. Sebastian Colbert

Die nächsten Stunden bleibt das Boot, wo es ist - und schon das ist eine gute Nachricht. Unsere Manöverierfähigkeit ist nicht eingeschränkt. Es gibt zahllose kleine Schäden, aber nichts wirklich Ernsthaftes. Jedenfalls, was das Boot betrifft.

Bei den beiden Verletzten hingegen sieht es schlimm aus. Wer dort nichts zu suchen hat, darf nicht ins Krankenrevier: Zuwenig Platz, und wegen der Sterilität. Aber vor der Toilette im zentralen Niedergang fange ich einmal Natalie ab, und die erzählt mir mehr. Sie ist sichtlich beunruhigt und durcheinander. Colbert ist mit dem Gesichtsschädel irgendwo aufgeschlagen und fürchterlich zugerichtet. Er muß sofort bewußtlos gewesen sein und hat das Bewußtsein bis jetzt nicht wiedererlangt. Doktor Morton sieht wenig Chancen dafür, daß er durchkommt. Und wenn doch: Augen, Nase - alles hin. Gebiß zerschmettert. Grauenhaft. Wie soll man da leben?

Auch Peer Elderman ist schlimm dran: Pneumothorax und Herztrauma. Ein halbes Dutzend Rippenbrüche. Irgendetwas hat er sich in die Brust gerammt. Medizinisch beherrschbar - wenn ein Team von Chirurgen bereitstände.

"Und wie geht es der Morton?" frage ich.

"Sie sieht aus wie ein Gespenst. Aber sie ist ja unverletzt und arbeitet mit der Präzision eines Industrieroboters. Aber sie ist mit diesen zwei Patienten überfordert!"

Seltsam, denke ich: Diesen Vergleich mit dem Industrieroboter - der paßt nicht zu Natalie. Aber darum geht es ja jetzt nicht: "Ist Peer bei Bewußtsein?"

"Manchmal." sagt Natalie, "Er hat ja keine Kopfverletzungen. - Ich muß jetzt wieder hin." Mit für sie ungewöhnlicher Behendigkeit verschwindet sie via Zentrale in Richtung Revier. Meine Hilfe oder die von jemandem anderem von uns ist jetzt nicht gefragt - sonst hätte sie etwas gesagt. Im vorderen Oberdeck berichte ich, was ich gehört habe.

Während der Aufräumarbeiten verlieren wir wenig Worte. Den meisten steht wohl meine Schilderung vor dem inneren Auge, und obwohl die aus zweiter Hand ist, ist sie doch vielen in die Knochen gefahren. Jeder kann sich an die Erschütterungen erinnern und nur zu gut vorstellen, was passiert wäre, wenn man sich nicht rechtzeitig festgeschnallt hätte, oder wenn der Sessel gebrochen wäre, oder wenn man sich aus irgendeinem Grunde im Schiff hätte frei bewegen müssen. Jeder könnte jetzt statt Colbert auf der Krankenstation liegen.

Um 15:44 - ich bin im Unterdeck beschäftigt, eine der halbvollen Lebensmitteltruhen umzuräumen, deren Inhalt durcheinandergeschüttelt wurde - hören wir Wellington's Stimme über die Rundspruchanlage:

"Bitte herhören. Hier spricht der Käptn. - Unser Kamerad Sebastian Colbert ist soeben gestorben. Er hat das Bewußtsein nicht wiedererlangt. - Danke."

Nach ein paar Sekunden höre ich die Stimme des Paters aus der Richtung der Kantine. Es hört sich wie 'Friede sei seiner Seele' an, oder so etwas. Diesmal sage ich nichts.

Die Welthöhlenexpedition hat ihr erstes Opfer gefordert. - Nein, ihr zweites: Irene muß man mitzählen. Gerade ich muß das. Aber Sebastian Colbert ist der erste, der gewissermaßen 'vor dem Feind' gefallen ist.


Copyright © Josella Simone Playton 2000-09-15 14:00:00



Voriges Kapitel Inhaltsverzeichnis Nächstes Kapitel



Voriges Kapitel Inhaltsverzeichnis Nächstes Kapitel


Zurück zu meiner Hauptseite