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32. Superuser Zwei
"Da ist was faul." sagt Carola, die bis jetzt sich still verhalten hat, weil sie vielleicht noch nicht richtig wach ist.
"Das sehen wir." sage ich.
"Nein, das meine ich nicht. Wenn der SISC nicht bedient wird, warum beschwert sich dann niemand aus der Zentrale?"
"Weil die auf andere Bildschirme gucken. Nehme ich an."
Edwin springt auf und geht zum nächsten Interkom an der Küchenwand. "Ich frage mal nach."
"Ist das wieder gefährlich?" fragt Natalie. Ich will antworten, aber Seltsam kommt mir zuvor:
"Noch nicht. Nur unangenehm. Aber wenn etwas in einem Computer nicht so funktioniert, wie es soll, dann spricht alles dafür, daß bald noch mehr nicht funktioniert."
"Sehr richtig formuliert!" sage ich.
"Aber wenn man es rechtzeitig merkt, dann kann man etwas dagegen tun." fährt Seltsam fort, ohne auf meine Bemerkung zu achten.
"Weniger richtig formuliert - Wie die Sache mit dem Shutdown passiert ist, wissen wir ja auch nicht."
Edwin kommt von seinem Interkom zurück: "Jetzt haben sie's gemerkt. Wir sollen der Sache nachgehen. Sofort, vermutlich." Er sieht Carola an: "Betrifft wohl hauptsächlich uns beide."
"Herzliches Beileid. Nichts mit Dienstschluß. Aber ich leiste euch Gesellschaft - Ich habe nämlich auch schon mal einen Computer gesehen!"
Wenig später sind Carola, Edwin und ich wieder in unserem Arbeitsraum. Wir bleiben nicht lange alleine - Natalie und Pater Palmer wissen nicht so recht, was sie sonst tun sollten und kommen auch zu uns hoch, kurz drauf kommt Dr. Reinhardt zu uns hoch, weil er ja auch auf dem Laufenden bleiben möchte. Da kann Seltsam natürlich nicht zurückstehen. Solzbach liegt schon in der Koje, aber Cohausz kommt als letzter rauf. Wenig später taucht auch Fahlenbeek auf.
"Es wäre gut, wenn wir schnell wissen, was da los ist!" sagt er.
"Wir sind ja schon dabei!" zischt Carola.
So richtig produktiv können eigentlich nur Edwin und Carola arbeiten - die anderen gucken zu. Naja, diese Situation sind wir von anderen Firmen gewöhnt. Nur könnte es sein, daß es ihnen zuviel Stress bedeutet, wenn ihnen so viele Leute über die Schulter gucken. Ich überlege mir schon, wie man eventuell einige Leute höflich in die Kantine zurückbittet. Das ist aber eigentlich Fahlenbeeks Aufgabe, als II WO.
Carola kommt zunächst mal ziemlich rasch zu einem vorläufigen Ergebnis: Sie findet heraus, welcher Dämonprozeß die SISCs mit Daten versorgt. Den startet sie einfach erneut, und augenblicklich wird die Zeitanzeige auf den SISCs auf den aktuellen Stand gebracht.
"Ist ja wunderbar!" sagt Pater Palmer.
"Nichts ist wunderbar. Wieso wurde dieser Prozeß gestoppt? Das müssen wir noch herausfinden!" entgegne ich.
Carola und Edwin suchen nach Hinweisen, wer den SISC-Dämon gestoppt haben könnte. "Ist eigentlich ganz einfach," sagt Carola, "wir haben einen Audit auf diese Systemaktivitäten!"
"Einen was?" Das war Natalie.
"Einen Audit. Das heißt, der Rechner schreibt in eine Datei hinein, was er so macht - welche Programme gestartet werden, welche Prozesse abgeschossen werden, und welcher Benutzer am System angemeldet ist. Das haben wir schon vor dem Abfahren gestartet."
"Sehr schön erklärt, Herwig." sagt Carola, "Hat nur einen Schönheitsfehler: Er hat's nicht gemacht."
"Nein?"
"Nein. Sie her: Da ist der SISC-Dämon gestartet worden. 17. August 1998. Montag, kurz nach 10 Ihr. Und danach ist er nie wieder gestoppt worden."
"Was ist so besonderes an dem Datum?" fragt Palmer.
"Letzter Systemstart. Da lag das Schiff wohl noch in Greenock. - Sowie es unterwegs ist, verträgt es keinen Shutdown mehr."
"Was hat das jetzt mit dem Shutdown zu tun?" fragt Pater Palmer leicht verwirrt.
"Ein Shutdown beendet die Aktivitäten des Betriebssystems. Das hätten wir ja fast gestern erlebt. Nach einem Shutdown muß das System wieder hochgefahren werden. Das heißt, wenn an Bord noch jemand am Leben ist."
"Aha." sagt Palmer.
"So. Jetzt macht mal mit eurem Anfängerunterricht Schluß. Warum ist der SISC-Dämon gestorben? Und warum hat der Audit das nicht mitgekriegt?" Carola fühlt sich gestört.
"Das möchte ich auch wissen." sagt Fahlenbeek dazwischen. Eine Weile hacken Carola und Edwin auf ihren Tastaturen herum. Dann:
"Also entweder funktioniert der Audit überhaupt nicht richtig, oder - was auch sein könnte - der Dämon lief unter einem anderen Namen."
"Er ist aber unter dem richtigen Namen gestartet worden! Haben wir doch gerade gesehen!" sage ich.
"Weiß ich!" faucht sie zurück. Sie ist nervös.
"Vielleicht läuft dieser - Dämon - unter einer anderen User-ID? Dann kann man ihn doch nicht sehen!" schlägt Natalie vor. Ein bißchen was weiß sie schon über das PRO-UNIX.
"Carola hat sich doch als Systemverwalter angemeldet - das hat sie Übersicht über alle Benutzerkennungen, unter denen überhaupt etwas geschieht." kläre ich sie auf.
"Vielleicht ist da ein anderer Systemverwalter?"
"In jedem UNIX - und auch in PRO-UNIX - gibt es nur einen einzigen Systemverwalter. Und der heißt immer 'root'."
"Aha." sagt Natalie.
"Glaubst du es nicht? - hier, es gibt eine Liste aller Benutzerkennungen. Da steht an allererster Stelle ... Carola!"
"Was?"
"Wer ist denn der Benutzer 'ROOT'? - Großgeschrieben?"
Carola und Edwin sehen auf meinen Bildschirm. Alle anderen auch.
"Ich glaube, die Natalie hat schon wieder eine Idee gehabt!"
"Glaube ich nicht." sagt Carola, "Warum soll eine normale Benutzerkennung nicht 'ROOT' heißen? Das ist nicht verboten!"
"Tja. Auch wieder richtig. Sehen wir uns mal die Privilegien an, und was diese Kennung macht."
Die Überraschung folgt auf dem Fuße: "Carola und Edwin," sage ich, "schaut euch das an! 'ROOT' läßt sich nicht administrieren!"
"Das gibt es doch nicht!" sagt Edwin, "Das ist unmöglich!"
Fahlenbeek beugt sich weit vor und sieht auf meinen Bildschirm.
"Herr Fahlenbeek, Sie müßten es wissen: Gibt es etwa so etwas wie einen super-super-user für dieses System?"
"Mir ist nichts bekannt," sagt er, "was hat der denn für Dateibestände?"
"Das ist es ja - da kommen wir nicht rein!"
"Tja." sagt Edwin, und noch einmal: "Tja." Und nach einer Pause: "Dann wissen wir also, wer diesen Shutdown gestern losgelassen hat!"
"So? Wissen wir das?" Ich greife wieder in die Tasten: "Ich gehe mal als 'ROOT' rein."
"Schön!" sagt Carola, "Schick uns ne Karte, wenn du das ROOT-Paßwort herausgefunden hast!"
Sie hat recht. Weder ich noch sonst jemand kommt rein. 'ROOT' hat ein anderes Paßwort als 'root', und keiner von uns kennt es.
Fahlenbeek fragt über Interkom den Alten. Es wäre ja immerhin möglich, daß der Kapitän dieses Schiffes auch bezüglich des Rechners besondere Privilegien hat. Wellington weiß aber von nichts.
"Tja, dann können wir gar nichts machen!" sagt Edwin, "wenn da tatsächlich eine alternative Systemverwalterfunktion im PRO-UNIX vorgesehen ist ..."
"Das wissen wir noch gar nicht, ob es bloß eine alternative Systemverwalterfunktion ist," meine ich, "es kann sein, daß ROOT noch mehr Privilegien hat als 'root'!"
"Ach du liebe Zeit!"
"Ja. Und wenn unter ROOT ein Programm läuft, das das Schiff auf den Kopf stellen möchte, oder das den Schwerwasserheißdampf aus dem Reaktor in die Klimaanlage leiten möchte, oder das die Flutventile öffnen möchte - wenn wir so etwas haben - dann können wir nichts dagegen machen. Gar nichts."
"Doch," sagt Carola, "Einer kann etwas dagegen machen. Einer, der das 'ROOT'-Paßwort kennt. - Und so einer ist an Bord."
Ich denke nach. "Du hast recht," sage ich, "so einer ist an Bord. Vielleicht auch zwei."
Alle anderen sehen sich und uns verwundert an.
"Und?" fragt Carola.
"Ich weiß nicht."
"System neustarten?"
"Unbedingt, wenn dieses ein Haus auf dem Festland wäre. Aber es ist ein U-Boot. Wir können nicht. Zu gefährlich."
"Aber es kann doch jederzeit ..."
"Ja," sage ich, "Es kann jederzeit ..."
Und wie um meine Worte zu bestätigen, heult wieder die Alarmsirene auf. Der Situation Screen, der wieder anstandslos funktioniert, gibt die Ursache an:
Das Schiff hat angefangen, mit etwa 50 Gramm pro Sekunde schwerer zu werden. Sowenig, wie das ist, kann das nur eine Ursache haben:
Wassereinbruch.
Copyright © Josella Simone Playton
2000-09-15 14:00:00
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