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27. Vom Wasserdruck und anderen feuchten Dingen

Wir, Natalie und ich, stehen an diesem 14. Januar erst um etwa 14 Uhr auf. Wir sind nicht durch Interkom geweckt worden, also hat niemand uns vermißt.

Ich überlege mir, daß es zweckmäßig wäre, für die Morgenwäsche in meine eigene Kabine zu huschen - die ist ja nur eine Kojenlänge - Carola's Koje - von uns entfernt. Aber ich habe noch überhaupt keine Lust, jemandem auf dem Gang zu begegnen. Und so ist immer einer von uns in der Koje, während der andere sich waschen kann. Es geht, aber eine Lösung für die Ewigkeit ist das natürlich nicht.

Solange Natalie sich wäscht, studiere ich den SISC.

"Schau dir's an!" sage ich, "1450 Meter! Wir sind also weitergefahren!"

"1450 Meter was?"

"Wassertiefe. 1450 Meter Wassertiefe. - Unsere Werftgarantie liegt bei 4000 Meter."

"Ist das viel? Ich habe nicht soviel von den Booteigenschaften behalten - ehrlich gesagt."

"4000 Meter Werftgarantie? Damit ist dieses Boot das beste U-Boot der Welt! Und diese Angabe soll noch sehr konservativ sein, aber das liegt daran, daß noch nie tiefer mit diesem Boot getaucht wurde."

"Also bis 4000 Meter Tiefe sind wir sicher?" fragt Natalie. Sie kämmt ihre langen Haare aus. Damit hat sie zu tun.

"Ja. Jedenfalls, was den Wasserdruck betrifft. Und wahrscheinlich noch viel weiter."

"Das kann man sich kaum vorstellen." sagt sie.

"Oh doch, das kann man. Stell dir vor, jetzt wäre ein Loch in der Außenwand des Bootes, wo du gerade deinen Finger reinstecken könntest. Den müßtest du jetzt mit einer Kraft von fast 150 Kilo in das Loch hineindrücken - etwa dein zweieinhalbfaches Gewicht!"

"Tatsächlich?"

"Ja. Ein fingerdicker Wasserstrahl aus einem Leck würde, wenn er dich trifft, dir schwere und schwerste Verletzungen beibringen. Er hätte etwa die halbe Schallgeschwindigkeit. Er würde soviel Wasser transportieren, daß man damit in vier Minuten diese Kabine füllen kann!"

"Scheußliche Vorstellung!" meint Natalie.

"Es kommt noch besser. In Tiefen unter 5900 Metern wird der Wasserstrahl aus einem Leck die Schallgeschwindigkeit überschreiten. Er würde so laut sein, daß alle, die in der Nähe stehen, Gehörschäden davontragen. Ein menschlicher Körper wird von dem Strahl einfach durchschnitten, wie Butter!"

"Hör auf!" protestiert Natalie.

"Ich will dir nur demonstrieren, in was für einem leistungsfähigen U-Boot wir hier sitzen! - Und wie gefährlich jeder Fehler ist."

"Gibst du jetzt etwa dem Alten recht?"

"Ich gebe ihm recht im Grade seiner Besorgnis um das Schiff. Seine Beschuldigungen waren - naja, unpräzise."

"Bin neugierig," sagt Natalie und zwängt sich in den Bordoverall, "wie die anderen sich verhalten. - Aussehen tut diese Uniform ja überhaupt nicht." Sie betrachtet sich im Spiegel.

"Das ist keine Uniform. Das ist ein Vielzweckanzug. Und dir steht er. Sagen wir, du füllst ihn gut aus! Dir steht fast alles - und wenn dir etwas steht, dann steht er mir auch!"

"Ach du!" meint sie leichtfertig, "Gehen wir essen!"

Hat sie jetzt die Doppelbedeutung meiner Worte verstanden oder nicht, frage ich mich, als wir auf den Gang hinausspähen. Vielleicht sollte sie es besser nicht - dieser billige Kalauer war unter meinem Niveau.

Auf dem Gang ist niemand. Also treten wir hinaus und gehen in die Kantine.

In der Kantine sitzen nur David Aldingborg und Ernst Kufferath. Trotz ihres Altersunterschiedes haben sie etwas gemeinsam, und ich versuche schon länger, herauszufinden, was es ist. Es könnte sein, daß beide trinken. Aber das werden wir an Bord nicht zu sehen bekommen, denn alkoholische Getränke sind verboten. Es sei denn, sie haben sich von langer Hand vorbereitete Depots angelegt. Da gibt es sicher in den Maschinenräumen oder im Unterdeck Möglichkeiten, und natürlich in den eigenen Kabinen.

Als wir eintreten, stockt das Gespräch der beiden. Aldingborg steht auf und bringt die Tablets von beiden in den Reinigungsautomaten in der Küche. Dann steht Kufferath auch auf, und ehe wir es uns versehen, haben beide den Raum verlassen.

"So, jetzt weißt du's." sage ich.

"Aber wieso?"

"Der Torpedo, den wir gestern losgelassen haben, hat uns jeden Rückweg versperrt. Deshalb sind wir weiter auf dem Weg in die Tiefe. - Da, sieh dir die Felswände auf dem SISC an! Das sieht wahrscheinlich schon seit Stunden so aus, nur wir haben es verschlafen."

"Und die machen uns alle verantwortlich dafür?"

"Wahrscheinlich. Aber andererseits - wir wollen ja sowieso diese Höhlenketten, in denen wir uns jetzt befinden, erforschen. Soviel hat sich also gar nicht geändert."

"Außer, daß wir nicht zurückkönnen, wenn wir wollten." stellt Natalie fest.

"Richtig. - Aber wir haben nicht zu wollen."

In wenigen Minuten haben wir uns ein Frühstück zusammengestellt, wie ich es schätze: Kaffee und Käsebrötchen. Den Brötchen sieht man gar nicht an, aus welch tiefen Temperaturen sie aufgetaut worden sind. Eine Weile schmatzen wir nur.

"Aber schön war's doch!" sagt Natalie mit vollem Mund und sieht mich über den Kaffeetassenrand hinweg an. Ehe ich dazu kommen kann, völlig überflüssigerweise zu fragen, was doch schön war, betritt Esther Petersen die Kantine. Sie steuert genau auf uns zu.

Ihre Haltung erinnert mich an eine Waisenkindbetreuungsfachkraft. So ähnlich habe ich mir die Fräulein Habicht aus 'Rasmus und der Landstreicher' vorgestellt - ganz genau so. Ihr Tonfall, als sie den Mund aufmacht, ist nicht geeignet, diesen Eindruck zu widerlegen:

"Commander Wellington entbietet Ihnen seine besten Grüße."

"Schön!" sage ich. Mehr nicht. Da wird noch etwas kommen.

"Er bittet Sie, zu bedenken, welch hervorragende Wirkung es auf die Moral der Besatzung hätte, wenn dieses Boot wieder so sauber wie am ersten Tag wäre! Außerdem würde es viel Zeit sparen, wenn jemand sich freundlicherweise bereiterklären würde, nachher, nach Dienstschluß, von Kabine zu Kabine zu gehen, die Dreckwäsche einzusammeln und in den beiden Waschmaschinen im Unterdeck zu reinigen!"

"Dürfen wir noch zuende frühstücken?" zischt Natalie. Esther Petersen hält es nicht mit ihrer Würde vereinbar, darauf zu antworten. Sie dreht sich um und geht.

"Das mach ich nicht!" sagt Natalie entschieden.

"Ruhig, ruhig. Laß mich überlegen. Wir kriegen das schon hin. - Jedenfalls siehst du, wo wir im Moment stehen."

"Ich wasche nicht die Dreckwäsche von all diesen Leuten! Und ich werde auch nicht den Boden putzen!"

"Natalie," sage ich, "das ist kein militärisches Schiff. Sie können uns nicht erschießen, wenn wir es einfach nicht tun. Aber Wellington kann uns ganz schön ärgern - mit den Prämien und so. Ich will schon etwas Geld aus der Sache mitnehmen, und wenn ich dazu mal etwas arbeiten muß, dann wird mich das nicht umbringen."

"Aber wir sind Wissenschaftler! Wozu habe ich ein Diplom in Biologie?"

"Das spielt doch jetzt überhaupt keine Rolle! Diplome habe ich auch! Das ist hier nichts besonderes, die hat jeder. - Paß mal auf. Wir machen, was uns gesagt wird, aber - nein, sei ruhig! - aber wir machen das so, wie wir es für richtig halten, okay? Wir sollen das Schiff sauber halten. Gut. Dann steht natürlich dauernd ein Eimer im Wege. Und ich werde dafür sorgen, daß er wirklich im Wege steht - hier, vor dem Eingang der Kantine, vor der Zentrale, und so weiter. Wir werden nasse Putzlumpen auf den Stufen der Niedergänge liegenlassen, so daß jeder einmal reingreift. Verstehst du? Ein Duft von Ammoniak wird die Räume durchziehen - wäre doch gelacht wenn wir die Klimaanlage nicht eine Weile überlasten könnten. Vielleicht schaffen wir sogar einen Gasalarm auf diese Weise! - Und was die Wäsche betrifft - Du weißt doch, genau wie ich, was man da falsch machen kann! Bunte Wäsche mit Weißwäsche zusammen, falsche Temperaturen. Und so weiter. Und zum Schluß bringen wir jedem das Falsche zurück."

Natalie's Laune hat sich während meiner Worte schon etwas gebessert. Ich fahre fort:

"Es wird natürlich am Anfang etwas Arbeit machen. Aber wir brauchen uns nicht zu beeilen - die bloße Tatsache, daß wir sowas machen, heißt ja, daß es nichts anderes für uns zu tun gibt. - Obwohl ich mir schon einige Dinge denken könnte, die man sinnvollerweise tun sollte: Da ist noch einiges, was ich mir in den Schiffsrechnern genauer ansehen muß. Wenn man's braucht, dann ist es zu spät. - Aber naja. Auf jeden Fall wird man uns diese Arbeit schon bald wieder nehmen. Das ist jetzt nur eine anfängliche Reaktion auf das, was passiert ist. Weißt du was? Wir verteilen jetzt erst einmal ein paar Scheuereimer auf den Gängen - oder was immer die hier für Reinigungsgerät haben - und dann gehen wir in deine Koje eine Runde bumsen!"

"Wo hast du diese Tricks her?"

"Man lernt nicht viel bei der Bundeswehr. Aber die Methoden, sich vor der Arbeit zu drücken, die lernt man. Und die vergißt man nie wieder!"

"Auch die Methode, eine Runde zu bumsen?"

"Du weißt ganz genau, was ich meine. - Also gehen wir! - Die Tablets lassen wir stehen."

"Warum?"

"Damit wir sie aufräumen können, wenn alle beim Essen sind. Dann müssen wir uns nämlich durch die Stuhlreihen boxen. Das stört! - Besonders, wenn wir gleichzeitig ein paar Scheuereimer balancieren. Volle Scheuereimer!"

"Mit Dreckwasser!" strahlt Natalie. Jetzt hat sie meine Methode verstanden.

Das mit der Runde Bumsen geht dann doch nicht so schnell - ich hatte es eigentlich auch mehr rhetorisch gemeint. Wir steigen ins vordere Unterdeck ab, wo man normalerweise nichts zu suchen hat. Aber ich vermute, daß da das Reinigungsmaterial aufbewahrt wird, weil da die Vorräte von allem möglichen sind. Wir müssen nur etwas suchen.

Im Gegensatz zum Mitteldeck, das mit Kabinen, Kantine, Zentrale und Krankenrevier der Hauptaufenthaltraum der Besatzung ist, und dem Oberdeck, wo sich zum Beispiel unser Arbeitsraum befindet, ist im Unterdeck kaum etwas, was die ständige Anwesenheit von Besatzungsmitgliedern erfordert. Das ist auch gut so, da es - wie auch das Oberdeck - zu den Enden des Schiffes hin immer niedriger wird, und, schlimmer, da es keinen ebenen Boden hat. Man steht ja direkt auf der Rundung des Druckkörpers.

Wenn ich mich erinnere, bezeichnet man den Raum über dem Kiel in klassischen U-Booten und auch in normalen Schiffen als 'Die Bilge'. Dort ist auch ständig Wasser zu finden, daß durch kleine Lecks und auf anderem Wege ins Schiff gekommen ist.

Nicht so auf der CHARMION. Erstens haben wir ja keinen Kiel in dem Sinne - der Druckkörper ist ja rundherum symmetrisch - und zweitens läßt das Design des Schiffes das unerwünschte Eindringen und den Aufenthalt von Wasser innerhalb des Bootes nicht zu. Wasser in diesen unteren Räumen würde bedeuten, daß verschiedene Geräte hier nicht betrieben werden könnten. So üppig ist Raum aber an Bord nicht verfügbar. Außerdem wäre die Auftriebsregelung schwieriger, weil das Gewicht dieses Wassers in die Rechnung mit einbezogen werden müßte, was sehr schwierig ist, wenn es sich um Wasser handelt, das sich irgendwo im Schiff herumtreibt und das man deshalb meßtechnisch nicht ganz leicht erfassen kann. Also ist es leichter, die Abwesenheit von Wasser technisch zu erzwingen.

Kondenswasser gibt es an Bord nicht. Die gesamten Wände des Druckkörpers werden geheizt oder gekühlt, je nach dem, und das rundherum. Wasser, das durch die Einsteigeluke hereinkommen kann und so die Räume des zentralen Niederganges erreicht, wird dort sofort und schnell gelenzt. Zusätzlich gehen die Schottwände des zentralen Niederganges, der ja ein Abschnitt von vier Metern Bootslänge bildet, durch den gesamten Bootsquerschnitt.

Auf diese Weise ist das Unterdeck in zwei große Räume eingeteilt: Das vordere Unterdeck, das von der Schottwand des zentralen Niederganges bis unter die Kantine reicht - das sind immerhin sechs Sektionen a vier Meter, also 24 Meter, und das hintere Unterdeck, das unter der Zentrale und dem Krankenrevier immerhin noch drei Sektionen, also zwölf Meter Länge umfaßt. Weiter hinten benötigt der Fusionsreaktor und die anderen Aggregate des Schiffes die volle Höhe.

Hier, im Unterdeck, liegen viele lebenswichtige Verbindungen des Schiffes. Die vielen Rohrleitungen der Klimaanlagen, Zu- und Abwasser zu Kabinen, Duschen, Toiletten und Küche, Zu- und Abluft, Wirbeldämpfer der Klimaanlage, elektrische Versorgungsleitungen und die Glasfaserkabel zahlloser Signalleitungen. Wasserleitungen zwischen den Trimmtanks, Pumpen, Hochdrucklenzpumpen für die Regelzellen, die Tauchzellen innerhalb des Druckkörpers und natürlich auch die Wasseraufbereitung.

Zwischen all diesen ständigen technischen Einrichtungen sind zahllose maßgeschneiderte Schränke eingefügt. Die Lebensmittelvorräte sind hier genauso wie alle anderen Verbrauchsstoffe. Werkzeuge und Ersatzteile. Die Reinigungsmittel. Die Waschmaschinen für die Textilien, die an Bord in Gebrauch sind. Sogar zwei Trockner.

Das ganze Unterdeck sieht noch - abgesehen von den Maschinen- und den Reaktorräumen - am ehesten so aus, wie man es von alten U-Booten in Erinnerung hat. Natürlich mit der ständigen, hellen Beleuchtung, die auf der CHARMION üblich ist, und der klinischen Sauberkeit. Aber das Gewirr der technischen Einrichtungen, Rohre und Leitungen ist auf den ersten Blick undurchschaubar. - Hier werden wir natürlich nicht saubermachen. Die Wartung und Reinigung der technischen Einrichtungen ist Sache der zuständigen Ingenieure. Wellington hat schon im Wesentlichen ans Mitteldeck gedacht.

Wir finden das Schapp mit dem Reinigungsgerät nach kurzen Suchen. Natalie rümpft die Nase.

"Deine Wohnung zu Hause machst du doch auch selbst sauber?" frage ich.

"Ja. Aber das ist mein eigener Dreck."

"Das ist wohl wahr. Also. Eimer haben wir genug. Wir können sie oben in den Duschen vollmachen. Und dann stellen wir erst einmal die Gänge vor den beiden Kabinenzeilen voll!"

"Und dann?"

"Sowie der Boden naß ist - Schottgriffe und Wandgeländer. - Naja, muß alles sauber sein!"

Einen Moment lang wundere ich mich, daß das Reinigungsgerät, das wir gefunden haben, zu den einfachsten gehört. Wenn ich mich recht erinnere, dann fuhr in unserer Firma das Reinigungspersonal mit Spezialwagen durch die Gänge - fahrbarer Putzeimer, Scheuerlappenabstreifer und Abfalltransportwagen in einem. Mit Griffen in ergonomisch korrekter Höhe, um das ganze Ding problemlos über die Flure zu schieben, alles an diesem Karren so optimiert, daß man sich möglichst selten bücken muß.

Aber es macht Sinn: In dem Bürogebäuden eines Großunternehmens muß man den Zeiteinsatz des Reinigungspersonals minimieren. Hier ist unsere Hauptaufgabe aber nicht die Reinigung des Bootes, im Gegenteil: Man erwartet eigentlich von einer qualifizierten Besatzung, daß sie es fertigbringt, das Schiff im alltäglichen Betrieb nicht zu schmutzig werden zu lassen. In der Firma finden sich für diese elaborierten Reinigungswagen genügend Abstellkammern. Hier nicht. Und dazu kommt, daß ein einfacher Eimer als unspezialisiertes Werkzeug eventuell mehrere, unvorhersehbare Verwendungsmöglichkeiten hat. Wahrscheinich sind es solche Überlegungen, die zu dieser relativ primitiven Ausstattung geführt haben.

Für die Trockenreinigung sieht es etwas moderner aus: Der Staubsauger gehört offenbar zu den besten Geräten, die man mit Geld kaufen kann: Vorsätze für verschiedenste Saugrüssel, um in alle möglichen Ecken hineinzukommen, stufenlose Regelung zwischen der Leistung Null und der Saugkraft einer Vakuumpumpe, und wahrscheinlich die Fähigkeit, Honig, Glasscherben und Seewasser zu saugen, ohne gleich kaputtzugehen.

Wenige Minuten später habe ich meinen ersten Auftritt. Ich bin dabei, den Boden vor unserer Kabinenzeile einzuseifen - Natalie ist bei den Nautischen drüben - das kommt Carola den Niedergang von oben herunter, weil sie in ihre Kabine will. Dazu muß sie über den nassen Boden und an mir vorbei. Tut sie aber nicht: Sie bleibt erst einmal stehen:

"Ist da nicht etwas viel Waschmittel in dem Wasser?" fragt sie.

"Ich frag dich schon noch, wenn ich sachdienliche Hinweise haben will."

"Ich meine ja nur. In den Flitterwochen versalzt man ja auch Suppen, vielleicht rutsch einem dann auch versehentlich zuviel Waschmittel in den Eimer!"

Als ich mich entschlossen habe, ihr den nassen Putzlumpen hinterherzuwerfen, ist sie schon in ihrer Kabine verschwunden. Ein paar Minuten später merke ich am Luftzug, daß die Klimaanlage gemerkt hat, daß die Luftfeuchtigkeit angestiegen ist, und daß sie etwas dagegen tun will. Der Ammoniakgeruch breitet sich in Richtung Kantine und zentralem Niedergang aus. Natalie ist mit ihrer Gangzeile gleichzeitig fertig, und wir machen uns über den Kantinenboden her. Es ist bald Dienstschluß, dann kann Wellington sich entscheiden, das Boot irgendwo still liegen zu lassen. Minuten später wird es hier voll werden. Bis dahin muß die Kantine schwimmen.

Vor Dienstschluß kommt noch jemand den Niedergang von unserem Arbeitsraum herunter. Es ist Pater Palmer. Er bleibt auch stehen und sieht uns einen Moment zu. Ich erinnere mich, daß ich mich mit ihm nicht streiten soll. Also wollen wir mal sehen:

"Ein Bibelspruch, Hochwürden? Der Situation angemessen?"

Er dreht sich um und verschwindet in dem steuerbordseitigen Kabinengang. Wir hören aber, daß er nicht in seine Kabine, sondern weiter in Richtung Zentrale geht.

"Das hast du davon!" sagt Natalie, "Jetzt beschwert er sich."

"Ich habe einen Seelsorger um ein aufmunterndes Wort gebeten. Wie soll er sich da beschweren?"

Nun sind auch die Tische naß. "Das Wasser muß lange einwirken, damit all die Ringe gelöst werden." erkläre ich, "Wir können sie noch nicht trocken reiben."

Dann marschieren wir in Richtung zentralem Niedergang. "Sollen wir uns jetzt über die Zentrale hermachen?" fragt Natalie, "ich habe so ein Gefühl, als ob es dann Ärger gibt!"

"Noch mehr Ärger? Wie soll der denn aussehen? - Komm schon - wir trainieren jetzt Selbstbewußtsein! So hat meine Frau das immer genannt, wenn sie im Restaurant etwas wegen einer Kleinigkeit zurückgehen ließ: 'Selbstbewußtsein trainieren'. - Ich möchte, daß sie stolz auf uns ist, wenn sie uns jetzt von irgendwo zusieht."

Das hätte ich nicht sagen sollen. Die Erinnerung kommt so plötzlich zurück, daß ich stehen bleibe. Natalie versucht, mir in kameradschaftlicher Weise den Arm um die Schulter zu legen. Dabei kommen sich auf dem engen Gang unsere Eimer ins Gehege. Der ihre kippt und leert sich aus. Über meine Hose und über ihren Bordoverall. Bei dem Versuch, ihren Eimer gerade noch zu halten, kippe ich den meinen auch aus. Eine ordentliche Flutwelle schießt den Gang entlang.

Und der Ammoniakgeruch ist unerträglich.

"Scheiße." sagt Natalie. Diese angemessene Formulierung geht ihr recht flüssig von den Lippen.

"Wir hätten bei den Nautischen vorbeigehen sollen. Jetzt ist es unser Gang. Naja. Zu spät."

Wir füllen unsere Eimer in den Duschen im zentralen Niedergang wieder auf und betreten dann entschlossen die Zentrale.

Es sind nur fünf oder sechs Leute anwesend, aber alle sitzen vor ihren Computerkonsolen und arbeiten angestrengt. Mit lautem Scheppern stelle ich meinen Eimer auf den Boden und tauche den Putzfleudel ein.

Wellington dreht sich um und bekommt große Augen:

"HOMBERG! HÖREN SIE SOFORT DAMIT AUF! RAUS!"

Schon sind wir auf der Flucht.

"Nehmen Sie ihre Scheißeimer mit!" brüllt es hinter uns her.

"Du hast es gehört!" sage ich zu Natalie, als wir im zentralen Niedergang die Tür zur Zentrale hinter uns zugemacht haben, "Wir sollen sofort damit aufhören. Befehl ist Befehl. Bringen wir die Eimer dahin zurück, wo wir sie hergeholt haben."

"Ich habe das Gefühl, da kommt noch was." sagt Natalie später, als wir uns in ihrer Kabine von den durchnäßten Klamotten befreien.

"Ja." sage ich, "Aber ich weiß nicht, was. Und wenn's mir nicht einfällt, wird Wellington auch länger nachdenken müssen. - Schade, daß wir nicht essen gehen können - bei diesen nassen Tischen."

Wir kommen uns großartig vor, als wir ins Bett gehen. Denen haben wir es aber gegeben! Den ganzen Abend schwelgen wir in Phantasien, was man noch alles hätte tun können, in Befolgung dieses Reinigungsbefehls. Und Natalie muß sich alte Erinnerungen an meine Bundeswehrzeit anhören, die sie vielleicht weniger interessieren, als ich das im Moment glaube.

Später, als wir erschöpft eingeschlafen sind - 'belebte Bettruhe mit Gymnastin' macht müde - erfahren wir, was sich jemand hat einfallen lassen. Wir wachen von einem eiskalten Wasserschwall auf, der sich in unser Bett ergießt. Der Menge nach ein ganzer Eimer. Grad noch sehe ich, wie die Kabinentür wieder zugeht - die man ja nicht abschließen kann.

Ich bin augenblicklich auf dem Gang, aber da ist niemand mehr zu sehen. Und so nackt, wie ich bin, kann ich nicht durchs Schiff laufen - Es ist erst kurz nach ein Uhr, und außer dem Täter könnte noch so mancher andere auf sein.

Als wir später in der Nacht vor den Waschmaschinen und Trocknern im Unterdeck stehen und uns die Zeit vertreiben, bis die fertig sind, wird uns allmählich klar, daß wir uns kaum beschweren können. Über wen? Und bei wem?

"Natalie," sage ich, "eine Lektion aus meiner Bundeswehrzeit habe ich heute vergessen, zu berücksichtigen: Die Vorgesetzten darf man beliebig verarschen. Aber nie, niemals die Kameraden. Also die Gleichgestellten. Wir hätten die Kantine nicht so einsauen sollen. Und die Überschwemmung im Gang war wohl auch nicht gut - auch wenn sie nicht absichtlich war."

Erschöpft sehen wir, während die Maschinen rumoren, auf den SISC.

Das Schiff liegt inzwischen in einer Tiefe von 1700 Metern. Von dem ganzen Manövern in der letzten Zeit haben wir kaum etwas mitgekriegt: Der Anfang unseres Abenteuers wird in unserer Erinnerung nach Amoniak stinken.


Copyright © Josella Simone Playton 2000-09-15 14:00:00



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