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26. Die zerschossene Rückfahrkarte

Die Zentrale ist soweit vom vorderen Ende des Schiffes entfernt, daß man vom Abschuß des Torpedos nichts hören kann. Aber aus den Augenwinkeln erhasche ich auf einigen der Außenbildschirme eine flinke Bewegung. Dann flackert ein lauer Blitz über fast alle Außenbildschirme.

Ein lauter Hammerschlag dröhnt von allen Seiten auf das Schiff.

Natalie richtet sich wieder auf. Immer noch sind wir ineinander verkeilt, immer noch nagelt meine Härte ihren und meinen Schoß zusammen. Immer noch können wir uns nicht trennen, immer noch wollen wir uns nicht trennen.

Ein dumpfes Grollen hebt an. Man hat auf den Bildschirmen nicht genau gesehen, wo die Explosion war - das haben wir ja schon erfahren, daß diese Torpedos mit einem nur geringen Lichtblitz explodieren. Jetzt aber sieht man auf den Bildschirmen, daß dort Dinge in Bewegung gekommen sind: Fallendes Geröll von der Höhlendecke, besonders in der Nähe des dreieckigen Einganges, die Gegend, in die wir das Torpedo geschossen haben. Eine der mächtigen Platten, die die Begrenzung des Einganges bildet, neigt sich - genau die Platte, die ich schon als unstabil eingeschätzt habe. Und von der Decke fallen schwere Felsbrocken.

Gleichzeitig hebt eine Alarmsirene an, durch das ganze Schiff zu schellen. Eine Sirene, die niemand überhören kann.

Die Zentrale füllt sich schnell. Schreckgeweitete Gesichter sehen auf den Felssturz. Minutenlang grollt die Höhle, das Boot zittert, und wahrscheinlich ist es nur dem reinen Zufall zu verdanken, daß keine Felsen auf das Boot fallen.

Die Aufmerksamkeit der hereinsprintenden Besatzungsmitglieder wird nicht nur durch die Bildschirme gefesselt. Mindestens ebenso interessant sind wir beide. Wir sitzen immer noch in unserer Kohabitationsstellung in dem Sessel. Mitten in der Zentrale dieses U-Bootes - eine noch öffentlichere Stelle an Bord gibt es nicht.

Und hinter Natalie kann jeder die Dialogbox für den Abschuß eines seismischen Torpedos sehen.

Es dauert einige Minuten, aber allmählich kommen die Felsen da draußen zur Ruhe. Stäube und Schlamm ist aufgewirbelt worden und geben erst allmählich den Blick auf den Eingang zur Höhle wieder frei. - Das Boot ist unbeschädigt, die CHARMION ist nicht von fallenden Felsen getroffen worden.

Der Eingang dieser Höhle aber ist vollständig zusammengebrochen.

Es wird voll in der Zentrale. Viele, die ihre Station eigentlich woanders haben, sind jetzt hier. Pater Palmer und Amurdarjew, und, am peinlichsten, Carola und Edwin. Alle, alle, alle sind hier. Und alle sehen uns interessiert an.

Wellington tritt neben uns und sieht sich die Dialogbox an. Dann stellt er mit raschem Griff die Sirene ab und sieht in die Runde. Es wird mäuschenstill.

"Ei der Daus." sagt er. Lachen rundherum. Dann wirft Wellington die Stirn in Falten: "Wie soll ich das für das Logbuch formulieren?"

"Vielleicht ganz einfach sachlich und den Fakten entsprechend?" schlage ich vor. Natalie drängt sich an mich. Ich spüre, wie ich unten aus ihr herausrutsche. Wird schöne Flecken auf dem Sessel geben.

"Ganz - einfach - sachlich." wiederholt Wellington, "Den - Fakten - entsprechend." Er sieht auf den Bildschirm: "Sieht aus, als haben Sie unsere Rückfahrkarte weggeschmissen."

Wieder eine Weile Stille. Dann, mehr zu sich selbst: "Sollte das nicht ein Unternehmen mit erwachsenen Leuten sein? War das nicht so gedacht? Oder irre ich mich?"

Ich kann es ihm nachfühlen. Da ist auf diesem Boote ein ganz anderer Umgangston üblich, bedingt durch die Tatsache, daß es sich bei der Besatzung um ausgesuchte Fachleute handelt. Keine permanenten obszönen Redensarten, wie sie jeder kennt, der schon einmal in einer Armee Dienst getan hat. Oder wie sie Buchheim von den Mannschaftsdienstgraden seines Bootes berichtet. Gespräche sind kollegial und haben Niveau.

Und dann, in einer offensichtlich kritischen Situation, stürzen alle in die Zentrale - und was finden sie dort: Es wird respektabel vor aller Augen gebumst. Ich kann Wellington seine Fassungslosigkeit wirklich nachfühlen - das hat er sicher in seiner U-Boot-Praxis bei der britischen Marine nicht erlebt.

Das Schweigen rundherum ist verkrampft. Im Hintergrund gluckst jemand vor unterdrücktem Lachen. Carola, die Natalie nicht leiden kann, ist ihre Mißbilligung so ins Gesicht geschrieben wie ich es noch nie bei ihr gesehen habe - sie ist auch amüsiert, aber die Mißbilligung überwiegt. Edwin dagegen schaut drein, als ob er mich beneidet. Alfred Seltsam ist im Moment nicht in meiner Blickrichung.

Ich glaube, ich muß auch einmal etwas sagen, um die Spannung zu lockern. Auch wegen Natalie - sie schaut drein wie ein kleines, ertapptes Schulmädchen. 'Schulmädchen-Report' - wieso muß dieser Begriff mir gerade jetzt einfallen?

"Ist dir jetzt immer noch kalt?" frage ich sie.

Brüllendes Gelächter. Cohäuszchen schlägt sich so laut auf die Schenkel, daß es knallt. Wellington fällt die Kinnlade herunter. Peer Elderman hat seinen Ellenbogen auf die Schulter von Rolf Sydekum gelegt, und es sieht aus, als ob er weint - sein Körper ist von Lachkrämpfen geschüttelt. Auch andere müssen sich irgendwo festhalten.

Als es wieder einigermaßen still ist, fragt Wellington:

"Sind Sie in der Dame fertig, Herr Homberg?" Wieder Gejohle - es gibt wohl keine Disziplin, die das unter den obwaltenden Umständen verhindern kann. Da sind da draußen Felsen heruntergefallen, die unser Boot hätten zerschmettern können - nun gut, sie haben's nicht getan - aber der Schrecken sollte uns allen noch in den Knochen stecken. Aber der Schrecken kann sich bei diesem Schauspiel nicht so recht behaupten, solange ich noch - allen sichtbar - in der Natalie drinstecke.

"Müssen Sie immer eine zentrale Rolle spielen, Herr Homberg?"

Ich finde diese Frage ungerecht. Schließlich sollte jedem klar sein, daß weder ich noch Natalie darum gebeten haben, daß sich die Zentrale gerade jetzt bevölkert. Und was heißt überhaupt 'immer'? - Außerdem ist es geschmacklos, jetzt den Begriff 'zentrale Rolle' zu verwenden - erneutes Lachen zeigt, wer die anatomische Interpretierbarkeit verstanden hat und wer nicht.

"Sortieren Sie ihre - fünf - Glieder und begeben Sie sich in ihre Kabinen. Sie auch. Jetzt gleich. Versuchen sie, sich einen zivilen Aufzug überzuwerfen. Und dann möchte ich Sie wieder hier sehen - Sie beide."

Natalie steht zuerst auf. Wieder Kichern im Hintergrund. Kindisch - ich weiß, wie lächerlich ein de-errigierter, nasser Penis nach getaner Arbeit aussieht. Ich stehe auch auf und sammle Hose und T-Shirt auf. Natalie hat keine Kleidungsstücke ablegen müssen, die sie aufsammeln müßte. Sie verläßt deshalb zuerst die Zentrale. Dann ich gleich hinterher.

"Puh." sage ich draußen, im zentralen Niedergang. Natalie sieht mich vorwurfsvoll an, aber sie sagt nichts. Ich wüßte auch nicht, wieso und was. Wir verschwinden beide wortlos in unseren Kabinen.

Wie befohlen sind wir beide fünf Minuten später wieder in der Zentrale, ich in Jeans und in einem frischen T-Shirt, weil das andere auf dem Boden gelegen hat, und Natalie in dem offiziellen Bordoverall. Wir stehen neben dem Koppeltisch und warten.

Wellington, Fahlenbeek und Ammerlingen sind dabei, das Geschehene zu rekonstruieren, was ihnen auch ohne unsere Mithilfe weitgehend gelingt. Die ersten Besatzungsmitglieder beginnen bereits wieder, in ihre Kabinen zurückzugehen, da ja keine unmittelbare Gefahr besteht - Die Felsen waren am Höhleneingang unstabiler geschichtet als hier in der Höhlenmitte, was wohl daran liegt, daß die Felsen am Höhleneingang teilweise erst durch den Erdrutsch dort so hingelegt wurden wie sie bis vor kurzem noch lagen.

Jeder guckt uns an - keiner spricht mit uns. Ich werde an eine Situation in früher Kindheit erinnert: Volksschule, dritte oder vierte Klasse. Da war ein anderes Mädchen, die mir unter allen Umständen begehrenswert vorkam: Die ersten Vorboten der Sexualität waren dabei, zu erwachen. Was habe ich auf dem Pausenhof intrigiert, um beim Klingen der Glocke mit ihr Hand in Hand in der Reihe stehen zu können und zu warten, bis wir eingelassen werden! Was für ein Hochgefühl! Wie ich das nun gemacht habe, weiß ich nicht mehr - offenbar in ungeschickter, linkischer Weise, denn ich erinnere mich an ähnliche Blicke wie die, die jetzt auf uns ruhen. Dabei erinnere ich mich heute gar nicht mehr an den Namen dieses Mädchens. Ungefähr vierzig Jahre muß das jetzt her sein!

"Also, wie kam es dazu?" will Wellington wissen. Alle, die noch im Raum sind, horchen auf. Inzwischen hat Wellington längst herausgefunden, daß das ganze durch Natalie's Paßwort ausgelöst wurde. Er kann also nicht gleich alles mir in die Schuhe schieben. Natalie aber auch nicht, denn er weiß auch, daß Natalie nicht gerade an der Hackermentalität leidet. Jeder von uns beiden hätte allein das Geschehene nicht auslösen können.

Wir stellen die Situation so nüchtern dar, wie das eben geht - alles möglichst unglücklichen Umständen in die Schuhe schieben. Gerade noch, daß wir nicht der Computerkonsole die Alleinschuld zusprechen, aber es ist doch wahr: ich hatte nicht die geeingeten Paßwörter. Und als ich merkte, daß Natalie sie hatte, waren wir beide bereits mit anderen Dingen beschäftigt. Daß der Torpedoabschuß vorbereitet und sogar autorisiert worden war, drang kaum noch in unser Bewußtsein. Und dann hat einer von uns eben die Tastatur berührt - naja, man bewegt sich eben etwas beim Bumsen.

Wellington schüttelt den Kopf. So etwas hat er noch nicht gehört. Er fragt Natalie das, was ich mich auch gefragt habe: Wieso ist sie in diesem aufreizenden Aufzug in die Zentrale gekommen? Hatte sie die Absicht, mich zu verführen? Natalie antwortet dem Sinn nach das, was sie mir auch schon gesagt hat: Sie liebt das Tragen attraktiver Kleidung, auch, wenn niemand es sieht. Sie schläft immer so oder so ähnlich.

Ich sehe mich um: Mit dieser Information haben viele an Bord jetzt Stoff für schwüle Träume. Naja, mir ginge es ja genauso.

Nun erfahre ich aber auch, daß tatsächlich jeder andere die Paßwörter für die Schiffssteuerung mitgeteilt bekommen hat - nur ich nicht. Und das ist unter keinen Umständen entschuldbar: Entweder man findet Gründe - die gibt es - den nautischen Laien die Möglichkeit zur Eingriffnahme in die Schiffssteuerung vorzuenthalten - dann darf praktisch keiner vom wissenschaftlichen Personal diese Paßwörter kennen - oder jeder soll die prinzipielle Möglichkeit dazu haben. Dann frage ich mich, warum ich kein Paßwort bekommen habe. Das frage ich auch Wellington.

Sieh da. Wellington ist verlegen. Er zeigt es nicht, aber allmähich durchschaue ich ihn etwas. Normalerweise sind seine Antworten schneller. Entscheider brauchen die Fähigkeit, schnelle Antworten zu finden, auch wenn man diese später noch korrigieren muß.

Schließlich rückt er damit heraus:

"Herr Homberg, es liegt eine Anweisung der Projektleitung vor, Ihnen die Möglichkeit zur Schiffssteuerung vorzuenthalten."

"Nur mir?"

"Ja. Nur Ihnen."

"Und warum?"

"Herr Homberg, ersparen Sie es sich und mir, Ihnen noch einmal diese Sonderveranstaltung, die Sie eben geboten haben, zu beschreiben! In Zukunft, Herr Homberg ..."

"Nein," unterbreche ich, "so nicht! Niemand konnte dieses voraussehen. Es muß andere Gründe haben. Welche waren das? Ich möchte es wissen!"

"Wenn man Ihnen diese Gründe nicht mitgeteilt hat, dann wird das schon seine Berechtigung haben!"

"Das heißt, ich bin der einzige an Bord, dem von vorneherein offiziell mißtraut wird! So muß man das doch interpretieren, oder?"

"Von jetzt an," sagt Wellington, "werden neue Paßwörter vergeben. Frau Yay wird auch keins mehr haben."

"Das beantwortet meine Frage nicht."

"Ich habe Ihre Frage nicht beantwortet."

Er wendet sich ab. Dann fällt ihm noch etwas ein:

"Sie brauchen den Rest Ihrer Wachperiode nicht mehr in der Zentrale anwesend zu sein. Sie können schlafen gehen."

Und schon sind wir draußen, Natalie und ich. Bis zu unseren Kabinentüren sind nur einige Schritte.

"Natalie?" frage ich, als sie ihre Kabinentür öffnet und gerade hineinwill.

"Ja?" sie dreht sich um.

"Ich meine, wo unser Ruf jetzt sowieso ruiniert ist, zum Einen, und zum Anderen du in deiner engen Kabine nicht richtig schlafen kannst ..."

"Allein nicht!" sagt sie.

"Genau das wollte ich vorschlagen."

"Deine Kabine oder meine?"

Wir nehmen ihre. Die Probleme sind in beiden die gleichen - schon als einzelner kann man sich kaum ausziehen, ohne sich die Knochen zu stoßen. Das Leben zu zweit in vier Kubikmetern minus Einbaueinrichtungen stellt akrobatische Anforderungen.

"Ob sie uns die übliche Schlafperiode nach einer Nachtwache gönnen?" fragt Natalie, als wir endlich nebeneinander in ihrer Koje liegen, "Deine Zeit ist noch nicht rum!"

"Ich glaube, Wellington ist im Moment ganz froh, wenn wir nirgends tätig sind. Dann können wir keinen Schaden anrichten. - Ich wette, wir können ausschlafen."

"Aber ob er es damit bewenden läßt?" fragt sie. Sie hat sich jetzt ganz ausgezogen und drängt sich wieder an mich.

"Weiß ich nicht. Vergiß nicht, er war mal bei den Streitkräften. Ihm wird schon etwas einfallen - mir würde auch etwas einfallen, an seiner Stelle."

"Was denn?"

"Es muß über kurz oder lang das Saubermachen des Schiffes organisiert werden - bis jetzt haben das die Nautischen gemacht, und wir waren nur für unsere eigenen Kabinen zuständig. Ich wette, da wird sich etwas ändern. Ganz besonders, wenn weder du noch ich diese unbeliebten Nachtwachen mehr machen dürfen, weil man uns nicht mehr traut."

"Heißt das, wir werden demnächst mit dem Scheuereiner durch die Gänge fegen?"

"Genau das heißt das. - Ich habe auch irgendwann schon eine Bemerkung gehört, daß die Wissenschaftlichen jetzt damit drankommen sollen, aber ich weiß nicht mehr, wer es gesagt hat. Naja, lassen wir es auf uns zukommen. Schlafen wir besser etwas auf Vorrat."

"Du willst doch nicht etwa schlafen?" fragt Natalie empört.

"Wieso denn nicht? Was sollen wir denn sonst ..." Ich unterbreche mich selber. Natürlich. Statt weiterer Erklärungen zieht sie mich auf sich rauf.

Es ist bequemer als auf dem Sessel in der Zentrale. Es ist auch bequemer, weil heftigere Bewegungen nicht möglich sind - der Platz ist so eng. Und es ist bequemer, weil wir viel Zeit haben und uns viel Zeit nehmen. Ich schwimme auf und in ihr, und unten schmatzt es, und oben schmatzen wir auch, und wir lassen es dauern. Dann ist sie wieder oben, und ich spüre ihr Gewicht. Sie gibt sich ganz dem körperlichen Wohlgefühl hin, zeigt mir, wie man sich einfach treiben läßt, ohne zu denken, ein Ziel erreichen zu müssen: Wir haben doch ein Ziel erreicht. Und das feiern wir jetzt. Bis wir ineinander einschlafen. Irgendwann.

Und in der engen Koje war die ganze Zeit Platz genug.

Aber kurz vorher fällt mir ganz plötzlich wieder ein: Ich bin doch erst vor ein paar Tagen Witwer geworden - wie komme ich dazu, jetzt schon mit einer anderen Frau zu schlafen?

Aber das sage ich Natalie natürlich nicht.


Copyright © Josella Simone Playton 2000-09-15 14:00:00



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