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22. Neptun's Stimme
Da das Signal verschiedener Außenmikrophone auf verschiedene Innenlautsprecher gelegt wird, haben wir einen Stereoeffekt. Der ist ziemlich nützlich. So kam bis jetzt das ferne Rauschen der Brandung von allen Seiten, während die Geräusche im Gefolge der Explosion von einer Stelle ausgingen. Dadurch konnte man die Geräuschquellen sehr gut trennen. Ich habe zu Hause eine Stereoaufnahme eines Stückes von Eduard Grieg, mit dem man das sehr schön demonstrieren kann: an einer Stelle fällt nämlich einem der Musiker im Orchester ein Notenständer um. In Stereo kann man das ganz genau hören - in Mono überhaupt nicht.
Was aber jetzt von allen Seiten zu hören ist, ist nicht lokalisiert. Und wenn man in diesem ansteigenden Grollen eine Lokalisierung wahrnehmen kann, dann kommt sie - von unten!
Ich hechte zum Interkom. "Zentrale!" rufe ich, ohne zu verifizieren, ob mich jemand hört, "Zentrale! Auftauchen! Sofort! Anblasen!"
Den Ausdruck 'Anblasen' für das Einlassen von Preßluft in die äußeren Tauchtanks habe ich irgendwo anders gehört. Wellington wird schon wissen, wie er das Boot hochbringt. Wenn er dieses für richtig hält.
Amurdarjew dreht die Lautsprecher leiser. Gleich hört es sich weniger bedrohlich an. Aber das denke ich nur einen Moment, denn das, was wir jetzt hören, dringt direkt durch die Schiffswände zu uns herein.
"Ich glaube, wir haben etwas losgetreten!" sagt er, "Seht euch das an!"
Wir sehen es auch: Auf den Bildschirmen ziehen sich Risse und Kanten über den Meeresboden, die aber, weil es sich um lockeres Material handelt, immer gleich wieder einflachen. Schlamm wirbelt auf, am Rande des Lichtkreises scheinen richtige Schlammfontänen zu entstehen. Träge entfernt sich der beleuchtete Meeresboden von uns - Sinkt er, oder steigen wir? Das erste Mal spüre ich, daß das Boot schwankt.
"Festhalten!" rufe ich. Als ich Carola ansehe, kriege ich einen noch größerern Schreck: Sie ist ganz weiß im Gesicht und krallt sich an ihrem Sitz fest. Entweder sie gerät in Panik, oder sie hat etwas Bedrohliches festgestellt, was mir noch gar nicht aufgefallen ist. Was nur? Das Boot ist doch noch ganz!
Auch Edwin sieht nicht gut aus. Ich selbst wohl auch nicht. Aber ich klammere mich an einem Gedanken fest: Diese Titanstahlhülle kann Drucke von 1200 Bar aushalten. Wir sind aber nur in 180 Meter Wassertiefe. Da kann nichts das Boot so einfach kaputt machen.
Amurdarjew ist im Moment noch der kühlste von uns allen. Das liegt vielleicht daran, daß er damit beschäftigt ist, die Echos der Ultraschall- und der Radarsingnale zu inspizieren. "Das ändert sich jede Sekunde!" sagt er, und weil wir ihn noch verstehen können, kann der Lärm so laut nicht sein. "COzwei steigt auch wieder."
Trotzdem, das Boot schwankt immer stärker. Die ruhige Stimme von Wellington dringt über das P.A.-System in jeden Winkel des Bootes: "Bitte jedermann festhalten. Wir haben ein paar Turbulenzen!" - Für die, die es noch nicht gemerkt haben.
Nun kann man von aufgeschleudertem Sand und Schlamm den Meeresgrund überhaupt nicht mehr erkennen, und wir entfernen uns rasch von ihm. 160 Meter - 140 Meter. Immer neue Fontänen spritzen auf, Gas bricht aus den Schlammspalten hervor und der CO2-Gehalt des Wassers steigt immer weiter an. Dann können wir den Grund schon nicht mehr sehen.
"Festhalten - Bitte festhalten!" kommt noch einmal Wellingtons Stimme, "Wir springen gleich!"
"Wir tun was?" fragt Carola entgeistert.
"Wenn das Boot an der Meeresoberfläche ankommt, ist es ganz plötzlich vorbei mit der Fahrstuhlfahrt. Wenn du dich dann nirgends festhälst, dann liegst du auf der Nase! Das ist alles!" sage ich und zeige auf den Situation Screen. Wir haben nur noch ein paar Dutzend Meter bis zur Oberfläche zurückzulegen, und die Bilder der Außenkameras zeigen bereits Tageslichtreste, die immer stärker werden.
Ein paar Sekunden später ist es soweit. Ein Fahrstuhl, der in seiner Aufwärtsfahrt zum Stillstand kommt. Jeder spürt es in der Magengrube, und einen Moment lang sehen wir auf einem der Bildschirme die Berge von Sutherland.
Das Grollen und Dröhnen läßt nach. Es bleibt das Zischen zahlloser Luftblasen im Wasser - unter Wasser können die Kameras jetzt nur einige Meter weit sehen, und über Wasser ist ein aufgeworfener Sprühnebel aus feinsten Wassertropfen. In weitem Umkreis ist das Wasser weiß von Gasblasen. Interessanter Nebeneffekt: Dieses gasblasenhaltige Wasser dämpft alle Wellen, so daß die Kameras unter dem Laufsteg auf Deck praktisch kaum überspült werden. Trotzdem bleiben sie jetzt für Minuten wegen des Sprühnebels völlig blind.
"Ich fürchte, die Luken können wir nicht aufmachen!" sagt Amurdarjew und zeigt auf den Situation Screen, "Seht euch mal diese CO2-Konzentration an!"
Er hat recht. Aber der frische Seewind wird das CO2 rasch weggeweht haben, sowie nichts mehr von unten nachgeliefert wird.
Carola scheint sich jetzt wieder gefangen zu haben. "War es schlimm?" frage ich mitfühlend. Sie nickt.
"Ich glaube, wir waren nicht in wirklicher Gefahr. Aber ich habe auch Muffensausen gehabt. Das kannst du mir glauben."
Die Stimme von Wellingten kommt wieder über's PA: "Herr Amurdarjew und Herr Homberg. Bitte in die Zentrale. Besprechung."
"Kriegsrat." sage ich, "Wellington will das weitere Vorgehen besprechen. Ich bin sicher, ihr könnt mitkommen. Es wird höchstens eng. Gehen wir?"
Copyright © Josella Simone Playton
2000-09-15 14:00:00
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