Voriges Kapitel Inhaltsverzeichnis Nächstes Kapitel



Voriges Kapitel Inhaltsverzeichnis Nächstes Kapitel


******** ********

12. Megahertz und Gigahertz, Gigachip und Terachip

"Jetzt, wo Sie in Ullapool angekommen sind, dürfen Sie ja einige Dinge wissen, die man Ihnen in München noch nicht verraten hat. - Was glauben Sie, was das hier ist?"

Carola sieht von ihrem Terminal auf.

"Was glauben wir, was das ist, Carola?" frage ich sie.

"Ich weiß nicht." stellt sie fest und wendet sich wieder dem Bildschirm zu. Der ist interessanter als ein Metallstück von 11 Zentimetern Länge, 15 Millimetern Breite und 5 Millimetern Dicke und einem Gewicht von vielleicht 60 Gramm.

"Wir wissen es nicht." sage ich.

"Dann hören Sie zu. Ich habe es schon häufiger erzählt. Die Einzelheiten finden sie in der Online-Dokumentation üder die Hardware-Grundlagen der hier verwendeten Rechner. - Dieses ist ein Chip."

"Sieht aber aus wie Eisen. Und hat keine Beinchen! - Entschuldigung. Ich habe Sie unterbrochen!"

"Dieses ist ein Chip." setzt Dauphin noch einmal an, "Und der hat ein Speichervermögen von 2 hoch 39 Byte, organisiert als 64-Bit-Worte. Davon sind es also 2 hoch 36. - Andere Sprechweise: Es sind 512 Gigabyte. - Von dieser Organisation des Speicherinhaltes kommt auch die Bezeichnung: Das ist ein Sechsunddreißig-Vierundsechziger."

Dauphin macht eine Pause, um diese Information auf mich wirken zu lassen. Sie wirkt auch:

"Nein," sage ich bestimmt, "das ist unmöglich. Das ist rein physikalisch unmöglich. Welche Technologie sollte das sein? Die Speichermatrizen müßten dreidimensional sein."

"Das sind sie auch!"

"Sie nehmen mich auf den Arm!"

"Es ist kein Halbleiterchip."

"Ferromagnetisch?"

"Auch nicht. Das Prinzip ist ganz anders. Darf ich mal erklären, ja, so wie ich es verstanden habe? Ich weiß, daß Sie Physiker sind und daß ich vielleicht einiges ungenau erzähle."

"Bitte. Erklären Sie! Ich bin auch nicht mehr aus der Höhe, was Festkörperphysik betrifft. Ist schon so lange her."

"Stellen Sie sich einen Isolator vor. Einen leidlich guten Isolator mit schöner, ungestörter Kristallstruktur, oder, genauso gut, amorpher Struktur. Meinetwegen Silizium, oder Siliziumoxid. Oder Glas. Oder irgendetwas anderes. Da nehmen Sie jetzt ein paar Atome heraus, so daß eine winzige, längliche Höhle entsteht. Dann nehmen Sie ein polarisiertes, längliches Molekül, Salzsäure vielleicht, oder Flußsäure, oder vielleicht Wasser - geht auch. Geht fast alles. Das tun Sie in diese winzige Höhle. Das paßt gerade. Nur umdrehen kann das Molekül sich nicht."

"Weil es selbst, genauso wie diese Höhle, länglich ist?"

"Genau. Dazu müßte es Energie aufwenden, weil das umgebende Kristallgitter verformt werden müßte. Ein paar Elektronenvolt. Ein paar zig Elektronenvolt. Je nachdem. Solange es diese Energie nicht bekommt, bleibt es in einer der beiden möglichen Positionen. Und speichert damit ein Bit. Auf einem Volumen von nur wenigen hundert Kubik-Angström!"

"Das soll ich glauben? Das wäre ja phantastisch! - Wenn es machbar wäre. Aber wie soll man so etwas herstellen? - Und da muß man doch irgendwie Anschlüsse legen, denn das Ganze ist nur sinnvoll, wenn man so ein Bit auch setzen und löschen kann!"

Diese Einwände formuliere ich. Andere nicht, weil ich wirklich nicht ganz sicher bin. Wenn ich mich nicht irre, dann ist ein System, das zwei stabile Zustände annehmen kann, die durch einen Potentialwall von nur einigen Elektronenvolt getrennt sind, eben nicht allzu stabil. Es könnte entweder durch den Tunneleffekt oder durch thermische Fluktuationen von selbst den Zustand wechseln. Und so etwas ist kein zuverlässiger Speicher für Informationen. - Aber ich lasse Dauphin erstmal weiterreden, weil er so stolz auf diese Technologie zu sein scheint, als hätte er sie sich selbst ausgedacht.

"Lese- und Schreibvorgang sind im Prinzip einfach. Man führt in die Nähe dieser Höhlung elektrische Anschlüsse. Wenn man da eine Spannung anlegt, dann kann das elektrische Feld eventuell dieses Molekül gerade umwerfen, wenn es in einer der beiden Positionen liegt. Diesen kleinen Ladestrom kann man messen, und durch einen zweiten Impuls bringt man das Molekül wieder in die vorherige Lage. Ist doch ganz einfach, oder?"

"Ja, schon, aber - ich sehe immer noch nicht, wie man auf dieser kleinen Größenordnung gezielt große Mengen solcher Bauelemente herstellen kann, und nur dann hat es doch Sinn, oder?"

"Es ist auch nicht ganz einfach," sagt Dauphin, "genaugenommen ist es aufwendig und teuer. Jedenfalls noch. Man muß sich ein Aufdampfverfahren vorstellen. Rasterförmig werden verschiedene Substanzen auf das Substrat aufgebracht - wie eine Fernsehröhre, nur werden statt Elektronen eben irgendwelche Moleküle mit fein fokussierten Strahlen aus Ionen aufgetragen."

"Und solches Aufdampfen kann man auf Angstöm genau steuern?"

"Nein. Nur auf Mikrometer genau. Aber das reicht, weil man ja ins Dreidimensionale gehen kann."

"Das verstehe ich nicht. Wenn man nur auf ein Mikrometer genau ist, wie kann man dann gewissermaßen ein einzelnes Molekül kontaktieren?"

"Tut man nicht und kann man nicht. Ein Bit wird nicht durch ein einziges solches Molekül gespeichert, sondern durch eine ganze Menge davon. In das Volumen eines Kubikmikrometers passen nämlich eine ordentliche Anzahl rein. Das ist im Moment der Stand der Technik: Ein Bit pro Kubikmikrometer. Und so ein Volumen kann man kontaktieren - es ist immens zuverlässig! Viel zuverlässiger als Disketten und Halbleiterschips, oder was sonst je zur Speicherung einer 1-Bit Information ausgedacht wurde!"

"Und wieso - Sie haben doch von polaren Molekülen wie Salzsäure geredet - wieso reagiert das nicht mit dem Substrat?"

"Ich habe nicht gesagt, daß es gerade Salzsäure ist. Das war nur zur Illustration. Ich weiß nicht, was für ein polares Molekül verwendet wird. Betriebsgeheimnis. Jedenfalls gibt es keine chemischen Reaktionen, die den Chip altern lassen - und, im Gegensatz zum Halbleiterspeicher, behält er seine Informationen ohne Energiezufuhr. Und die Rohstoffe sind Allerweltsstoffe - wenn der Herstellungsprozeß einmal voll beherrscht wird und billig geworden ist, wird das der meistverwendete Träger von Daten sein - für alle Anwendungen. Archiv wie Arbeitsspeicher eines Rechners. Ersetzt Videoband und Bildplatte. Ersetzt alles, was je zur Datenspeicherung erfunden wurde, bis auf ein paar Anwendungen mit extremen Anforderungen."

"Tatsächlich? Dann sehen die Hersteller der 256-Megabitchips aber alt aus!"

"Noch nicht ganz. Diese hier sind nämlich noch sehr teuer, wie ich eben sagte. Natürlich nicht pro Bit, da sind sie heute schon bedeutend billiger. Ja, und die Technologie ist noch nicht freigegeben."

"Was soll das heißen: 'ist noch nicht freigegeben'?"

"Das heißt genau das, was es heißt. Man kann die Dinger noch nicht kaufen. Sie sind noch nicht einmal in öffentlich zugänglichen Fachzeitschriften beschrieben worden. Die EG möchte ihren Technologievorsprung nicht aufs Spiel setzen."

"Ach? Die sind von hier, aus Europa? Nicht aus Japan? Oder aus den USA?"

"Nein. Sind sie nicht. Eine rein europäische Entwicklung! Und die EG möchte das Monopol behalten, deshalb diese Geheimhaltung. Außerdem sind immer noch eine Menge technische Hürden zu überwinden, bevor man an eine Massenproduktion denken kann."

"Welche denn? Also, wenn ich mir so vorstelle, so eine kleine Höhlung in einem Kristall zu formen, nur ein paar Atome groß, wenn man das technisch beherrscht, dann kann man doch alles!"

"Nein," belehrt mich Dauphin, "gerade das ist noch am allereinfachsten. Man dampft das polare Molekül gleichzeitig mit dem Substrat auf. Dann entstehen diese Höhlungen automatisch. - Jedenfalls für die meisten dieser polaren Moleküle, und das reicht ja."

"So einfach ist das? Warum ist noch niemand vorher drauf gekommen?"

"Weiß ich auch nicht. Es ist komplizierter - Ich kenne ja nur das Prinzip und nicht die fertigungstechnischen Einzelheiten. Tatsache ist zum Beispiel, daß, selbst, wenn man mit einer so zuverlässigen Technologie so eine immense Menge von Bit-Zellen herstellt, dann gibt es Millionen davon, die nicht funktionieren. Man muß also ständig den Aufdampfvorgang unterbrechen, die schon vorhandenen Speicherareale kontaktieren und testen und defekte Speichergruppen durch Reservegruppen ersetzen - so, wie man es mit den klassischen Silizium-Speicherchips auch macht. Die Ansteuerelektronik in jedem dieser Speicherchips ist aus diesem Grunde unterschiedlich konfiguriert."

"Aha. Und wie schnell sind diese Dinger?"

"Nicht besonders. Wenn Sie dieses Ding da genau ansehen, dann erkennen Sie auf jeder Seite kleine Zonen, die in vier Reihen angeordnet sind. Das sind Kontaktzonen. Auf jeder Seite 5 mal 42 solche Zonen. Abstand untereinander ein zehntel Zoll, also 2.54 Millimeter. - Das kennen Sie, das ist der übliche Abstand der Beinchen in DIL-Gehäusen. - Macht insgesamt auf beiden Seiten zusammen 420 Kontaktzonen. Damit ist dieser Chip in der Lage, 256 Bit auf einen Schwung einzulesen und auszugeben. Also vier Wörter. Plus Prüfbytes, plus Kontrollinformationen. Was ein Chip und sein Controller sich eben so erzählen. Mit diesem breiten Informationsstrom kommt man auf ansehnliche Datenraten"

Ich sehe mir den kleinen Metallbarren genau an. Dauphin hat recht: Wenn man es nicht weiß, dann sieht man es nicht, aber wenn man ganz genau hinsieht, dann ist die netzartige Struktur der Kontaktflächen gerade eben erkennbar.

Carola ist jetzt doch aufgestanden, um sich das Ding auch anzusehen. "2 hoch 39 Byte?" sagt sie ungläubig, "Das sind 512 Gigabyte! Ein halbes Terabyte."

Das hat Dauphin zwar schon gesagt, aber Carola ist ja meistens mit ihrem Terminal beschäftigt. Wahrscheinlich hat sie jetzt aufgehorcht, weil sich so etwas wie Begeisterung in Dauphin's Stimme geschlichen hat.

"Richtig! Das ist ein bißchen mehr als auf einer Diskette, nicht wahr!"

"Das ist es," sage ich, "Aber - wie schnell sind die Dinger denn nun?"

"Ich sagte es schon - nicht sehr schnell. Schließlich muß laufend kontrolliert werden, ob alle Kontaktflächen wirklich Kontakt haben - das geschieht im normalen Betrieb etwa jede Millisekunde einmal - und für die übertragenen Daten muß sowohl dieser Chip als auch der Controller umfangreiche Prüfsummen ausrechnen. Die Taktrate ist im Burst-Modus 64 Megahertz. Dabei wird er aber auf Dauer zu heiß, das geht also nur einige Sekunden lang gut - im Dauerbetrieb sind es gerade 8 Megahertz. Also haben wir eine maximale Übertragungsrate von 32 Millionen Worten pro Sekunde im Dauerbetrieb. - Weil immer vier Worte gleichzeitig übertragen werden."

Ich versuche, nachzurechnen:

"Das heißt also, daß das Ding in - Moment, 2 hoch 36 Worte sind es, 2 hoch 25 Worte pro Sekunde können übertragen werden - in 2048 Sekunden vollständig gelesen oder geschrieben werden kann!"

"Richtig!" sagt Dauphin, "In 35 Minuten!"

"So langsam?" fragt Carola.

"Denk nach," sage ich, "bei dieser Speicherkapazität ist das immens schnell! Das ist ein Viertel Gigabyte pro Sekunde! Da kommt keine Festplatte mit! Keine, die ich kenne!"

"Genauso ist es," sagt Dauphin, "wenn Sie die üblichen Übertragungsraten zugrunde legen, dann ist diese Datenmenge nur in vielen Wochen übertragbar!"

"Und diese Dinger" frage ich, "sind auch in den Rechnern eingebaut?"

"Nicht ganz." erklärt Dauphin weiter, "Die fest eingebauten Chips haben Beinchen zum Anlöten - da gibt es verschiedene Bauformen, mit 84 oder 168 oder 210 Beinchen. Und wenn es sich um Speicherchips für den Arbeitsspeicher handelt, dann sind diese auf Geschwindigkeit optimiert. Ein typischer Speicherchip kann dann nur 2 hoch 32 solche 64-Bit-Worte speichern, oder noch weniger, aber er ist auf Dauer mit 64 Megahertz ansprechbar. Diese Chips haben dann eingebauten Cachespeicher und dergleichen. Und die Speicher, die in den Prozessorchips mit drinsitzen, sind natürlich noch um einiges schneller, weil die Signale nicht über den externen Bus gehen müssen. Da ist man im Moment bei 4 Gigahertz, glaube ich."

"Wieviel?"

Ich habe so laut gefragt, daß Carola einen Schritt zurücktritt.

"Vier Gigahertz!"

"Das - glaube - ich - nicht." stelle ich fest. Ich glaube es wirklich nicht.

"Und die meisten Instruktionen laufen - in - einem - Taktzyklus - ab!" stellt Dauphin fest, fast meinen Tonfall nachmachend, ohne dabei aber unhöflich zu scheinen.

"Nein!"

"Doch!"

"Nein! Vier Gigahertz, das heißt, daß während eines Taktes das Licht - und der elektrische Strom - nur sieben Zentimeter weit kommen! - Das heißt, bei Rechteckimpulsen, daß solche Impulse höchstfrequente Anteile haben - im Zentimeter- oder Millimeterwellenbereich!"

"So ist es!"

"Wie beherrscht man das, schaltungstechnisch?"

"Weiß ich auch nicht," sagt Dauphin, fast hilflos, "aber ich glaube, die Prozessortechnologie ist eine andere als die in diesem Ding hier. Das geht innerhalb eines Prozessors teilweise mit Licht. Und zwischen verschiedenen Chips gibt es auch dedizierte Chip-zu-Chip-Busse, die aus wellenwiderstandsmäßig abgeglichenen Lecherleitungen bestehen - bündelweise Lecherleitungen, die in die Platinen integriert sind. Die erlauben große Datenübertragungsraten. Da sind in diesen Maschinen eine Menge technischer Tricks angewendet worden. Aber ich weiß da wirklich keine Einzelheiten. Ich habe aber mal gehört, daß ..."

"Wir können ja leicht rauskriegen, ob es stimmt," sagt Carola, "lassen wir doch mal ein kleines Zählprogramm laufen!"

"Gleich," sage ich, und wieder zu Dauphin gewandt: "Man kann doch heute schon einzelne Atome mit dem Tunnelkraftmikroskop positionieren. Hat man diese Technologie eventuell verwendet?"

"Glaube ich nicht. Einzelne Atome, um so ausgedehnte Strukturen herzustellen ..."

"Man könnte an einen Kamm-artigen Aufbau denken! - Oder so nur gezielte Eingriffe an Defekt-Stellen."

"Ich weiß es wirklich nicht. - Jedenfalls sind die Dinger schnell."

"Lassen wir nun ein kleines Zählprogramm laufen?" fragt Carola ungeduldig dazwischen.

"Tun wir das." stimme ich zu, "Aber kennst du dich schon so gut mit dem System aus, daß du weißt, wo welcher Compiler ist?"

"Wir werden sehen. Ich habe mir eben ein Home-Directory eingerichtet."

Sie setzt sich wieder vor den Bildschirm. Ich sehe, daß sie in einem Fenster eine UNIX-Shell aufgerufen hat.

"Von einer graphischen Bedienung hälst du nicht viel!" stelle ich fest. Mit einer Shell tippt man die Kommandos an den Rechner so ein, wie man es vor dreißig Jahren auch schon gemacht hat, sogar schon zu der Zeit, als man statt Bildschirmen noch Fernschreiber verwendete.

"Das geht so am schnellsten." sagt sie. Rasch tippt sie ein:


        $vi test.c

"Meinst du, es gibt nicht bessere Editoren als diesen blöden vi?" frage ich, aber Carola reagiert nicht darauf. Der Editor hat den Bildschirm im Augenblick für sich eingabebereit gemacht.

"Emacs, zum Beispiel." fahre ich fort, aber ich merke schon, daß meine Beratung im Moment nicht gefragt ist.

Das Programm, das sie entwickelt, ist wirklich nicht sehr schwierig:


        #include <stdio.h>

        main ()

        {
           long i, ii;
           ii = 1000000;
           printf ("Jetzt fängt er an, bis %D zu zählen ... \n", ii);
           for (i = 0; i < ii; i++);
           printf ("Jetzt ist er damit fertig.\n");
        }

"Ich mag C nicht." sage ich.

"Das weiß ich. Aber es gibt mit Sicherheit überall da einen C-Compiler, wo es UNIX oder einen seiner Ableger gibt!"

"Einen C++-Compiler gibt es auch überall, wo ..." fange ich an, halte dann aber den Mund. Carola ist leicht unwirsch. Mit

$cc test.c -o test

stößt sie die Compilation an. Ohne die kleinste merkbare Zeitverzögerung erscheint wieder der Shellprompt, so daß man im Zweifel darüber bleibt, ob der Rechner wirklich etwas getan hat.

"Also beim Compilieren ist er schnell!" sagt sie, "Nun wollen wir mal:"

Sie tippt ein:


        $test

Und augenblicklich erscheint:


        Jetzt fängt er an, bis 1000000 zu zählen ...
        Jetzt ist er damit fertig.

"Ich habe keinen Zeitverbrauch gemerkt." stelle ich fest. Carola tippt:


        $time test

Auf diese Weise mißt das System den Zeitverbrauch dieses Programmes. Wir lesen:


        Jetzt fängt er an, bis 1000000 zu zählen ...
        Jetzt ist er damit fertig.
        real : 00:00:00.000244
        user : 00:00:00.000244
        sys  : 00:00:00.000000

"Donnerwetter," sage ich, "es stimmt!"

"Woran siehst du das so schnell?" fragt Carola, "vielleicht hat der Compiler irgend etwas weg optimiert, und dieses Programm zählt gar nicht bis zu einer Million, wie es soll!"

"Doch," sage ich, "da ist nichts wegoptimiert worden. Eine Million Schleifendurchgänge brauchen eine Viertel Millisekunde. Das sind vier Milliarden in einer Sekunde. Stimmt genau! Ein Schleifendurchgang pro Taktzyklus, mit Addition, Schleifentest und Sprungbefehl. Also der Instruktionssatz von diesem Prozessor würde mich interessieren!"

"Dokumentation darüber ist auch im System." wirft Dauphin ein.

Carola probiert noch eine Weile rum, bis sie auch Compiler für andere Sprachen gefunden hat. Sie programmiert rasch ganz genau dasselbe Problem in Pascal:


        program count;

           var i, ii : longint;

        begin
           ii := 1000000;
           writeln ('Jetzt fängt er an, bis ', ii, ' zu zählen ...');
           for i := 1 to ii do;
           writeln ('Jetzt ist er damit fertig.');
        end.

Und in Ada:


        with TEXT_IO; use TEXT_IO;

        procedure COUNT is

           II : LONG_INTEGER;

        begin
           II := 1_000_000;
           PUT ("Jetzt fängt er an, bis ");
           PUT (LONG_INTEGER'IMAGE (II));
           PUT (" zu zählen ...");
           NEW_LINE;
           for I in 1 .. II loop
              null;
           end loop;
           PUT ("Jetzt ist er damit fertig.");
           NEW_LINE;
        end COUNT;

Mehr Programmiersprachen probieren wir nicht aus. Es muß noch einen Modula-Compiler auf dem System geben, aber diese Sprache liegt mit ihren Eigenschaften ungefähr zwischen Ada und Pascal - ein Experiment damit würde keinen neuen Erkenntnisse bringen. Ebenso kümmern wir uns nicht um FORTRAN, ALGOL, C++, BASIC und FORTH. Smalltalk kennen Carola und ich nur vom Hörensagen, das könnten wir nicht ausprobieren, wenn es das hier geben sollte.

COBOL gibt es wahrscheinlich nicht - Gottseidank. Ich habe mir bei meinem alten Arbeitgeber nicht nur Freunde gemacht, wenn ich gegen COBOL polemisiert habe: 'Betriebswirtschaftler sind die Bremsbeläge des Fortschrittes - COBOL ist die Programmiersprache für betriebswirtschaftliche Aufgaben - ergo?' Außerdem wüßte ich wirklich nicht, was COBOL an Bord eines U-Bootes zu suchen hat.

Die Zeitmessungen mit den ablauffähigen Programmen, die sie so erzeugt, sehen ganz genauso aus wie die mit dem C-Programm. Jedes Programm braucht eine viertel Millisekunde. Und auch diese beiden Compiler sind so schnell, daß man keine Zeitverzögerung durch das Compilieren bemerkt.

"Ich fange an, ihnen zu glauben!" sage ich. "Sagenhaft. Mein alter ATARI-Computer braucht dafür 10 oder 20 Sekunden! Und mein uralter APPLE ][ wahrscheinlich einige Minuten. Auch mein EISA-Hochofen bräuchte da noch eine halbe Sekunde oder so."

"Ich glaube es aber noch nicht," wirft Carola ein, "wieso ist die verflossene Zeit genauso groß wie die verbrauchte CPU-Zeit? Ist denn sonst keine Aktivität auf dem System?"

"Doch doch," meint Dauphin, "die anderen Prozesse werden sich um die anderen Prozessoren balgen."

Ich muß lachen: "Andere Prozessoren! - Wieviele sind es denn?"

"Ich weiß es nicht. Genug für jeden Expeditionsteilnehmer, für jede Aufgabe an Bord, und noch einige mehr!"

Dann läßt Dauphin sich noch etwas über den Befehlsvorrat dieser Prozessoren aus. Alles, was ich mitkriege, ist, daß es die reinste Wundertechnologie zu sein scheint - Traum eines jeden Programmierers, ob für anwendungsnahe Aufgaben oder für die Systemprogrammierung. So kennen diese Prozessoren eine sehr effektive Adressenrechnung - ob ein Maschinenbefehl nun eine absolute Adresse enthält, oder ob noch einiges gerechnet werden muß, weil sich die Adresse über Register-Indirektionen ermittelt oder über Offsets errechnet, das macht in der Geschwindigkeit keinen Unterschied.

Weiterhin gibt es hardwaremäßig alle Datentypen, die man so braucht - ganze Zahlen, zum Beispiel, oder Integer-Zahlen, wie der Programmierer sie im allgemeinen nennt, haben nicht nur eine Länge von 16, 32 und 64 bit, wie man das erwarten würde, sondern alle bit-Längen, die Potenzen von 2 sind, kommen vor. Wenn ein Programmierer zwei Zahlen mit einer Länge von 262144 bit durcheinander dividieren will, dann braucht er dazu nur einen einzigen Maschinenbefehl! - Allerdings, bei dem Beispiel, gibt Dauphin zu, brauchen diese Prozessoren schon ein paar Taktzyklen mehr, weil nicht mehr alles in die Register hineinpaßt.

Selbstverständlich können diese Prozessoren auch ganz hervorragend mit Gleitkommazahlen aller Längen umgehen. Selbstverständlich sind für alle Gleitkommadatentypen sämtliche Operationen fest einprogrammiert - auch die technisch-naturwissenschaftlichen Funktionen. Auch einen Tangens von einer 1048576 bit langen Gleitkomma-Zahl auszurechnen erfordert nur einen einzigen Maschinenbefehl. Und wenn die Zahl nicht ganz so lang ist, so daß sie vollständig in die Register paßt, dann geht das auch ordentlich schnell. So gesehen lassen diese Prozessoren alles hinter sich, was ich an Coprozessoren kenne.

Ich denke an die vielen Firmen, die Coprozessoren für die PCs der ganzen Welt herstellen. Alle schon abgehängt - und sie wissen es noch nicht!

"Ich weiß noch etwas, aber ich bin überhaupt nicht sicher, ob diese Information stimmt." sagt Dauphin. "Jedenfalls habe ich es mal gehört."

"Nämlich?" frage ich.

"Daß diese Prozessoren alle einen internen Takt von vier Gigahertz haben, stimmt vielleicht nicht."

"Sie meinen, es gibt doch noch ein paar langsamere?"

"Es gibt noch ein paar schnellere. Im Labor kann man schon mit Lichtpaketen rechnen, die nur 2 Millimeter lang sind. Das ist ein Takt von 128 Gigahertz."

Ich rechne schnell nach: "Kommt hin. Aber das ist doch völlig unglaublich. Wo kommt die Abwärme hin?"

"Die laufen mit Fredkin-Gattern - fast verlustlos. An einer Seite geht Licht rein, an der anderen Seite kommt es raus. In den Dingern selbst ist damit gerechnet worden. Das geht."

"Und die sind hier ..."

"Weiß ich nicht. Glaube ich eigentlich nicht. Zu teuer. Die meisten Prozessoren hier an Bord laufen wohl mit vier Gigahertz. - Aber es ist schon nicht mehr das allerneueste."

128 Gigahertz, denke ich. Was könnte man damit alles anstellen.

"Ich weiß auch, daß sie es mit den ein Millimeter langen Lichtpaketen noch nicht hingekriegt haben. Definitiv. 256 Gigahertz geht nicht." fährt Dauphin fort.

"Vielleicht hat er doch recht," sagt Carola, die die ganze Zeit mit dem System herumexperimentiert hat, jetzt, "sieh mal hier - wenn ich das Fenster mit dem Trackball verschiebe, dann ist es dauernd vollständig sichtbar - nicht nur ein Rahmen, wie in den frühen Windows-Versionen. Das heißt, wenn sich das Fenster ständig bewegt, dann muß die Grafik doch 70 Mal pro Sekunde vollständig neu ausgerechnet werden!"

"128 mal." sagt Dauphin, "So oft pro Sekunde kann das Bild neu dargestellt werden. Bei diesem Bildschirm sind es übrigens 32768 mal 32768 Bildpunkte. - Sehr kleine Bildpunkte, natürlich - 64 auf den Millimeter."

"Nein," sage ich, "Nein, nein, nein und nochmals nein! Ein so hochfrequentes Videosignal kann keine Elektronik auf der Welt verarbeiten! Das können Sie mir jetzt nicht erzählen! Das nicht! - Das wäre etwas im Bereich von - von über hundert Gigahertz! - Und es gibt auch keine Bildröhre, die einen Elektronenstrahl so fein fokussieren kann! Es ist einfach ..."

"Richtig," sagt Dauphin trocken. "so eine Bildröhre gibt es nicht. Weder hier noch anderswo."

"Ah?"

"Das sind Festkörperbildelemente. So etwas ähnliches wie LCD, aber nur so ungefähr. Und jeder Bildschirm wird von einer Menge Grafikprozessoren unterstützt. - Also, wenn sie jetzt so ein Fenster da verschiebt, dann hat ihr Prozessor kaum etwas damit zu tun. Das machen alles die Grafikprozessoren."

Ich halte den Mund. "Schwankt dein technologisches Weltbild?" fragt Carola besorgt.

"Ja. Ich muß das alles erst einmal verdauen. - Das ist hier ein technologischer Wunderpark - in München hießt es immer nur, für alle notwendigen Zwecke seien 'genug' Computer an Bord, aber es hat nie jemand spezifiziert, was 'genug' ist. - Sind diese Grafikprozessoren vielleicht auch 'noch nicht freigegeben'?"

Dauphin geht darauf nicht ein - vielleicht hält er es für eine rhetorische Frage. "Jeder von Ihnen bekommt einige von diesen Speicherchips, von diesen 36-64-er, für Ihre persönlichen Daten. In dem Schrank da liegen sie. Für alles, was sie nicht auf dem System aufbewahren wollen." zeigt er.

"Jetzt gleich?"

"Wenn Sie wollen."

Wir hören, wie jemand den Aufgang von der Kantine heraufkommt.

"Das ist David Aldingborg. Sein Hobby heißt aber Tuborg." sagt Dauphin, "Auch technischer Bootsdienst. Auch schon länger in Ullapool. Genauso lange wie das Schiff. Wie ich. - Die Dame in seiner Begleitung kenne ich aber nicht."

"Ich kenne sie," sage ich, "es ist meine Frau."

"Ah!" sagt Dauphin, "Sehr erfreut!"

Es juckt mich, zu sagen, 'Warum denn?', aber ich weiß auch nach 12-jähriger Ehe nie genau, wann die Irene Anflüge von Humor zeigen könnte und wann nicht. Außerdem ist, dem Tonfall nach, Dauphin wirklich erfreut, weil er so einmal die andere Hauptperson des Romans zu Gesicht bekommt.

"Wo bleibst du denn?" fragt Irene vorwurfsvoll, aber mit einem heiteren Gesicht, von dem ich weiß, daß es nicht für mich bestimmt ist. "Weißt du, wie spät es ist? Draußen ist es dunkel!"

"Uns werden gerade Boot und Rechner vorgeführt!"

"Wer ist 'uns'?"

"Hier, Carola! Erkennst du sie nicht mehr? Soviel ist sie doch nicht älter geworden, in den paar Tagen, vor denen ihr euch in München zum letzten Male gesehen habt!"

Nun folgt erst einmal eine Diskussion zwischen Carola und Irene, die sich im wesentlichen um das Älterwerden dreht, und um die Folgen für das Aussehen. Hätte nicht gedacht, daß Carola so ausdauernd darüber reden kann - ich denke, sie ist gerade so fasziniert von den Schiffsrechnern, daß sie für nichts anderes mehr Augen hat?

"Wollen wir die anderen Decks ein andermal begehen?" fragt Dauphin, "Ich meine, uns ist es egal, aber Landgang wäre nicht schlecht."

"Also ist es Ihnen nicht ganz egal!" stelle ich fest, "Gehen Sie nur. Aber wie kommen wir nachher vom Schiff herunter?"

"David zeigt es Ihnen dann. Er ist in der Zentrale. Das wissen Sie ja: die ist gleich hinter dem zentralen Niedergang, auf dem hinteren Mitteldeck. Ich denke, Sie wollen sich jetzt weiter ein bißchen mit den Rechnern vertraut machen!"

"Ja." sage ich, in klarem Bewußtsein, daß Irene das nicht will. Aber Carola und ich sind in der Mehrheit.

"Wie gefällt dir das Boot?" frage ich Irene, als Aldingborg nach unten verschwunden ist. Dauphin hat sich auch zum Gehen gewandt, bleibt dann aber noch stehen, so, als wollte er noch etwas sagen, was ihm momentan entfallen ist. Es fällt ihm aber nicht ein, und so geht er auch nach unten.

"Klasse! Gemütlich!" meint Irene.

"Gemütlich? - Mmh. - Hast du die Kabinen gesehen?"

"Nein."

"Sonst würdest du das auch nicht sagen. Wenn wir zurückgehen, werfen wir noch einmal einen Blick in eine."

"Ich mag bald zurückgehen. Ich bin müde!"

"Irene, wir möchten hier noch ein bißchen hacken! - Da! Da ist doch so ein schöner Sitz!"

Irene murrt, aber sie fügt sich - erst einmal. Das macht Carola's Anwesenheit.

"Ich bin lange allein, wenn ihr unterwegs seid!" stellt sie fest. Was immer sie damit andeuten will.

"Du kannst dich immer noch entscheiden, mitzukommen!"

"Nein danke. Ich mag nicht unter Wasser sein."

"Nein? Was glaubst du, wo du jetzt bist? Da oben" ich zeige an die Decke "ist jetzt der Wasserspiegel!"

"Das ist noch nicht dasselbe. Das Boot guckt noch aus dem Wasser raus."

"So, meinst du? Wenn jetzt jemand auf die Idee käme, mit offener Luke und offener Eingangsschleuse die Tauchtanks zu fluten, bis das Wasser über den Lukenrand hereinläuft, dann kommen wir nicht mehr lebendig hier raus!"

"Herwig! Ich mag das nicht hören!"

Carola hat die ganze Zeit, während ich und Irene uns dieses harmlose Wortgefecht liefern, an dem Terminal weitergearbeitet. Jetzt blickt sie auf.

"Da ist ein Dateiverzeichnis mit Schrott. Es sind keine Binaries."

"Ja und?"

"Was sind 'Binaries'?" fragt Irene dazwischen.

"Ausführbare Programme. Im Gegensatz zu etwa Textdateien oder anderen Daten."

"Aha." sagt Irene und tut so, als habe sie es verstanden.

"Ich glaube, da will jemand etwas geheimhalten." meint Carola.

"Soll er doch," sage ich, "da es zu deinen Aufgaben gehören wird, Systemverwalter für diese Rechner zu spielen, kannst du dir alles ansehen. Da helfen die Schutzattribute nicht. Also muß, wer etwas für sich behalten will, chiffrieren. - Wer ist es denn? Ich meine, welches Dateiverzeichnis ist es?"

"Kein Benutzerverzeichnis. Es ist ein Verzeichnis in /etc."

"Frechheit," sage ich, "da hat niemand private Daten zu halten. Das mußt du als Systemverwalter unterbinden. Wie heißt denn das Verzeichnis?"

"/etc/mission-instructions."

"Hört sich interessant an. Aber es kann irgend etwas sein, was das System braucht."

"Ist es aber nicht." sagt Carola, "weißt du, was ich mir hier gerade ansehe?"

"Nein."

"Eine Datei namens 'typescript'."

"Oh. Ein Sitzungsprotokoll. Vielleicht ist das unabsichtlich entstanden?"

"Das weiß ich nicht. Aber sieh doch her: Diese Kommandos. 'vi -x', und dann einige der Dateinamen. Völlig klar. Da hat irgend jemand Geheimnisse. Da hat sich jemand verschlüsselte Texte angesehen oder welche erstellt."

"Und alles unter der Kennung des Systemverwalters."

"Was uns nichts nützt, denn jeder, der hier zu tun hat, kennt die System-Paßworte. Wir wissen nicht, wer das gemacht hat. Es kann jeder sein. - Und das Sitzungsprotokoll zeichnet nicht die Paßworte auf, die derjenige verwendet hat."

"- was besonders schade ist." ergänze ich.

Wir schweigen eine Weile. Irene steht auf und kommt näher.

Plötzlich taucht Dauphin wieder im Niedergang auf: "Fast hätte ich noch etwas vergessen!" sagt er, "Schauen Sie mal her!"

Er holt aus dem Schrank, wo auch die 36-64-er liegen, etwas, was auf den ersten Blick so wie eine kleine, okerfarbene Aktentasche aussieht. Diese Tasche ist so groß, daß gerade eine DIN A4 Seite hineinpassen könnte, und ein Trageriemen vervollständigt den Eindruck einer Tasche. Es ist aber keine Tasche:

"Dies" sagt Dauphin, "ist ein VICOMP. Jedem von Ihnen steht eins zu - es ist schon in der Kabine - und wir haben auch noch ein paar mehr davon an Bord."

Er klappt die Tache auf. Ich sehe einen Flachbildschirm und eine normale Tastatur ohne numerischen Block.

"Ein Notebook?" frage ich.

"Auch. Und eine Videokamera. Und ein Wiedergabegerät. Und ein Walkman. Und vieles andere." Er zeigt uns die Aufnahmeschlitze für acht 36-64-er Speicherbausteine und die Interfacebuchsen, mit denen eine Verbindung zum Hauptrechner hergestellt werden kann.

"Wo sind denn da die Kontaktstifte?" frage ich.

"Optisch, natürlich!" sagt er, "Ist doch viel betriebssicherer, auch bei leichter Verschmutzung!"

"Natürlich." Wie konnte ich etwas anderes annehmen?

Seitlich, links an der Tastatur, kaum zu sehen, auch wenn es nicht gerade versenkt ist, das Zoom-Objektiv, die Trackballs zum Einstellen der Kamera, die aber auch für den Betrieb als Computer gebraucht werden, der Sucher an der anderen Seite, denn, so erfahre ich, es ist zwar möglich, in aufgeklapptem Zustand den Bildschirm als Sucher zu verwenden, aber nicht ganz so praktikabel.

"Man kann das Ding auch gleichzeitig als Videokamera und als Rechner benutzen - das ist mehr ein Problem der eigenen Geschicklichkeit denn ein technisches."

Ich erfahre, daß die Bildqualität weit über dem liegt, was bei Videokameras üblich ist, wenn sie auch nicht das erreicht, was die Flachbildschirme an Bord leisten. "4096 mal 4096 Pixel." sagt Dauphin, "Der Bildschirm hat 12800 mal 19200 Bildpunkte. Bei der Wiedergabe kann man also zwischen verschiedenen Bildgrößen wählen. Oder auch mehrere Aufzeichnungen gleichzeitig in verschiedenen Fenstern wiedergeben, wenn Sie wollen."

"Was ist denn da für ein Prozessor drin?"

"Derselbe wie im Schiffsrecher. Allerdings eine Low-Power-Version!"

"Und wie lange hält das Ding mit dem Akku durch?"

"Ein paar Tage, wenn es im Dunkeln betrieben wird. Das Gehäuse ist jedoch mit einer Schicht bedeckt, die die Eigenschaften einer Solarzelle mit hohem Wirkungsgrad hat. Im Normalbetrieb muß man die Akkus also nie laden, und wenn doch, dann meldet sich das Ding rechtzeitig."

"Phantastisch." sage ich, "Wenn ich das mit meiner Videokamera zu Hause vergleiche ..."

Carola unterbricht mich: "Also, ich möchte wissen, was das hier ist. Wirklich. - Das gehört nicht hierher!"

Ich erinnere mich wieder daran, daß sie gerade ein paar geheimnisvolle Dateien gefunden hat. Ich habe es ganz vergessen, als Dauphin mir den VICOMP erläutert hat - das ist schließlich auch ein faszinierendes Gerät! Dauphin legt das Gerät zurück und wendet sich endgültig zum Gehen.

"Naja," sage ich und nehme den VICOMP wieder zur Hand, als er weg ist, "vielleicht bringen wir es in einer der nächsten Projektbesprechungen zur Sprache. Das Zeug ist am falschen Ort, aber sonst ist ja nichts Schlimmes passiert. Es kann jeder verschlüsseln, soviel er will. Gerade, weil wir offenbar soviel Platz haben. Ist ja nicht einmal ein Megabyte. - Und vielleicht ist es ja doch etwas dienstliches. - Sieht dir mal dieses VICOMP an, Carola!"

Sie geht nicht darauf ein: "Es ist fast ein Megabyte," stellt sie fest, "soviel schreibt man nicht zum Spaß." Irene sieht ihr über die Schulter.

"Wir sind nicht zum Spaß hier." sage ich, "Außerdem weiß ich, daß man ein Megabyte nicht zum Spaß schreibt. An den mehr als drei Megabyte von den 'Granitbeißerinnen' habe ich 18 Monate geschrieben."

"Jaja. Das weiß ich. Hast du schon erzählt. Von mir aus kann auch jeder schreiben und verschlüsseln, was er will. Aber da wissen wir nicht einmal, wer es ist!"

"Was ist 'vi -x'?" fragt Irene. Ich versuche, ihr eine kurze Einführung in einige elementare Funktionen des PRO-UNIX zu geben und kurz zu erläutern, was für ein Editor der 'vi' ist. Dabei merke ich aber, daß sie müde ist und nicht richtig zuhört.

Carola hackt derweil auf der Tastatur herum. Sie analysiert mit dem 'file' Kommando die Dateien. Ich weiß aber, daß das nichts bringt: Das 'file'-Kommando ist dazu da, aus dem Inhalt der ersten paar Dutzend Bytes einer Datei möglichst intelligent zu erraten, um was es sich handeln könnte. Es erkennt zum Beispiel ziemlich zuverlässig ausführbare Programme. Aber Programmtexte, Scripts, also Kommandodateien, und umgangssprachliche Texte verwechselt es ziemlich häufig. Wenn es gar nichts herausfindet, dann sagt es einfach, daß es sich bei den untersuchten Dateien um 'Daten' handelt. Das einzige, was niemand bezweifelt - was sonst sind denn Dateien?

"Ich kriege ihn!" sagt Carola plötzlich, "Hier: Aus den Dateiattributen wissen wir ja, wann diese Dateien das letzte Mal angefaßt worden sind. Mal sehen, wer da am System eingelogt war."

"Einfach genial, und genial einfach." sage ich. "Wäre ich nicht drauf gekommen. Bin wohl auch schon müde." Irene wirft mir einen dankbaren Blick zu.

Carola's Hände fliegen über die Tastatur. Dann kriegt sie große Augen.

"Niemand!" sagt sie.

"Niemand? Das ist unmöglich."

"Doch. Sieh selbst."

"Ich kenne mich mit diesen Protokolldateien nicht aus."

"Aber ich. Und zu diesem Zeitpunkt war niemand drin. Stunden vorher nicht, und Stunden danach auch nicht."

"Vielleicht war es ein Script, das alleine lief?"

"Ein Script, das den vi bedient? Das glaubst du doch wohl selber nicht! Wenn man im Batch etwas verschlüsseln möchte, dann verwendet man den 'crypt'!"

"Ich verstehe überhaupt nichts mehr!" sagt Irene, "Ich will ins Bett!"

"Ja, gleich!" winke ich ab, "Carola, kannst du die periodischen Systemprozesse abchecken? Da gibt es doch, glaube ich, diesen crontab ..."

"Das heißt bei PRO-UNIX anders. Aber ich bin schon dabei. Und die laufenden Dämonen muß ich mir auch ansehen."

"Die laufenden was?" fragt Irene.

"Stör sie nicht!" sage ich, "Sie denkt." Während dieser ganzen Diskussion versuche ich, mit dem VICOMP ein paar Aufnahmen zu machen.

Dämonen sind Prozesse, die in UNIX dauernd laufen und die irgend etwas Nützliches tun. Außerdem müssen sie nicht unbedingt einem Ein- oder Ausgabegerät zugeordnet sein. Jeder UNIX-Benutzer hat sich an diese Bezeichnung gewöhnt, aber Laien muß diese Wortwahl natürlich seltsam vorkommen.

Es vergeht eine halbe Minute. Dann faltet Carola ihre Finger hilflos zusammen. "Ich versteh es nicht," sagt sie, "ich verstehe es nicht."

"Vielleicht," schlage ich nach einer Weile vor, "hat jemand direkt im Dateisystem herumgefummelt, um die Dateiattribute auf Bit-Ebene zu manipulieren!"

"Meinst du, hier laufen noch mehr solche Kindsköpfe herum wie du einer bist? - Kannst du nicht einmal diese verdammte Kamera wegnehmen?"

Zwei Anschisse auf einmal. Das muß ich jetzt erst einmal verdauen. Irene freut sich - so müde ist sie also doch noch nicht.

Zwei Minuten später: "Also gut," sage ich, "wir können es nicht entschlüsseln, und wir wissen nicht, warum die Dateien benutzt wurden, als niemand auf dem System war. Was sagt das schon? Hier ist eine Menge Software installiert, die wir nicht verstehen. Die ganze Schiffssteuerung - wenn du dich bis zu diesen Rechnern durchschaltest, wirst du wahrscheinlich überhaupt nichts Vertrautes mehr wiedererkennen!"

"Ich will aber wissen, was da los ist!"

"Wenn zufällig gleichzeitig ein Audit gelaufen wäre - aber da hat der große Unbekannte sicher aufgepaßt, daß das nicht der Fall war."

"Ein was?" fragt Irene.

"Ein Audit. Mitschneiden des gesamten Datenverkehrs mit allen anderen Rechnern, Peripheriegeräten und allen Terminals."

"Und warum macht man das nicht dauernd?"

"Weil dabei eine immense Menge an Daten entsteht, die letztlich niemanden interessiert, und weil das System dadurch heruntergebremst wird."

"Aha." sagt Irene und gähnt. Carola fängt an, einige Paßwörter zu erraten. Das führt bekanntlich nirgendwo hin - die Menge der möglichen Paßwörter ist immens groß. Einzige Hoffnung ist, daß der Unbekannte etwas genommen hat, was er sich leicht merken kann. Vielleicht etwas projektspezifisches. Carola probiert den Schiffsnamen aus, den Namen der Stadt Ullapool, 'Nessie' genauso wie 'Welthöhle' genauso wie 'Lohnsteuerrückerstattung'. Und 'Grohmann', und 'Greenock', und 'Schiffszwieback'.

"Probier doch sein Pseudonym!" schlägt Irene vor.

"Blödsinn!" sage ich, "niemand verwendet Paßwörter, die gerade andere besonders leicht erraten könnten! - Das ist hier ein ernsthaftes und teures Projekt! Da werden doch alle Mitarbeiter wissen, wie man Sicherheitslücken zu vermeiden hat!"

"Dann werdet ihr es nie finden!" Irene gähnt demonstrativ. Sie hat ja recht. Paßwörter-Raten bringt einfach nichts.

Carola tippt müde auf der Tastatur herum. Dann bekommt sie Glotzaugen. Für einen Moment jedenfalls. "Das ist es!" sagt sie.

"Was?"

"'Josella Playton'. Das Zeug hier ist mit 'Josella Playton' verschlüsselt!"

Ich sehe ihr über die Schulter. Sie hat recht. Da ist Klartext.

"Irene," sage ich, "du bist ein Genie!"

"Das weiß ich," sagt Irene, bar jeder Bescheidenheit, "gehen wir jetzt heim?"

"Moment noch, wir wollen mal kurz gucken, was drin steht, wo wir es jetzt lesen können!"

Carola ist schon dabei, es zu lesen. "Blätter noch einmal zum Anfang zurück!" bitte ich sie.

Es sind offizielle Schreiben einer Dienststelle der EG, die ich nicht kenne. Carola kennt sie auch nicht. An wen sich die Schreiben richten, ist auch nicht klar, da der Name nie genannt wird. Manche Schreiben klingen wie Anweisungen an jemanden hier an Bord, andere sind Papiere zwischen verschiedenen Dienststellen der EG. Ich lege den VICOMP in den Schrank zurück, nachdem ich den 36-64-er, auf dem ich eben Aufnahmen gemacht habe, herausgenommen habe, und wir lesen weiter.

"Herwig," sagt Carola nach einer Weile, und in dieser Weile wird mir bewußt, wie verdammt still das Boot ist, "da ist etwas faul. - Da ist etwas oberfaul."

Sie spricht meine Gedanken aus.


Copyright © Josella Simone Playton 2000-09-15 14:00:00



Voriges Kapitel Inhaltsverzeichnis Nächstes Kapitel



Voriges Kapitel Inhaltsverzeichnis Nächstes Kapitel


Zurück zu meiner Hauptseite