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11. Das Boot
Ich hatte ganz vergessen, daß das Boot keinen Turm hat. Deshalb habe ich die gewölbte, graue Metallfläche da unten im Wasser mit dem aufgesetzten Metallgitter-Laufdeck und den robusten Kollisionsschienen, über die man sicher hervorragend stolpern kann, nicht gleich als das erkannt, was es ist. Keine Luke ist offen. Kein Lebenszeichen. Nur eine Metallinsel, die, ein paar Dutzend Meter lang, flach ins Wasser fällt und den Wasserspiegel um nicht viel mehr als einen Meter überragt. Die graue Farbe läßt nicht erkennen, um welch hochwertige Legierung es sich hier handelt. Auch die richtige Größe kann man schwer abschätzen, da das meiste unter Wasser ist.
Und auch die uniformierten Posten, die in einigen Dutzend Metern Entfernung scheinbar gleichgültig und wie zufällig herumlungern, fallen mir jetzt erst auf. Wahrscheinlich läuft hier auch Sicherungspersonal rum, das nicht auf den ersten Blick als solches kenntlich ist. Dieses Boot hat schließlich mehr gekostet als sämtliche Schiffe, die im Moment in Ullapool vor Anker liegen, und die Hafeneinrichtungen zusammen!
"Sie mußten hier ausbaggern, damit das Boot hier überhaupt liegen kann!" sagt Carola.
"Ja? Woher weißt du das?" frage ich abwesend.
Ich versuche, diese Metallfläche mit dem in Verbindung zu bringen, was ich über das Boot weiß.
Es ist 66 Meter lang, und der Druckkörper hat einen Außendurchmesser von 6.6 Metern. Dieser ist aus hochfester Titaniumlegierung gefertigt und hat eine Form, die einem präzisen Elipsoiden entspricht. Die stützende Innenstruktur stellt zusätzlich sicher, daß keinerlei Verformungen auftreten können, um die ständige maximale Druckfestigkeit zu gewähren. Das, und die enorme Wanddicke von bis zu 15 Zentimetern garantieren die Druckfestigkeit bis zu vermuteten 1200 Bar. Das entspricht 12 Kilometern Wassertiefe - Diesem Boot stehen alle Winkel der Ozeane offen, es sei denn, es gibt noch unentdeckte und deutlich tiefere Tiefsee-Rinnen als den Mariannengraben!
Allerdings ist dieses Boot auf statische Drucke optimiert. In diesen Tiefen sollten keine Druckwellen auf das Boot treffen, und es sollte nicht durch Rammstöße und dergleichen erschüttert werden. Keine Wasserbomben in 12 Kilometer Meerestiefe! - Wasserbomben sind natürlich weit hergeholt, aber es gibt unterseeische Vulkanausbrüche und echte Steuerungsfehler, mit denen man das Boot gefährden könnte.
Die Werftgarantie liegt bei nicht ganz so hohen Drucken. Das liegt hauptsächlich daran, daß es keine Möglichkeit gibt, die Druckfestigkeit experimentell zu bestimmen. Es sei denn, man taucht bis in diese Tiefen. Nach dem, was wir wissen, sind bis jetzt nur 4000 Meter ausprobiert worden - Das Boot ist voll von Meßsensoren, um zum Beispiel ständig über die Verformung des Rumpfes im Bilde zu sein, und bei diesem Tieftauchversuch waren die Verformungen exakt wie vorausberechnet.
Dann gibt es natürlich noch juristische Gründe, aus denen man gern etwas untertreibt - wenn dem Boot an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit etwas passiert, dann ist es besser, wenn diese Grenzen juristisch schon überschritten worden sind. Deshalb die konservativen Werftgarantien.
Das Boot hat eine Wasserverdrängung von bloß 1700 Tonnen, bezogen auf Süßwasser. Das sind fast 195 Tonnen mehr als es die genau 1505.33 Kubikmeter des Druckkörpers vermuten lassen. Bei dem Rest handelt es sich um die technischen Einrichtungen, die man beiderseits außerhalb des Druckkörpers angebracht hat und die deshalb dem vollen Wasserdruck ausgesetzt sind, und natürlich um die äußeren Schwimmtanks.
Ein 1700-Tonnen Boot ist kein Luxusdampfer. Es ist damit nur wenig größer als die Weltkrieg-Zwei-U-Boote und bei weitem kleiner als die großen, strategische Raketen tragenden U-Boote, die in der Zeit des Kalten Krieges auf den Kiel gelegt wurden. Man hat uns aber gesagt, und aus den Plänen haben wir es auch entnommen, daß die Raumaufteilung in der CHARMION wesentlich geschickter ist, ganz besonders nach der zivilen Umrüstung. Dazu kommt, daß viele Aggregate an Bord auf sparsamen Raumverbrauch hin konstruiert worden sind.
Die frühere militärische Aufgabenstellung war nicht sehr scharf definiert - oder wir haben sie nicht sehr genau erfahren. Es sollte ein Boot für Spezialeinsätze werden. Es sollte überall hinkommen und jedes andere U-Boot untertauchen können. Der nichtmagnetische Titanstahlrumpf ist schwer zu orten, und das ganze Boot ist unter dem Designprinzip konstruiert worden, sowenig Geräusche wie möglich zu erzeugen und weiterzuleiten, wenn sie nun mal doch erzeugt worden sind. Wir würden es merken, wenn wir an Bord kommen, hat es geheißen: Keine lauten Maschinengeräusche. Im Normalfall eigentlich gar keine Maschinengeräusche. Sogar die Klimaanlage sollte lautlos sein. Ich war neugierig, ob das wirklich der Fall sein würde - lautlose Klimaanlagen habe ich noch nicht gesehen.
Es ist sogar erzählt worden, daß die Schallisolierung so gut sei, daß dieses Boot im zweiten Weltkrieg unter einem feindlichen Zerstörer hindurchfahren und gleichzeitig eine rauschende Fete an Bord gefeiert werden konnte - das wäre auf dem Zerstörer nicht wahrzunehmen gewesen. Wenn der nicht gerade sein ASDIC eingeschaltet hatte, dann merkte der von dem U-Boot nichts. Die Bilder von sich krampfhaft und angstvoll leise verhaltenden Seeleuten an Bord eines U-Bootes im Kampfeinsatz, die man aus manchen Filmen über den U-Boot-Krieg kennt, wären an Bord der CHARMION niemals entstanden, wenn sie jemals für derartige militärische Zwecke eingesetzt worden wäre.
Ein solches Boot eignet sich hervorragend, um etwa an einer feindlichen Küste aufzutauchen, Agentengruppen ein- oder auszuschleusen oder Nahaufnahmen von militärischen Küsteneinrichtungen zu machen. Optimierte Antennen und zahllose spezialisierte Empfänger im Boot konnten sich um jedes elektromagnetische Energiequant kümmern und die Computer konnten alle Signale umfassend analysieren. Dronen konnten ausgeschleust werden, um Ortung und Aufzeichnungen aller Art zu unterstützen. Sowie der Feind es doch einmal geortet hätte, wäre es ein leichtes gewesen, sichere Tauchtiefen zu erreichen - wenn man nicht gerade gezwungen gewesen wäre, im Wattenmeer oder anderen, flachen Gewässern zu operieren.
Ein solches mehr auf Aufklärungsaufgaben spezialisiertes Boot hat natürlich keine spektakulären Waffen an Bord. Keine großen Torpedos, um gegnerische Flugzeugträger zu versenken. Aber kleine Spezialtorpedos, die Kameras und alles mögliche transportieren konnten. Die Öffnungen für große Torpedos hätten in einem solchen Druckkörper auch zu viele konstruktive Schwierigkeiten gemacht.
Das gleiche galt für die Luken des Bootes. Ein Turm und große Einstiegsluken hätten den Druckkörper zu sehr geschwächt oder durch ihre aufwendige Druckmanschettierung zuviel Zusatzgewicht verursacht. Außerdem legte man Wert darauf, die Vertikaldimensionen des Bootes nicht durch einen Turm noch zu vergrößern. Das hat natürlich Konsequenzen für die Hochseefestigkeit des Bootes: Es kann zwar überall auf der Erde hinfahren, aber in einem ordentlichen Nordatlantiksturm kann man die Luken nicht aufmachen. Der Atlantik wäre sofort im Boot und das Boot für immer im Atlantik.
Genaugenommen waren schon recht niedrige Wellen aureichend, das Öffnen der Luken problematisch zu machen.
Aber im Gegensatz zu früheren U-Booten hatte dieses Boot wenig Grund, in einem Oberflächensturm die Luken zu öffnen. Frische Luft zum Beispiel. Die wurde an Bord hergestellt und rezykliert. Wo Wasser ist, kann man dieses reinigen und elektrolysieren, und dann hat man schon den Sauerstoff. Und wo ein U-Boot ist, ist meistens Wasser. Sonst hat man das Problem, ein U-Boot verwenden zu müssen, ja nicht. - Die anderen atmosphärischen Gase konnten immer wieder extrahiert und neu verwendet werden, und sogar eine Gewinnung der im das Boot umgebenden Wasser gelösten Gase war möglich.
Was die Luken betrifft, so gab es auf der CHARMION insgesamt vier davon: Zwei Turmluken, nur eben ohne Turm, und ein vorderes und hinteres Luk für größere Verladeoperationen, die auf einem klassischen U-Boot mit Torpedo- und Kombüsenluk bezeichnet worden wären. Diese beiden großen Luken waren jedoch nur für das Öffnen auf der Werft gedacht - man braucht umfangreiche maschinelle Hilfe dazu. Jetzt waren diese beiden Luken unter dem Laufdeck gar nicht zu sehen. Sie werden auch auf der Werft fest verschlossen und sind, genaugenommen, Segmente des Druckkörpers, die auch die Kraftflüsse durch die Druckkörperwand weiterleiten.
Die beiden Turmluken befanden sich in der Bootsmitte dicht hintereinander - jede einen Meter und zwanzig Zentimeter im Durchmesser. Und das waren auch wirklich nur Luken zum Ein- und Aussteigen - das Boot von dort zu fahren und zu steuern war zwar möglich, aber im allgemeinen nicht vorgesehen.
"Wellington hat es mir erzählt." unterbricht Carola meine Gedanken.
"Was hat dir Wellington erzählt?" frage ich zurück.
"Das hier für das Boot extra ausgebaggert wurde."
"Ach ja. Entschuldige. Ich war in Gedanken. Es sieht so - unbedeutend aus."
"Nur von außen. Von innen wirkt es sehr, sagen wir mal, 'überlegt geräumig'. Das ist nicht dasselbe wie 'geräumig', wenn du verstehst."
"Ich glaube ja. Warst du schon drinnen?"
"Ja. Wellington hat schon eine persönliche Führung gemacht."
Es ist in diesem Projekt eine gewisse Inflation von Doktoren festzustellen, Doktor Irvin Wellington ist auch einer. Er ist Physiker, und er wird Expeditionsleiter sein und, soweit es das Boot betrifft, Kapitän. Ich habe ihn noch nie gesehen. Er hat den größten Teil seiner bisherigen Zeit im Projekt in Greenock verbracht und sich dort höchstselbst um den Umbau des Bootes und dessen Erprobung gekümmert.
"Wellington ist also auch schon hier?"
"Im Moment nicht. Der fliegt dauernd herum - zwischen hier und Brüssel und Glasgow und München."
"Aha. Was macht er denn jetzt noch in München?"
"Weiß ich nicht. Willst du mal an Bord?"
"Geht das?" Ich kann im Moment nicht erkennen, wie man das Laufdeck auf der gewölbten Oberfläche des U-Bootes betreten kann, ohne sich nasse Füße zu holen. Die Wasseroberfläche ist zwei Meter unter der Kai-Oberkante, und dann wäre noch ein fünf-Meter Spreizschritt notwendig, um einen Fuß auf das Boot zu setzen. Ich sehe keine Gangway, und es ist auch keine Luke offen. Das Boot könnte ein riesiges, aber lebloses Stück Metall im Wasser sein.
Carola tritt an die Kante des Kais. "Da unten!" sagt sie und winkt. Wem, weiß ich nicht genau, aber in den nächsten Sekunden sind plötzlich Leute da, die für uns an einer der Niedergangtreppen eine Gangway auslegen. Und wo die herkommt, das habe ich nicht genau mitgekriegt - sie muß in einem toten Winkel unter der Kaimauer gelegen haben.
"Diese Leute," sagt Carola, "sorgen nicht nur dafür, daß niemand unbefugt das Boot betritt. Sie helfen auch den Befugten hinüber."
"Woher wissen die denn, daß wir befugt sind?"
"Die haben alle unsere Konterfeis sehr genau studieren müssen. Außerdem weiß dauernd jemand, wo wir sind. Sagt Wellington. Seit wir im Projekt sind."
"Ach!"
Carola zuckt die Schultern. "Sie vermuten eben eine gewaltigen ökonomischen Schub aus der Welthöhle. Das wollen sie nicht riskieren, indem sie zulassen, daß einer von uns in einer Seitenstraße im schlimmsten Viertel von Glasgow überfallen und umgebracht wird."
"Meinst du, die passen so lückenlos auf uns auf?" frage ich. Wir haben das Deck erreicht und gehen dahin, wo wir die Luken vermuten. Unsere Schritte auf dem Deck klingen nicht wie Schritte auf hohlem Stahl, sondern wie Schritte auf massivem Stein. Das muß an der Festigkeit des Bootes liegen. Trotzdem treten wir vorsichtig auf, um nicht versehentlich in das vermutlich eiskalte Wasser abzurutschen. Erst auf dem Laufgitter kann man einigermaßen sicher stehen.
"Wellington hat gesagt, daß wir schon seit Monaten kein echtes Privatleben mehr haben. Niemand aus dem Projekt. Du übrigens am allerwenigsten."
"Dann haben sie es aber geschickt gemacht. Seit unserer Einstellung habe ich nichts davon gemerkt."
"Du ahnst gar nicht, wie geschickt sie sind. Wenn du in München oder in Glasgow versucht hättest, in ein Puff zu gehen, dann wärst du entweder davon durch irgend einen Zufall abgehalten worden, oder du wärst bei einer 'sachkundig ausgebildeten' Agentin der EG gelandet - nur damit du nicht in 'irgendwelche' Hände fällst und damit dir nichts passiert!"
"Ich war in keinem Puff, weder in ..."
"Ich weiß. Daß heißt, Wellington weiß es. Er hat es erwähnt."
"Ich mag das nicht, diese Überwachung. Selbst, wenn es zu unserem besten ist - aber daß ich so überhaupt nichts gemerkt habe - Hätte ich eigentlich etwas bezahlen müssen, ich meine, bei einer Nutte, die in Wirklichkeit Angestellte der EG ist?"
"Mal sehen, ob die da im Boot merken, daß wir rein wollen!" wechselt Carola das Thema.
Sie merken es. Ob jemand vom Land aus per Funk die Bootsbesatzung, die schon an Bord ist, informiert hat, oder ob die da drinnen von sich aus gemerkt haben, daß jemand über ihren Köpfen auf dem Boot herumtrampelt, weiß ich nicht. Aber vor uns öffnet sich eine der stabil aussehenden Luken, die kaum von Hand bewegt werden kann, obwohl sie durch ein Gegengewicht austariert ist. Sie wird wohl auch nicht von Hand bewegt, so gleichmäßig, wie sie aufschwenkt. Das strahlende Licht im Boot läßt die Dämmerung rundherum wie Nacht erscheinen.
"Vergiß alles, was du darüber weißt, wie ein U-Boot von innen aussieht!" sagt Carola, als sie den Niedergang vor mir absteigt.
"Ich kenn doch die Pläne!" sage ich, während ich im Vorbeiklettern versuche, die Dichtungsringe der Luke zu identifizieren. Wie in der Hochvakuumtechnik kann man bei so hohen Drucken nicht mehr mit irgendwelchen Kunststoffen bei der Herstellung von Dichtungsringen arbeiten. Dichtungen müssen aus Metall sein. Und am allerbesten ist es, wenn Metallkanten so perfekt auf Metallkanten stoßen, daß da einfach nichts mehr durchkommt, ohne daß es notwendig ist, daß sich irgend etwas elastisch verformt, um hermetisch dicht abzuschließen.
"Du warst noch nicht drin!"
Sie hat recht. Es ist alles anders. Und es ist hell. Blendend hell.
Unten begrüßt uns Mark Dauphin, von dem wir wissen, daß sein Aufgabengebiet etwa das eines Bootsmanns sein wird oder schon ist. Technische Betreuung aller Systeme des Bootes. Und schon im Dienst. Er und Carola kennen sich schon. Er ist vielleicht 28, und er macht den Eindruck, als sei er so stolz auf das Boot, als sei es sein eigenes. Das ist die beste Haltung, wenn man für eine technische Anlage verantwortlich ist, wie ich immer wieder festgestellt habe. Beide zusammen, Herr Dauphin und Carola, fangen umgehend an, mich herumzuführen.
Der Raum, wo wir heruntergekommen sind, ist gewissermaßen die Eingangsschleuse. Von hier aus kann man das vordere und das achtere Oberdeck betreten. Niedergänge ermöglichen, die Eingänge zu den vorderen und hinteren Mitteldecks und Unterdecks zu erreichen.
Der Raum direkt unter den beiden Luken ist als abgeschlossene Schleuse ausgebildet. Diese ist im wesentlichen ein Auffänger für Spritzwasser, aber immerhin bis in ein paar Dutzend Meter Tiefe druckfest.
Zum vorderen Mitteldeck wollen wir zuerst hin, deshalb müssen wir noch einen Niedergang absteigen, gerade, als ich anfange, einen technisch interessierten Blick auf die Pumpen in der Eingangsschleuse zu werfen, die hereinkommendes Spritzwasser gleich wieder absaugen sollen - diese sehen robust und leistungsfähig aus - offenbar soll niemand mit nassen Füßen durch das Schiff laufen. Verborgende Gebläse lassen uns warme, trockene Luft um die Füße wehen.
Da sind noch weitere interessant aussehende Einrichtungen. Ich kenne sie zwar von den Plänen, aber trotzdem hätte mich mal die Manschette interessiert, die man durch die Lukenöffnung der vorderen Luke nach oben schwingen kann, um wenigstens einen leichten Seegang davon abzuhalten, Wasser in das Schiff zu werfen. Statt dessen schwingt die Luke wieder zu, als wir weiter absteigen. Aber ich merke nicht einmal eine Druckschwankung in den Trommelfellen.
Der erste Eindruck der Helligkeit an Bord war korrekt. Man hat Wert darauf gelegt, daß überall die Leuchtdichte für feinste, mechanische Arbeiten zu jeder Zeit vorhanden ist. Nichts von der Dämmerung, die in den Weltkriegs-U-Booten üblich war. Und die Beleuchtung ist weitaus heller als das, was wir in der Welthöhle haben werden.
Eine andere Absicht, die hinter dieser reichlichen Beleuchtung steckt, ist eine psychologische: Viel Licht hält depressive Stimmungen fern. Und Mitarbeiter, die sich in einer optimistischen Grundhaltung befinden, sind leistungsfähiger.
Der zweite Eindruck ist, daß man sich kaum ernsthaft stoßen kann. Man kann normalerweise überall hingehen, ohne sich zu bücken. Keine Kugelschotts, die einen zwingen, sich mit Kinn und Knien auf der Brust dort hindurchzuzwängen. Auch das macht Sinn: Wäre dieses Boot so unterteilt, daß einzelne Abteilungen vollaufen und die Zwischenschotts den Maximaldrucken standhalten könnten, dann wären diese Zwischenschotts so schwer, daß das Boot nicht mehr schwimmfähig wäre. Oder sie wären nicht druckfest und damit nicht sehr sinnvoll.
Dieses Boot säuft als Ganzes ab, oder überhaupt nicht. Es geht technisch nicht anders.
Allerdings sind die Konstrukteure des Bootes wohl von einer maximalen Körperlänge von knapp unter zwei Metern ausgegangen, und eine gewisse Gelenkigkeit der Besatzungsmitglieder haben sie wohl nicht restlos ausgeschlossen. Ich bin einen Meter vierundachtzig groß, und obwohl ich nirgends an die Decke anstoße, ist sie doch immer knapp über meiner Stirn. Ob wir unter der einschränkenden Randbedingung einer maximalen Körperlänge ausgesucht worden sind, oder ob die Umbauten im Boot mit Rücksicht auf die Körperlängen der Projektteilnehmer erfolgt sind? Dauphin weiß es auch nicht. Was sie wohl gemacht hätten, wenn ich zwei Meter fünfzig groß gewesen wäre?
"Nichts." meint Carola, "Wer die Welthöhle überlebt hat, ist fit genug, um sich robbend durch das Boot fortzubewegen." Sie meint das völlig ernst, im klaren Bewußtsein der Tatsache, daß sie nicht das Problem einer übertriebenen Körpergröße hat.
Immerhin - wo doch einmal eine Stahlkante im Wege steht, ist sie so mit Polstern bewehrt, daß man sich nicht ernsthaft verletzen kann.
Der dritte Eindruck: Die Luft ist trocken und hat gerade die richtige Temperatur. Nichts von dem Wetter draußen wirkt sich hier aus. Die Klimaanlagen scheinen wirklich gut zu sein. Und das ist der vierte Eindruck: Diese hören wir nicht. Wir hören überhaupt keine Maschinen. Geräusche machen höchstens wir selbst, wenn wir durch das Boot gehen. Und sonst gar nichts.
Dabei sind die Maschinen allgegenwärtig. Die Außenwand ist zum Beispiel nirgends direkt zu sehen. Überall eine Isolierschicht, in der die Rohre der Klimaanlage eingearbeitet sind. Ich weiß, daß durch diese hochreines Wasser fließt, daß entweder kühlt oder heizt.
Feuchtkalte Wände wie in den alten U-Booten wird es hier nicht geben. Und es versteht sich von selbst, daß in diesen Rohren keine Blasen gluckern - bei britischen Schiffen durchaus keine Selbstverständlichkeit: Wer häufiger in britischen Häusern zu Gast war, der weiß, daß es mit der Installationskunst in diesem Lande nicht weit her ist. Habe ich doch schon Bed & Breakfast-Pensionen erlebt, in denen ein Wasserhahn nur mit großer Kraft geöffnet werden konnte - danach aber fing es im ganzen Hause an zu rattern und zu glucksen. - Diese Anlage aber arbeitet in lautloser Perfektion.
Eindruck Fünf: Sollten wir je vergessen, daß dieses Schiff zwar im Auftrag der EG, aber doch unter britischer Flagge fährt, hier merken wir das an verschiedenen Dingen recht deutlich. Da ist zum Beispiel der 'Situation Screen', der auch kurz 'SISC' genannt wird. Überall, wo man geht und steht, ist ein Situation Screen. Es gibt keinen Ort an Bord, wo man einen solchen nicht im Blickfeld hat - sogar in der Koje, versichert Dauphin uns, und auf dem Klo.
Der Situation Screen sorgt dafür, daß wir nicht blind sind, so blind wie die Seeleute, die in Weltkrieg-Zwei U-Booten Dienst taten. Die wußten nicht, wie tief sie getaucht sind. Der Situation Screen zeigt diese Zahl ständig an. Die wußten nicht, wie kalt das Wasser draußen ist. Der Situation Screen sagt es. Die konnten nicht durch die Stahlwände nach draußen sehen, selbst, wenn das Boot an der Oberfläche manöverierte. Wenn hier auch nur eine einzige Kamera ein Bild von außen liefert, dann wird wenigstens das auf dem Situation Screen in einem geeignet positionierten Fenster eingeblendet.
Selbstverständlich wird die Zeit und das Datum angezeigt, und, sowie wir unterwegs sein werden, die Zeit nach Missionsbeginn. Geschwindigkeit und Fahrtrichtung versteht sich von selbst. Natürlich die Dichte des Wassers. Lokale Abweichung von Magnetisch Nord gegen Geographisch Nord. Auch den vertikalen Inclinationswinkel des lokalen magnetischen Erdfeldes, falls das jemanden interessieren sollte.
Dann gibt es noch eine Angabe, die ich mir von Dauphin erklären lassen muß, um mich danach darüber zu ärgern, daß ich nicht von selbst drauf gekommen bin, was die mit dem aktuellen Datum assoziierte Anzeige '11:00:s 20:00:w' bedeuten soll:
"Ist doch klar!" sagt Dauphin, "Der 27 Stunden-Rhythmus in der Welthöhle. Kann natürlich korrigiert werden, wenn wir selbst etwas von diesem Rhythmus bemerken sollten und dabei feststellen, daß der Rhythmus sich verschoben hat, aber unter der Annahme, daß es ganz genau 27 Stunden sind, ist das die exakt von 1995 an hochgerechnete Lage der Schlafperiode: Um 11 Uhr Einschlafen, um 20 Uhr Aufwachen. Morgen steht da '14:00:s 23:00:s'."
Einen Moment lang überlege ich mir, warum ich wohl, seitdem wir die Welthöhle verlassen haben, noch nie selbst auf die Idee gekommen bin, über diesen Rhythmus, der unser Schlafen und Wachen dort synchronisiert hat, Buch zu führen, um jederzeit zu wissen, 'wie spät' es in der Welthöhle gerade ist. Es sind ja schließlich nur ein paar Rechnungen notwendig, denn neun oberirdische Tage entsprechen acht 'Tagen' in der Welthöhle.
Eine Unterzeile verrät uns, daß dieses Schiff die CHARMION ist, und dem Schiffsnamen ist ein kleiner Union Jack vorangestellt. Auch diese Angabe gehört zu denen, die ständig sichtbar sind.
Ich nehme mir vor, herauszufinden, ob projektintern eine der im ASCII-Zeichencode nicht genormten 8-Bit Kombinationen zwischen 128 und 255 extra dem Symbol für den Union-Jack zugeordnet worden ist. Im oberen Teil des ASCII-Codes macht ja jeder EDV-Hersteller, was er will, - obwohl es eine ANSI-Norm gibt - warum soll nicht auch eine Werft da ihre eigenen Ideen haben?
Weniger wichtige Informationen werden zyklisch angezeigt, so daß man eventuell eine Weile warten muß, bis man das Gewünschte sieht: Chemische Zusammensetzung des Wassers rundherum. Wichtige Mitteilungen für alle. Speiseplan. Sprechzeiten der Bordärztin. Versammlungstermine. Fundsachen.
Bei dem Situation Screen hat man sich ziemliche Mühe gegeben, all diese Informationen über einen einzigen Schirm zu verteilen, ohne die Übersichtlichkeit zu kompromitieren. Das ist manchmal gar nicht so einfach. Wenn die Zentrale sich zum Beispiel entscheidet, drei verschiedenen Außenansichten in drei verschiedenen Fenstern zu verteilen, dann muß das System so umordnen, daß die wichtigsten Informationen trotzdem immer noch ständig sichtbar sind.
Natürlich kann man sich viele Informationen detailiert auf die Bildschirme der zahllosen Computerkonsolen holen, wenn man will. Das ist der Eindruck Sechs: Wo immer man sich im Boot aufhält, ein Terminal ist mindestens in Reichweite. Eines vom Feinsten: Hochauflösende Farbgraphik, Tastatur, doppelter Trackball. Wie es sich gehört. Das ist doch etwas anderes als die ärmliche Ausstattung an unserem alten Arbeitsplatz!
Selbstverständlich haben wir auch ein solches Terminal in jeder Kabine. Die sehen wir uns als nächstes an. Eindruck Sieben: Hurra, Einzelkabinen! Eindruck Acht: Gütiger Himmel - sind die klein.
Die Kabinen befinden sich im vorderen Teil des Bootes, den wir jetzt vom Niedergang unter der Schleuse aus betreten. Dabei müssen wir an zwei gekennzeichneten Duschzellen und zwei Toiletten vorbei, die noch in der Niedergangssektion stehen.
Man hat sich den Kabinentrakt so vorzustellen: Von dem zentralen Niedergang unter der Schleuse in der Bootsmitte aus gibt es einen Quader von zwei Metern Höhe, vier Metern Breite und sechzehn Metern Länge, der mitten im vorderen Teil des Bootes, gleich hinter dem Niedergang, zu denken ist. Diese 128 Kubikmeter bieten 32 Kabinen Platz - das sind bloß vier Kubikmeter für jede Kabine!
Am besten, man stellt sich einen Würfel von zwei mal zwei mal zwei Metern vor. Dieser Würfel enthält zwei Kabinen. Jede Kabine besteht aus einem vertikalen Raum von zwei Metern Höhe und einer quadratischen Grundfläche von einem Quadratmeter. Eine Telefonzelle also. Diesem Volumen ist ein gleich großes, aber liegendes Volumen angeschlossen, und zwar bei der einen Kabine in Bodenhöhe, und bei der anderen daneben einen Meter höher. Diese liegende Telefonzelle enthält die Koje und einigen Stauraum unter, neben und über derselben. Macht zusammen vier Kubikmeter für jede Kabine.
Die Kojen von zwei einander so zugeordneten Kabinen liegen also übereinander, die senkrecht stehenden 'Aufenthaltsräume' stehen nebeneinander. Wenn man durch die Türen reinguckt, dann hat von zwei so miteinander verschränkten Kabinen immer die linke die Koje oben, die rechte unten. Diese zwei Kabinen sind aber räumlich völlig getrennt. Um den Zugang nicht zu einfach zu machen, geht die 50 cm schmale Tür jeder Kabine natürlich nach innen auf. Das, und der Stauraum um jede Koje sind natürlich nicht die einzigen Dinge, die Kabinenvolumen verbrauchen. Da gibt es die Zuführungen der Klimaanlage, ein Waschbecken, auf das ein Tischchen heruntergeklappt werden kann, und dann erscheint aus einem Einbauschrank auch das Terminal, das man etwas vorziehen kann, daneben ist in der Wand natürlich noch Platz für den unvermeidlichen SISC, den Situation Screen, und in Kopfhöhe gibt es noch weitere Einbauschränke für persönliche Ausrüstung. Dann ist da noch ein Panel, wo man sich für diese Kabine individuell Temperatur und Luftfeuchtigkeit einstellen kann. Und zusätzlich zu dem Stauraum unter den Kojen gibt es dicht über den Kojen auch noch seitlich eingebaute Deckenfächer.
Ich erfahre, daß jede Kabine fünf Öffnungen zu den Nachbarkabinen hat, die man aber nur von beiden Seiten gemeinsam öffnen kann. Sonst schließen sie so dicht ab wie die Wand. Zwei von diesen Öffnungen an Fuß- und Kopfende der Koje - außer natürlich bei den vier Kabinen am Ende der Kabinenzeile - eine an der Längsseite der Koje in Richtung zur anderen Seite der Kabinenzeile und eine an der verkürzten Längsseite der Koje zur Türseite. Dann ist da noch eine an der Seite des 'Stehteils' der Kabine, und zwar unter der Koje, wenn diese oben ist, und umgekehrt. Diese Öffnungen haben etwa rechteckige Abmessungen von 25 mal 45 Zentimetern, so daß man dort gerade eben mit Mühe durchklettern kann. Auf diese Weise können nebeneinanderliegende Kabinen miteinander verbunden werden, wenn die Bewohner dies wünschen, oder einander in den beiden Kabinenzeilen entsprechende Kabinen, oder die, deren Kojen übereinander liegen - die können sogar über zwei solche Öffnungen miteinander in Kontakt treten. Sie hätten also die Wahl zwischen drei Wegen, wenn sie vom 'Stehteil' der einen Kabine in den 'Stehteil' der anderen wollen: Über die untere Koje der einen Kabine, über die obere Koje der anderen Kabine, oder ganz normal über den Gang.
Diese Öffnungen sind natürlich nicht nur im Hinblick auf Kabinennachbarn, die sich eventuell besonders gut verstehen, gemacht worden, sondern sie könnten erstens für einen Notfall eine Bedeutung haben, und zweitens hat man dort auch Zugang zu allerlei Installationen in den Kabinenwänden.
Weiterhin sehe ich einige Griffe, an denen man sich bei heftigen Bewegungen des Bootes festhalten und an denen man auch Kraftübungen machen kann. Wenn man eine solche Übung erfindet, die unter den beengten räumlichen Verhältnissen überhaupt ausführbar ist. Es gibt, erwähnt Dauphin, tatsächlich noch irgendwo einen Sachbearbeiter, der sich genau darüber Gedanken macht.
"Hat der schon was herausgefunden?" frage ich.
"Ja. Gedanken machen, das geht in dieser Kabine."
"Diese Kabinen," erklärt Carola, "betritt man nicht. Man zieht sie an."
"Claustrophie sollte man wohl nicht haben." stelle ich fest. "Angenommen, das Betriebsklima unter den Expeditionsteilnehmern wird zu gut. Wie bumst man in diesen Kojen?"
Bevor Carola antworten kann - sie hat da keine Berührungsängste, was die Diskussion solcher Themen betrifft - meint Dauphin mit infamen Grinsen: "Dauernd. Man kann sich nicht zu zweit in diesen Kojen aufhalten, ohne zu bumsen!"
"Ist das getestet worden? - Von diesem Sachbearbeiter vielleicht?"
"Sieht man doch! - Und außerdem - äh - diese Kabinentüren kann man nicht abschließen. Aus Sicherheitsgründen. Nur zur Information. - Und sie sind schalldicht. Auch zur Information."
Wir gehen weiter. Mir fallen alle vier Meter - also nach jeweils vier Kabinentüren - massive Edelstahlkanten auf, die einen zwingen, doch etwas den Kopf zur Seite zu beugen. Die Polster können die mechanische Stärke dieser Konstruktion nicht verbergen. Ich weiß, worum es sich handelt:
Der Rumpf ist alle vier Meter durch eine kreisförmige Stützkonstruktion versteift worden. Diese braucht man sowohl für die Sensoren, die die Verformung des Rumpfes messen, als auch für die aktive, rechnergesteuerte Erzeugung von Ausgleichskräften. Im Gegensatz zu den Spantenringen der Weltkriegs-U-Boote tragen diese Konstruktionen aber nicht wesentlich zur Kompensation der Druckkräfte auf den Druckkörper bei, sondern sorgen nur dafür, daß dieser das jederzeit selbst tun kann, indem er genau seine symmetrische Form behält. Die Technologie dieser aktiven Formstabilisation hat sich bereits bei den Metallspiegeln großer Teleskope bewährt, die ihre Form auf Bruchteile einer Lichtwellenlänge beibehalten müssen.
Diese Stützkonstruktion sieht wie ein sechs Meter dreißig - zu den Enden des Schiffes hin wird es weniger - durchmessende Stahlscheibe aus, die durch sieben Löcher durchbrochen ist. Diese Konstruktion kann man, so fertig im Boot eingebaut, natürlich nicht als Ganzes sehen. Aber es fallen einem doch alle zwei Meter die Ränder dieser Löcher auf, die in der Bootsmitte noch einen Durchmesser von fast zwei Metern haben. Es gibt dann eben eine Stufe am Boden und eine ebensolche Stufe an der Decke - diese Scheiben sind so positioniert, daß hier die Gänge zwischen den Kabinen und der Schiffswand gerade durch die zwei seitlichen Löcher führen. Und zwischen zwei solcher Scheiben sind acht Kabinen - vier an dieser Seite, vier an der anderen.
Der Raumverbrauch durch diese Spantenscheiben hält sich in Grenzen. Zur Bootswand hin sind es fast zwanzig Zentimeter Dicke, aber schon wenige Dezimeter von dieser entfernt sind es nur noch zehn. Noch weiter innen - an dieser Stelle also zwischen den Kabinen - sind es nur noch acht. Als ich nachfrage, erfahre ich, daß sie nach wie vor 'Spantenringe' genannt werden, obwohl 'Spantenscheibe' der Geometrie vielleicht angemessener wäre.
Achselzuckend gehen wir weiter. Ich sehe an den Türen der Kabinen auswechselbare Namensschilder: "Ist schon festgelegt worden, wer welche bekommt?"
"Teilweise." sagt Dauphin. "Sie können es sich noch aussuchen. Die 16 Kabinen zum Steuerbordgang sind schon zur Hälfte vergeben, die 16 hier sind noch fast alle frei. - Die Kabinen nach vorne hin sind weniger beliebt, weil der Gang hier zwischen Schiffswand und Kabinentüren immer schmaler wird. Das betrifft so ungefähr die Kabinennummern 11 bis 22. - Es ist zwar nicht so geplant worden, aber es sieht aus, als ob das nautische und betriebstechnische Personal hauptsächlich an der Steuerbordseite Logis nehmen wird, und das wissenschaftliche hier."
Er deutet auf die Türschilder: "Die Kabinen sind durchnumeriert. Drüben, an Steuerbord, beginnt die Numerierung an der Schiffsmitte mit 1, geht bis zu 16, das ist dann die letzte Kabine vor der Kantine, 17 ist die letzte vor der Kantine auf dieser Seite, und 32 ist wieder der Schiffsmitte am nächsten."
"Also durchnummeriert wie die Beinchen eines Chips?" frage ich. Zu spät fällt mir ein, daß ich nicht einfach Kenntnisse voraussetzen sollte und auf diese Weise jemanden, desssen fachlichen Hintergrund ich noch nicht kenne, in Verlegenheit bringen könnte. Aber Dauphin kennt sich aus:
"Ja. Genau. Aber wenn Sie wüßten, wie lange man sich überlegt hat, ob man die Kabinen vielleicht nicht von 0 bis 31 durchnumerieren sollte - weil so viele Computerexperten an Bord sind!"
"Ich versichere Ihnen," sage ich, "daß wir nicht nur bis drei zählen können, sondern dabei im Allgemeinen auch bei eins anfangen!"
"Jedenfalls können Sie sich noch unter den meisten Kabinen aussuchen." stellt Dauphin fest. "Sie sehen an den Türschildern, welche noch frei sind. Kabine 1 ist für den Kapitän, weil er dann am schnellsten in der Zentrale ist. 32 auf dieser Seite wird vielleicht der Erste haben wollen, wenn er nicht 2 haben will. Oder 31, oder 3, weil die ungraden immer die Kojen oben haben."
"Aha." Ich sehe Carola an: "Wollen wir Kabinen nebeneinander nehmen, oder wollen wir die Entfernung zwischen uns maximieren?"
"Jetzt möchte ich dir die Arbeitsräume zeigen!" entgegnet sie. Sie hat ja recht - es ist völlig egal, so gut, wie diese Kabinen gegeneinander isoliert sein sollen.
Die grobe Aufteilung des Raumes in der CHARMION kenne ich ja. In der Schiffsmitte ist der Innenquerschnitt ein Kreis von 6 Metern und 30 Zentimetern Durchmesser. Zu den Schiffsenden hin wird das erst allmählich, dann immer stärker weniger - wie das bei einem Ellipsoid eben so ist.
Die vordere Hälfte des Bootes ist fast durchgehend in drei Stockwerke eingeteilt. Das mittlere, das sind diese Kabinen, davor und dahinter jeweils zwei Toiletten - die zwei am zentralen Niedergang, wo auch die zwei Duschzellen sind, die wir gesehen haben, und noch zwei an der anderen Stirnseite des Kabinentrakts, die jeweils noch durch zwei enge Niedergänge zum Oberdeck und zum Unterdeck flankiert werden. Dann, weiter vorne, kommt ein Vielzweckraum - Besprechungszimmer, Messe, Kantine. Dieser Raum reicht von Außenwand zu Außenwand, und wegen seiner Größe fällt der Spantenring, der ihn in eine vordere und eine hintere Hälfte trennt, viel mehr auf als in den schmalen Gängen zwischen den Kabinen und der Außenwand. Als wir ihn betreten, sehe ich vier Tische - ein mal zwei Meter groß - und zahllose kleinen Hocker. Sie stehen dicht an dicht.
"Das wird eng, wenn hier alle zweiunddreißig essen!" sage ich.
"Kaum. Erstens essen nicht alle gleichzeitig, und zweitens wird die Gesamtbesatzung bei diesem Unternehmen wahrscheinlich weniger als 32 sein."
"Aha." Ich schreite den Kantinenraum ab, wobei ich jetzt schon aufpassen muß, nicht über die Schemel zu stolpern. Wie soll das erst werden, wenn dieser Raum voll ist und man sich bis zur Küche und Speiseausgabe durchkämpfen muß?
"Und drittens" fährt Dauphin fort, "kann man auf einem halben Quadratmeter essen, wenn es sein muß. Ein halber Quadratmeter zum Sitzen, und ein halber Quadratmeter auf dem Tisch."
"Und die Ellenbogen haben ja im Nachtisch des Nachbarn Platz!" beende ich die Überlegung. Dauphin lächelt höflich.
Der Vielzweckraum ist von den Türen der beiden Toiletten bis zu den Pfeilern, die Bestandteil des Spantenringes sind, drei Meter lang und fünf Meter breit. Der Raumabschnitt dahinter ist noch einmal vier Meter lang und deutlich weniger breit, nicht nur, weil sich das Boot nach vorne verjüngt, sondern weil an der Steuerbordseite ein kleiner Raum von vier Metern Länge und etwa einem Meter Breite abgetrennt ist.
"Diese Küche ist ja nicht viel größer als unsere zu Hause!" sage ich, "Und das für 32 Leute?"
"Das geht." sagt Dauphin nur, "Sind eine Menge moderner Geräte drin. Und unten im Unterdeck gibt es Fertiggerichte, die sich jeder selbst rasch heißmachen kann. Mit dem Gerät da." Er zeigt auf eine Apparatur in der Küchenwand, die aussieht wie eine Mischung zwischen britischem Briefkasten, Videorecorder und Heizlüfter. "Es ist nicht so kompliziert, wie es aussieht."
"Nein?"
"Nein. Es ist viel komplizierter! - Ich zeigs Ihnen noch."
Noch weiter vorne gibt es bloß technische Betriebsräume - Die Vorrichtungen für die Kleintorpedos sind da, die Wasseransauganschlüße der Frischwassergewinnung, der Regelzellen und die Durchführungen der Wärmeaustauscher, die Trimmtanks und dergleichen Einrichtungen mehr. Da werfen wir nur einen kurzen Blick rein. - Obwohl diese entlegenen, technischen Räume selten betreten werden, sind auch sie ununterbrochen taghell beleuchtet.
Das untere Stockwerk beherbergt, wie ich weiß, auch noch technische Betriebseinrichtungen, wie Klimaanlagen und die Luftreinigung, ebenso die Wasserreinigungsautoklaven und die Elektrolyse, dazu die vorderen Haupttauchtanks, die sich innerhalb des Druckkörpers befinden. Dann sind da aber auch die Vorräte - Lebensmittel und Ersatzteile. Weiterhin stehen da einige Werkzeugmaschinen, die man eben manchmal braucht: Fräse und Drehbank zum Beispiel.
Die während einer Fahrt freiwerdenden Vorratsvolumina können für andere Dinge genutzt werden. Die Kühleinrichtungen können sich auf jede gewünschte Temperatur einstellen, und wenn es die Siedetemperatur verflüssigten Stickstoffes ist. Es gibt nichts, was man da nicht haltbar machen kann.
Im unteren Stockwerk befinden sich weiterhin, nicht nur im vorderen, sondern auch im hinteren Teil des Bootes, die Wassertanks für die Trimmung, die ständig durch die Bordrechner korrigiert wird. Wir haben erfahren, daß diese automatische Korrektur so effektiv ist, daß, im Prinzip, der Schwerpunkt des Bootes über dem Schwerpunkt des verdrängten Wassers sein könnte. Ohne die automatische Trimmung würde das Boot sich dann ja auf den Kopf stellen. Mit ihr merkt man nichts davon, daß das Boot unstabil wäre - bis auf die Mitteilung der Schiffsrechner an den Kommandanten.
Das obere Stockwerk im vorderen Teil des Bootes enthält die Labors mit den Computern und der ganzen Schiffselektronik. Da gehen wir jetzt über den steilen Aufgang zwischen Messe und Kabinentrakt, also an den beiden Toiletten vorbei, hinauf. Ich bin zwar auch neugierig, aber so ungefähr weiß ich ja, was mich da erwartet. Interessanter wäre der hintere Teil des Bootes mit der Zentrale, dem Reaktor und den Antriebsmaschinen, die Räume, von denen wir noch keine Pläne gesehen haben. Kommt wohl noch, hoffe ich.
Der Arbeitsraum im vorderen Oberdeck ist so lang wie die Kabinenflucht und der Mehrzweckraum darunter zusammen, also ganze 24 Meter. Außerdem ist er natürlich wie ein Gewölbe geformt, so daß man nur in der Mitte aufrecht stehen kann, und auch das nur in dem Teil, der sich ungefähr über den Kabinen befindet. Weiter vorne nimmt die Höhe dieses langen Raumes schließlich auf 80 Zentimeter ab. Seitlich stehen die Sitze, die elektronische Ausrüstung und die Computer.
An sich habe ich Großraumbüros ja gefressen. Aber wie die Arbeit hier in der täglichen Praxis aussehen wird, das muß sich ja erst noch herausstellen. Nur ein kleiner Teil der Expeditionsteilnehmer wird sich hier zu einem gegebenen Zeitpunkt aufhalten. Und wenn man sich seitlich zwischen die Konsolen hinsetzt, dann ist der Blick in Längsrichtung des Raumes durch die Geräteschränke versperrt. So ist man leidlich gut von Kollegen abgeschirmt, wenn sie nur etwas weiter als drei oder vier Meter entfernt sitzen.
"Das wird dann wohl hauptsächlich dein Arbeitsplatz, oder?" sage ich zu Carola. Dauphin, den ich gar nicht gefragt habe, nickt.
"Ich habe gehört, Sie kennen sich hier aus?" fragt Dauphin und deutet auf die verschiedenen Konsolen. Ich sehe an den Kontrolllichtern, daß alle Maschinen laufen. Und trotzdem ist es sehr leise - nicht einmal die Festplatten sind zu hören. Die müssen das Feinste vom Feinen installiert haben - da kommt Neid auf, wenn ich an meine heulenden Festplatten zuhause und die noch lauteren in der Firma denke!
"Nein," sagt Carola, "wir haben in München nur Trockenschwimmen gemacht. Unterlagen studieren und so. Eine direkte Verbindung zum Boot hat man nicht aufgebaut, und wir hatten auch keine Rechner zum Üben. Erschien dem Management wohl unnötig. - Dabei wäre es wirklich notwendig gewesen, sich mit dem PRO-UNIX auszukennen."
"Das stimmt," pflichte ich bei, "wenn ich nicht eigene Rechner hätte, dann hätte ich seit acht Monaten kaum einen Computer zu Gesicht bekommen!"
"Aber Sie kommen doch ins System rein?"
"Nein. Ich kenne nicht einmal die Paßworte!"
"Man hat mir gesagt, Sie" Dauphin nickt mir zu "kennen sie!"
"Ich? Wieso gerade ich? Woher denn?"
"Sie hätten sie sich ausgedacht!"
"Mich hat nie jemand gefragt!"
"Halt!" sagt Carola, "ich weiß!"
"Was denn?"
"Du hast doch erzählt, daß sie bei dir rumgestöbert haben! In deinen Dateien!"
"In der Firma, ja. - Ja, und? Ist schon lange her, und sie haben nichts gefunden!"
Carola setzt sich vor eine der Konsolen. Kaum, daß sie den linken Trackball versehentlich berührt, leuchtet der große Bildschirm vor ihr auf. Der Begrüßungsbildschirm des PRO-UNIX erscheint.
"Ich gehe unter 'root' rein." sagt sie.
"Wenn du das Paßwort doch nicht weißt?"
"Deins! Sie werden deins genommen haben! Das wette ich."
"Bitte. Warum sie das getan haben sollten ist mir zwar unklar, aber wir können es ja ausprobieren."
Pause. Carola sieht mich fragend an. "Und wie war das noch?"
"Ich überlege ja schon! Lichtgeschwindigkeit in sedezimal. Oder negative Lichtgeschwindigkeit in sedezimal. Herrgott, wie lange ist das jetzt her, daß ..."
Dauphin zückt einen Taschenrechner. "Umrechnen könnte ich es, aber ich kenne die Lichtgeschwindigkeit nicht. Dreihunderttausend Kilometer pro Sekunde oder so?"
"Oder so. 299 792 458 Meter pro Sekunde sind es genau." sage ich, "Das weiß ich wenigstens noch."
Dauphin rechnet nach: "11DE784A!"
Carola probiert es aus: "Nichts. Weder groß- noch kleingeschrieben. Und negativ?"
"EE2187B6!" Dauphin steckt den Rechner weg, und Carola fingert wieder über die Tastatur.
"Wieder nichts!"
"Es war deine Idee!" stelle ich fest.
"Jaja."
"Vielleicht ist es das Paßwort eures Systemverwalters?"
"Das wäre dumm. Jeder in unserer Abteilung hat es gekannt. Warum sollte ausgerechnet in diesem Meisterstück von Hochtechnologie so ein simples Paßwort verwendet werden? Und was hat es mit mir zu tun? Und mit diesem Projekt? - Wir können ganze Tage damit verbringen, Paßworte zu erraten. Wir können ..."
"Wie heißt es denn?" unterbricht Carola mich.
"Welche kanadische Provinz stellt an die Orthographie-Virtuosität eines jeden Mitteleuropäers die größten Anforderungen?"
"Aha. Und wie schreibt man das?"
"Ich habe immer im Wörterbuch nachgesehen. Ich probiere mal: S-A-S-K-A-T-C-H-E-W-A-N. Glaube ich. Aber das ist es bestimmt nicht."
"Das war es. Ich bin drin!" Carola's Laune hat sich um etliche Grade gebessert. "Aber sicher ist das System nicht, wenn man so einfach reinkommt!"
"Sie sind so einfach reingekommen." betont Dauphin, "Kommt drauf an, was Sie damit machen. Wenn der falsche Mann sich an diesen Rechnern zu schaffen macht, und wenn er Daten mitnehmen will, dann wird er auch kriteriengesteuerte Vergeltungsviren mitnehmen!"
"Was wird er mitnehmen?"
"Kriteriengesteuerte Vergeltungsviren. Parasitäre Programme, die erkennen können, wenn sie auf einem anderen Rechner zum Ablauf gebracht werden. - Wir haben hier Vergeltungsviren für alle Systeme und alle Hardwarearchitekturen. Die würden auf anderen Rechnern sehr unheilvoll tätig werden!"
"Und die analysieren Kriterien, an denen sie erkennen, ob die Programme hier ablaufen oder woanders?"
"Ja. So ist es. Existenz bestimmter Dateien, Prozessoridentifikationen und auch Komplizierteres. Und dann gibt es natürlich trojanische Pferde, die für andere Prozessoren geschrieben worden sind, die uns hier deshalb nicht gefährlich werden können. Wir wissen uns zu wehren. - Aber Hacker kommen hier ja gar nicht erst rein."
"Schön," sage ich, "das haben wir ja schon gemerkt. Sonst hätten wir uns ja von München aus einloggen können. - Aber ich bin angenehm überrascht, daß diese Systeme schon alle einsatzfertig installiert worden sind. Ich hatte schon die Befürchtung, daß wir alle Rechner erst hochfahren müssen, oder - noch schlimmer - erst die Software einspielen müssen! - Aber die haben hier wirklich die leisesten Platten ausgesucht, alle Achtung!"
"Haben sie nicht," sagt Dauphin.
"Nein?"
"Nein. Es gibt an Bord der CHARMION keine einzige Festplatte."
"Gestatten Sie, daß ich kurz lache! PRO-UNIX ist aus der Verschmelzung von UNIX, LINUX, Windows-95, WINDOWS-NT, X-Windows, MS-DOS, OS/2-Warp, Kairo, Chikago, Pink, Next-Step und noch einigen anderen Dingen hervorgegangen. Das System ist immens umfangreich. So etwas kann man nicht von einem Diskettenlaufwerk booten!"
"Eine Diskette," sagt Dauphin, "werden Sie an Bord der CHARMION auch nicht finden. Keine einzige. Und kein Band. Und keine optische Platte, kein CD-ROM."
Er geht zu einem kleinen Schrank hinüber. Als er zurückkommt, hat er einen kleinen, metallenen Gegenstand in der Hand. Er gibt ihn mir.
Copyright © Josella Simone Playton
2000-09-15 14:00:00
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