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10. Ullapool

Die Verlegung des gesamten Teams nach Ullapool wurde erst für das Ende des Jahres 1998 entschieden. Die Streckung des Projektes - welches Großprojekt wird eigentlich nicht zeitlich gestreckt? - hatte wenigstens den nachprüfbaren Vorteil, daß unser Einkommen dabei war, uns vermögend zu machen. Noch ein paar Jahre, und wir würden uns vorzeitig in den Ruhestand begeben können. Naja, eine erfolgreiche Expedition in die Welthöhle wäre dabei schon hilfreich, denn es waren weitere, kriteriengesteuerte Prämien in unseren Arbeitsverträgen festgelegt. Erreichen der Welthöhle, Bodenproben, Videoaufnahmen, Anzahl der Photos, Tierpräparate und dergleichen - von allem würde jedes Mitglied der Expedition profitieren. Durch dieses gestaffelte Prämiensystem - das erst im Laufe der Zeit detailiiert wurde, weil es offenbar in Brüssel eine Abteilung gab, die den ganzen lieben langen Tag lang solche Dinge ausarbeitete - würden wir während der ganzen Expedition motiviert werden.

Nur für die Stufen des Zurückkehrens gab es keine Prämien. Da verließ man sich offenbar auf unseren natürlichen Wunsch, wieder lebendig heimzukommen.

Irene hatte sich entschieden, für die Dauer des Projektes die meiste Zeit in Ullapool zu sein. Sie würde nun definitiv nicht mitkommen, während bei mir eigentlich schon klar war, daß ich mitkommen würde - es war mir deutlich genug nahegelegt worden. Wenn schon nicht anders, dann über dieses Prämiensystem.

Es hatte über diesen Punkt natürlich zwischen uns Streit gegeben. Dann war es mir aber gelungen, für uns - und nur für uns - eine Sondervereinbarung zu treffen: Irene würde so prämiert werden wie ich, wenn nur ich mitfahren würde. Diese Bevorzugung war ja eigentlich auch in gewissem Sinne berechtigt: Erstens ist Irene ja schon in der Welthöhle gewesen, und zweitens würde sie, wenn wir unterwegs waren, die einzig verfügbare und greifbare sachkundige Fachkraft sein, die etwas aus eigener Anschauung über die Welthöhle wußte. Und die motiviert sein würde, daß wir zurückkehren.

Auf diese Weise zählte meine Teilnahme prämienmäßig doppelt. Und für den Fall, daß wir nicht zurückkommen würden, schloß ich auf Kosten der EG eine ordentliche Lebensversicherung für sie ab. - Finanziell sollte es also keine Probleme geben, egal, wie das Projekt lief.

Es war am 5. Januar 1999, einem Dienstag, als wir in Ullapool eintrafen. Die genaue Adresse war


        Electric Boats Company,
        Research Department,
        World Cavern Quay,
        Ullapool,
        Scotland,
        United Kingdom

aber dahinter verbargen sich keine neuerichteten Gebäude dieses Unternehmens. Die Adresse bezeichnete einfach das am Kai liegende Boot.

Ob die Bewohner von Ullapool wissen, daß ihr Hafenanleger so einfach umbenannt wurde?

Weihnachten hatten wir also noch zu Hause verbracht. Nicht, daß wir üblicherweise Weihnachten feierten - Weihnachten ist für uns als kommerzielle Heiligsprechung der Großfamilie, ein Vorgang, der mit dem Christentum nichts zu tun hat, bedeutungslos. Auch haben wir im Laufe der Jahre gelernt, daß Weihnachten sehr leicht Streit ausbrechen kann, weil irgendwelche unbewußten frühkindlichen Erwartungen mit der Wirklichkeit kollidieren. Aber man kann in diesen Tagen einsame Wanderungen unternehmen, weil alle anderen vor dem Weihnachtsbaum hocken. - Allerdings hätte man die Wanderungen in Ullapool vielleicht auch unternehmen können.

Ullapool zur Weihnachtszeit lernten wir also nicht kennen. Aber wenigstens Ullapool im Winter. Schottland im Winter. Eine ganz neue Erfahrung. Statt Regen gab es viel Regen, oft Schneeregen, und meistens war es windig. Wenn es nicht gerade stürmisch war. Wenn das alles gerade nicht der Fall war, dann war es nebelig.

Drei Tage hatte die Fahrt gedauert. Sonntag der Flug von München nach Düsseldorf und von dort nach Edinburgh, am Montag die Bahnfahrt von Waverly Station nach Inverness, und am Dienstag die Busfahrt nach Ullapool. Es wäre vielleicht auch schneller gegangen, aber Irene und ich hatten uns entschieden, dieselben Verkehrsmittel zu nehmen wie bei unserem Urlaub vor zehneinhalb Jahren. So konnten wir Erinnerungen aufwärmen. Erinnerungen aus einer Zeit, in der es die Welthöhle für uns noch nicht gegeben hatte. Erinnerungen an einen Urlaub, nach dessen Ende uns nichts Schlimmeres als die Arbeit drohte.

Ein Urlaub, der uns in goldener Erinnerung geblieben war, weil sich Schottland drei Wochen lang mit sonnigem Wetter getarnt hatte. Eine Woche Sonne in Foyers am Loch Ness, eine Woche Sonne auf den Orkney-Inseln, und eine Woche Sonne in Ullapool. Es war das erste Mal gewesen, daß ich Irene nach Schottland gelotst hatte, und wegen dieses ungewöhnlich schönen Wetters dachte ich, daß es mir vielleicht noch einmal gelingen könnte. Aber unser nächstes Wiedersehen mit Schottland war ja das Auftauchen aus der Welthöhle durch das Loch Ness vor drei Jahren. Dieser Aufenthalt in Schottland war unbeabsichtigt gewesen.

Kein Vergleich mit jetzt, wettermäßig. Wir hatten schon vor unser Ankunft ein B&B buchen lassen - ebenfalls das, wo wir vor zehn Jahren gewohnt hatten. Die anderen Team-Mitglieder, die ungefähr um diese Zeit ebenfalls in Ullapool eintreffen würden, machten es vermutlich ebenso. Aber wir hatten auf der Herfahrt niemanden gesehen.

Als wir am Hafen aus dem Bus ausstiegen, wollte ich eigentlich zunächst einen Blick auf unser Boot werfen. Inzwischen hatte ich mich mit dem Namen CHARMION abgefunden und war fast ein wenig stolz drauf: Immerhin war es ja eine weitere Erinnerung an Charmion, der auf diese Weise Dauer verliehen wurde. Aber es goß in Strömen, und Irene bestand darauf, so schnell wie möglich unser B&B aufzusuchen.

Die Pension der Missis Peukert hatte sich in den zehn Jahren nicht verändert. Die Missis Peukert auch nicht. Aus den Fenstern konnte man auf den Meeresarm hinaussehen, und am Hause selber gab es ein großes Schild: 'THE OLD SURGERY'. War das schon damals dagewesen? Ich konnte mich nicht erinnern.

Was den Meeresarm betrifft, das Loch Broom, so sagte mir lediglich die Erinnerung und die Karte, daß dort hinter dem Nebel und dem Regen ein Meeresarm war, und auf der anderen Seite sogar ein Ufer und das Allt na h-Airbhe Inn, die man beide sicher im Frühjahr wiedersehen würde. Den Hafen konnte man von unserer Pension aus nicht sehen.

Irene schlug vor, am Abend in dem 'Far Isles' - Restaurant der Peukerts zu essen, obwohl uns das nicht gerade als billig in Erinnerung war. Aber es hielt mich nicht. Ich mußte zum Boot, bevor es dunkel wurde. Da Irene nicht selbst mitgehen sollte, war sie einverstanden. Die Missis Peukert erzählte uns dann, daß ihnen das Restaurant schon lange nicht mehr gehörte - sie hatten es schon vor Jahren verkauft, um sich voll dem B&B-Geschäft widmen zu können.

Auf einem der Piers ging eine Gestalt, die mir der Haltung nach bekannt vorkam. Es war Carola. Sie erkannte mich im gleichen Augenblick.

"Wo ist es?" fragte ich statt einer Begrüßung. Bei Carola kann ich mir das leisten. Sie steht nicht auf Formalia.

"Seid ihr erst heute angekommen?"

"Ja. Wo ..."

"Da. Du stehst direkt davor!"

Einen Moment lang erkenne ich nicht, worauf sie zeigt.

"Das ist es. - Unser Boot!" sagt sie.


Copyright © Josella Simone Playton 2000-09-15 14:00:00



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