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6. Erpressung und Köderung

Die Entwicklung ist schneller, als wir dachten. Am Mittwoch taucht Grohmann schon wieder auf, und das erst um 21 Uhr abends. Eine Unverschämtheit.

Er ist von einem zweiten Herren begleitet, den er als De Haan vorstellt. Auch Europäisches Innenministerium. De Haan ist jünger - in den Dreißigern vielleicht - und farblos. Darüber hilft ihm auch sein Boß-Maßanzug nicht hinweg. Er beschränkt sich zunächst aufs Zuhören.

Wir bieten ihnen diesmal kein Bier an. Wir schütteln auch keine Hände. Irene entschuldigt sich nicht für die nicht abgeräumten Reste des Abendessens - das ist unsere Wohnung: Wir können soviel Essensreste auf dem Küchentisch stehen lassen, wie wir wollen, und so lange, wie wir es für richtig halten.

Platz bieten wir ihnen auch nicht an, aber sie setzen sich auf die beiden Küchenstühle, die zufällig bereit stehen.

"Haben Sie nachgedacht, Herr - Homberg?" eröffnet Grohmann nach den Eingangsformalitäten das Gespräch.

"Sicher. Aber Sie sind immer noch nicht damit herausgerückt, was Sie eigentlich wollen. Selbst, wenn ich zugäbe, daß es die Welthöhle gibt - was haben Sie davon?"

"Wir wollen nur Ihre Kooperation."

"Wobei?"

"Bei einer Forschungsexpedition."

"In die Welthöhle?"

"Natürlich."

"Sie haben sie doch nicht. - Oder doch?"

"Nein. Wir haben sie nicht. Aber wir werden sie finden. Wir sind zuversichtlich."

"Naja. Dann lasse ich ihnen ihren Glauben. Aber ich werde nicht mitsuchen, wenn es das ist, was Sie sich vorgestellt haben."

"Brauchen Sie auch nicht. Was wir wollen ist, uns mit ihnen unterhalten. Wie man so eine Expedition ausrüsten sollte, zum Beispiel."

"Sie haben doch das Buch gelesen, oder? War doch ausführlich genug? - Wie oft hat mir der Verleger erzählt, daß es zu ausführlich ist! Was kann ich Ihnen noch erzählen, was nicht da drinnen stand?"

"Das wird sich zeigen."

Grohmann sieht De Hahn von der Seite an, und dieser packt darauf ein Blatt Papier aus seinem Diplomatenkoffer aus und gibt es ihm.

"Sind Sie einverstanden, wenn wir unser Gespräch mitschneiden? Wir müssen Sie fragen, denn sonst machen wir uns strafbar." fragt Grohmann.

"Ich kenne das Strafgesetzbuch. Paragraph 201, Absatz 1, nicht?"

"Oh, wie das? Haben Sie eine juristische Vorbildung?"

"Nein nein. Manchmal muß man nur für den Hausgebrauch einen Blick in die Gesetzbücher werfen. - Übrigens, Hausfriedensbruch wird nach 123 oder 124 bestraft. Und mit der Ausspähung von Daten befaßt sich 202. Ich denke, da sind noch einige Dinge im StGB, die sicher sehr interessant für Sie sind."

"Zum Beispiel Paragraph 109 e, Absatz 2." stellt Grohmann fest.

"Den kenn ich nicht. Worum geht es da?"

"Sabotagehandlungen an Verteidigungsmitteln. Speziell die fehlerhafter Herstellung solcher."

"Da bin ich mir keiner Schuld bewußt. - Sie vielleicht?"

"Betrügerische Validation eines Ada-Compilers. Reicht das?"

"Was wollen Sie damit sagen? Ich habe mal in einem Ada-Compiler-Projekt mitgearbeitet. Und dieser Compiler ist ordnungsgemäß validiert worden. Da ist nichts ..."

"Da ist eine ganze Bibliothek mit internen Testprogrammen, die von Ihrem Compiler nicht korrekt behandelt werden! Bis heute nicht! Reicht das?"

Grohmann ist unheimlich gut informiert. Jetzt weiß ich endlich, was auf unseren Firmenrechnern gesucht wurde. Aber so einfach kommt er mir nicht weg:

"Die eigentlichen Testprogramme sind ordnungsgemäß vom Compiler bearbeitet worden. Die Validation ist ordnungsgemäß abgelaufen!"

"Das ist sie nicht!" erwidert Grohmann.

"Das ist sie wohl. Jeder Compilerhersteller hat so seine Problemfälle. Sie werden keinen Compiler finden, von keinem Hersteller, für keine Programmiersprache, der vollständig korrekt ist."

"Vielleicht. Aber bei Ada ist das anders. Ada ist erstens für den Verteidigungsbereich wesentlich, und zweitens ist die erfolgte Validierung ein Qualitätsmerkmal, das nicht mit der Existenz bekannter Compilerfehler vereinbar ist. Bei einem Ada-Compiler muß man sich schon etwas mehr Mühe geben!"

Ich hole tief Luft: "Selbst, wenn es so wäre. Wenn das eine haltbare Rechtsauffassung wäre. Dann wäre das immer noch das Problem unserer Manager, die ..."

"Das auch," unterbricht Grohmann, "Aber Sie wußten doch von Ihren Problemfällen?"

"Ja, natürlich. Jeder Mitarbeiter im Team wußte davon."

"Und wenn Sie im Strafgesetzbuch so gut Bescheid wissen, dann wissen Sie auch, daß da etwas über die Nichtanzeige geplanter oder ausgeführter Straftaten steht, nicht wahr?"

Mir fällt im Moment nichts mehr ein. Grohmann fährt fort:

"Weiterhin haben wir Hinweise - verstehen Sie, nur Hinweise - daß das ganze Ada-Projekt seitens ihrer Firma nur in die Wege geleitet wurde, um von Brüssel Subventionen zu kassieren. Zu keinem Zeitpunkt ist beabsichtigt worden, den fertigen Compiler auch zu vermarkten. Nennt man das nicht Subventionsbetrug?"

"Fragen Sie unsere Manager!"

"Natürlich, natürlich. Für diesen Punkt können Sie nichts. Aber auch diese Argumentationsschiene kann doch sehr nützlich sein, nicht?"

Nützlich für wen, denke ich. Ich sage dazu lieber nichts. Wenn man nicht weiß, welche Position man beziehen sollte, dann sollte man vielleicht überhaupt keine Position beziehen.

Grohmann's Ton wird eine Spur versöhnlicher:

"Also, Herr Homberg, wir wollen jetzt keine Erbsen zählen. Sie haben jetzt das Thema auf strafrechtliche Aspekte gebracht - ich wollte das eigentlich gar nicht. Natürlich, Sie könnten uns jetzt untersagen, daß wir unser Gespräch auf Band aufnehmen, und wenn wir es doch tun, dann machen wir uns strafbar. Aber ihre Position ist auch nicht so blendend, nicht wahr? - Ich meine, vielleicht wird es ein bißchen schwierig, Ihr ganzes Team wegen, ja gewissermaßen wegen Sabotage strafrechtlich hereinzureiten. Aber schon die bloße Tatsache, daß jemand dieses Verfahren anstößt, bringt eine Menge Unannehmlichkeiten, nicht wahr? Für Sie, für Ihren ehemaligen Chef, für Ihre ehemaligen Kollegen. Gar nicht gut für Ihre weitere berufliche Zukunft. Wollen Sie das?"

Mir fällt immer noch nichts ein. Ich könnte sagen, daß es bei meinem derzeitigen Fortkommen ziemlich egal ist, was gut für meine berufliche Zukunft ist und was nicht. Ich habe keine Aufstiegschancen mehr - das Fortkommen in unserem Hause ist Seilschaften-gesteuert. Und ich bin in keiner Seilschaft drin.

Andererseits werden gute Fachleute immer gebraucht. Ich komme zwar nicht mehr weiter, aber einen Arbeitsplatz finde ich immer, egal, was passiert. Jedesmal, wenn ich probeweise eine Stellenanzeige losgelassen habe, ist ein reicher Strom von Angeboten hereingekommen, sogar noch in den letzten Jahren.

Aber ich denke auch an meine Kollegen, die andere Ambitionen haben. Ich kann denen nicht die berufliche Zukunft leichtfertig vermasseln. Also halte ich den Mund.

"Wir wollen das auch nicht." fährt Grohmann fort, "Es ist sinnlos, da etwas zu tun. Niemandem ist damit gedient. Ich meine nur, daß es eigentlich nicht so ganz weit hergeholt ist, wenn Sie uns ein bißchen assistieren. Sie wissen, warum wir hier sind - bei meinem letzten Besuch haben wir drüber gesprochen. Ausführlich. - Ich weiß, wir wissen, daß Sie einige Dinge anders sehen. Aber wir leben in einer Demokratie, oder? Die europäischen Verwaltungsbehörden sind letzten Endes durch Wahlen demokratisch legitimiert. Und als deren Vertreter betreiben wir die Nutzung von Resourcen im Interesse aller Bewohner Europas. 400 Millionen Menschen, Herr Homberg! Die meisten wären der Meinung, die Welthöhle nutzen zu müssen, wenn das überhaupt möglich ist. Und wir müssen das dann tun. So ist es doch, oder?"

"Die meisten Europäer fahren auch mehr PKW als unbedingt nötig. Es ist nicht richtig, bloß, weil es alle machen! - Außerdem - die Existenz der Welthöhle ist nicht allgemein bekannt! Woher wollen Sie wissen, wie die Mehrheit der Europäer denken würde?"

"Jaja, Sie haben recht! In beiden Punkten. Zum ersten Punkt: Das ist Demokratie. Der erste Souverän des Staates ist die - vielleicht in einigen Dingen völlig inkompetente - Masse. - Wenn wir den Wählerauftrag hätten, den Bevölkerungsdruck dadurch zu kompensieren, daß jede Familie ihr drittes Kind durch den Fleischwolf drehen müßte, - mein Gott, wir müßten es tun!"

"Sie haben geschmacklose Vergleiche."

"Nicht geschmackloser als ihr Buch. Sie geben da relativ sachlich zu, daß Sie auch Menschenfleisch gegessen haben - mehrfach! Übrigens auch ein Straftatbestand, nur, um es zu erwähnen."

Ich setze mich auf die Küchenbank. Irene hat sich längst gesetzt - sie will sich aber offenbar nicht mehr als notwendig in die Unterhaltung einschalten - also am liebsten überhaupt nicht. Wahrscheinlich hat sie wieder einen schweren Tag gehabt. Sie hat da eine etwas paranoide Vorgesetzte, die schwer zu ertragen ist. Verständlich, daß ihr jetzt diese Diskussion zuviel wird.

"Also gut," sage ich, "schalten Sie Ihr Bandgerät ein. - Was wollen Sie wissen?"

Grohmann sieht auf das Blatt, das De Haan ihm gegeben hat:

"Die meisten Dinge gehen ja relativ klar aus ihrem Buch hervor. Oder haben Sie systematisch Dinge verfälscht oder weggelassen?"

"Nein. Ich habe alles so geschrieben, wie ich es erlebt habe."

"Wirklich alles? Zum Beispiel diese sexuellen Übergriffe unter den Granitbeißerinnen auf dem Saurierfänger - Sie beschreiben ein paar Fälle, und irgendwo sagen Sie, daß diese Dinge eigentlich dauernd vorkommen. Warum haben Sie nicht mehr dieser Vorkommnisse beschrieben?"

"Warum sollte ich? Man nimmt es mit der Zeit gar nicht mehr wahr, was an diesen Dingen um einen herum vorgeht. Es wird völlig uninteressant. Es passiert eben. Es sei denn, man ist selbst beteiligt. Aber dann habe ich es ja auch beschrieben. - Es ist ganz genau dasselbe mit dem Essen von Menschenfleisch. Das habe ich so oft gemacht, daß ich das doch nicht jedesmal erwähnen konnte. Die meisten Fälle habe ich auch vergessen."

"Sehr viel," sagt Grohmann, "haben Sie aber nicht vergessen. Neunzig Tage. Und für jeden Tag wissen Sie, was passiert ist. Sie haben es hingeschrieben - nachdem Sie aus der Welthöhle zurückgekehrt sind. Wie haben Sie das alles behalten können?"

"Ist das nicht klar?" sage ich, "Ich hatte Angst um mein Leben. Und um das Leben meiner Frau. Fast immer. Naja, manchmal nur latent. Aber es war ein ganz besonderes Erlebnis, da unten zu sein, und ich wußte, es kann in jeder Sekunde zu Ende gehen. - Wenn man in einer so ganz anderen Welt ist, dann nimmt man alles viel intensiver wahr. Nach Jahren hätte man sich, hätte ich mich auch daran gewöhnt. Aber in den neunzig Tagen ist soviel passiert - ich habe gar nicht mal alles hingeschrieben. Später ist mir noch viel eingefallen, und einige Dinge kann ich chronologisch gar nicht richtig einordnen."

"Was haben Sie dann gemacht, wenn Sie das nicht tun konnten? Ich meine, beim Schreiben des Buches?"

"Die wichtigen Dinge habe ich alle zeitlich einordnen können. Die Besteigung von Casabones, Charmion's Tod, der erste Gleitschirmflug, die Flucht von Casabones, die Wasserstraße, das Erreichen der Gabelsäuleninsel und so weiter. Das ist alles exakt. Ich glaube, daß so kleine Beobachtungen am Rande eventuell nicht genau dann passiert sind, wo ich sie im Buch zeitlich hingeschrieben habe. Das ist aber nie absichtlich passiert - aber ich muß die prinzipielle Möglichkeit einräumen."

"Hatten Sie immer Angst?"

"Ja. Immer."

"Das schreiben Sie aber nicht."

"Doch. Es ist schon aus dem Text zu entnehmen. Ich kann natürlich nicht schreiben 'Ich habe Angst,' und im nächsten Absatz 'Ich habe immer noch Angst'. Das kann man dem Leser nicht anbieten."

"Nein, das kann man wohl nicht," sagt Grohmann, "Sie haben diese ganze Reisebeschreibung aber sehr auf eine Leserschaft hingeschrieben, die normalerweise zu Abenteuerbüchern greift, oder?"

"Ja, natürlich! Oder - wie meinen Sie das?"

"Hätte es nicht ausgereicht, einen wissenschaftlichen Bericht zu schreiben? Für Science? Oder Scientific American? Nature? Bild der Wissenschaft?"

"Machen Sie Witze? Erstens hätte das niemand geglaubt. Die hätten das nicht gedruckt. Und zweitens wollte ich mehr Leser erreichen."

"Warum denn? Gerade noch sagten Sie, daß es Ihnen alles andere als recht ist, wenn die EG eine Expedition in die Welthöhle ausrüstet!"

"Ja. Es ist mir nicht recht. - Aber, verdammt noch mal, ich habe nicht damit gerechnet, daß jemand den Roman für bare Münze nimmt!"

"Sie konnten aber doch auch nicht damit rechnen, daß ALLE Leser in dem Roman eine Fiktion sehen würden, oder?"

"Doch, konnte ich! Es ist zu unwahrscheinlich, all das, was ich da geschrieben habe. Das glaubt doch niemand. Ein Re-Make von Jules Vernes 'Reise zum Mittelpunkt der Erde', das wird der durchschnittliche Leser glauben. Die allermeisten haben es ja auch wohl getan. Oder gibt es jetzt überdurchschnittlich viele Bergwanderer, die auf dem Höllentalplatt den Eingang zur Welthöhle suchen?"

"Nein," sagt Grohmann, "die gibt es nicht. - Es war also Ihre Überzeugung, daß niemand den Roman für einen Tatsachenbericht halten würde, ist das richtig? Sie wollten der Welthöhle - oder den Granitbeißerinnen oder diesem ganzen Erlebnis eben ein literarisches Denkmal setzen, ohne das Geheimnis preiszugeben? Ist das richtig?"

"Ja."

"Was, wenn der Verlag den Roman nicht genommen hätte?"

"Anderer Verlag."

"Was, wenn kein ..."

"Auf Diskette. Freikopierbar. Ist für Romane ein unüblicher Vertriebsweg, aber man kann es ja mal versuchen. Wie Public Domain Software oder Shareware."

"Da hätten Sie nicht sehr viel verdient."

"Habe ich so auch nicht. Sie sehen ja - ich arbeite noch."

"Jaja. Gut." Grohmann geht seine Liste weiter durch. Ich schiele auf die Uhr.

"Würden Sie gerne mehr verdienen? An dem Buch, meine ich?"

"Sicher. Aber ich wüßte nicht, wie das gehen sollte. Lesen ist nicht mehr 'in'. Selbst Autoren von solchen Spitzenromanen wie zum Beispiel 'Jurassic Park' müssen immer noch berufstätig leiben. Ich weiß wirklich nicht, wie man mit der Schreiberei reich werden sollte."

"Ist das nicht klar? Wenn die Existenz der Welthöhle allgemein bekannt wird, dann ist Ihr Buch der authentische Bericht des ersten Menschen, der diese besucht hat! Der Bericht des Entdeckers! Wissen Sie, was das heißt?"

"Was?"

"Millionen verkaufter Exemplare!"

"Ja?"

"Klar! Ach, was sage ich: Dutzende von Millionen! - Wie Tolkien, oder Simmel, oder Konsalik, oder alle zusammen! - Und wie Crichton, selbstverständlich."

"Das habe ich mir noch gar nicht überlegt." Der Vergleich mit Crichton und Tolkien geht mir warm runter. Der mit Konsalik und Simmel nicht. Das neutralisiert sich gegenseitig.

"Das sollten Sie aber. Sie können reich werden. Richtig reich - auch nach Steuern!"

"Wenn die Welthöhle bekannt wird. Wenn sie erschlossen wird. Wenn sie allgemein und jedermann bekannt wird."

"Ja."

Pause. Dann sage ich:

"Und Touristen stolpern über den Grabhügel von Charmion!"

"Da machen wir eine Zaun drum! - Na, im Ernst. Die Welthöhle ist doch so groß - da treten sich Touristen nicht auf die Füße. Die kommen gar nicht überall hin."

"Ich weiß nicht. - Zu dem Grabhügel käme man hin. Im Prinzip. Jeder kann nachlesen, wo der zu finden ist. - Also, ich weiß nicht."

"Was wissen Sie nicht?"

"Es wäre wie Verrat."

"Ist es das? Hat Kolumbus die neue Welt verraten, als er sie entdeckte?"

"Ja, hat er. Wissen Sie, wie vielen Indianern zwischen Feuerland und Alaska dieser Tatbestand in den letzten 507 Jahren das Leben gekostet hat?"

Diese Argumentation wollte Grohmann nicht haben. Also versucht er es anders herum, bevor ich ihm die bekannten acht- bis fast neunstelligen Zahlen über dieses Thema auftischen kann:

"Irgendjemand ist immer der erste. Und wenn Sie sich nicht dazu bekennen, dann macht es jemand anders. So einfach ist es."

"So einfach ..."

"Ja, so einfach. Herr Homberg, ich will Sie motivieren. Mit diesem Hinweis auf die möglichen Verkaufszahlen Ihres Romans. Sie schreiben doch, daß positive Motivation mehr bringt."

"Ja."

"Und was verlangen wir dafür schon? Nur ein paar zusätzliche Informationen, Antworten auf spezielle Fragen, die uns die Expedition leichter machen. Sie ungefährlicher machen. Für die Teilnehmer und, natürlich, für die Welthöhle und ihre Bewohner. Beratung bei der Ausrüstung."

"Ja."

"Deshalb fragen wir einfach noch einmal einiges nach. Wenn Sie wollen, können wir morgen wiederkommen. Oder übermorgen? Ihre Frau ist müde, ich sehe es ihr an. Sie hat noch kein Wort gesagt, den ganzen Abend lang!"

Sie sagt auch jetzt nichts, weil ich ihr zuvorkomme:

"Ich soll also nur noch weitere Fragen beantworten? So wie vorhin?"

"Ja. Alles, was uns ein bißchen unklar ist. - Naja, und es ist da ja eigentlich noch die Erwartung, daß sie etwas mehr tun könnten! - Sie beide, übrigens."

"Nämlich?"

"Sie können diese Sprache. Dieses Xonchen. Nicht wahr?"

"Da kannst du Gift drauf nehmen, du Arschloch!" sage ich in Xonchen. Irene lacht kurz. Sie hat es verstanden.

"So hört sich das also an? Beeindruckend. Und Sie können das, ohne sich die Zunge abzubeißen? - Was haben Sie denn eben gesagt?"

Ich übersetze ihm das letzte lieber nicht. "Das kann man lernen. Wie jede Sprache."

"Das ist der Punkt. Wollen Sie Xonchen-Unterricht halten? Sie beide?"

"Ich habe einen Beruf! Meine Frau auch!"

"Doppeltes Gehalt. - Nach Steuern doppeltes Gehalt."

"Emppfh." sage ich. Manche Argumente Grohmann's ziehen wirklich.

"Es gibt Kündigungsfristen ..." wende ich ein.

"Nein. Nicht für Sie. Das erledigen wir. Wenn Sie wollen. - Wenn Sie wollen, Herr und Frau Homberg, hören Sie, wenn Sie wollen, dann waren Sie heute den letzten Tag bei Ihren alten Arbeitgebern im Dienst! Der neue Vertrag gilt rückwirkend, vom Anfang dieses Quartals an!"

'Vom Anfang des Monats an' wäre, jetzt im April, dasselbe gewesen, aber 'vom Anfang des Quartals an' klingt natürlich besser. Irene sieht mich an. Ich sehe sie an. Bei diesem Stellenangebot ist sie hellwach geworden.

"Nur Sprachunterricht?" frage ich.

"Und generelle Unterstützung, was die Vorbereitung der Expedition betrifft."

"Aber keine Teilnahme?"

"Nein, nein. Keine Teilnahme. Nicht, wenn Sie nicht wollen. Wenn Sie natürlich doch wollen, erhöhen sich die Bezüge um - ich weiß nicht. Wir können es ja nachlesen. Wie es der Zufall will haben wir die Verträge ja schon dabei!"

"Müssen wir umziehen?" fragt Irene. Hat sie schon innerlich zugestimmt? Das ging ja schnell.

"Nein. Sie können hier wohnen bleiben. Das Beratungszentrum entsteht hier in München."

"Beratungszentrum?"

"Ausbildung. Koordinierung. Und so weiter. Leute rekruitieren. Wir brauchen gute Leute."

"Ja sicher."

"Denen Sie unter anderen Dingen dieses Xonchen beibringen!"

Ich überfliege die Verträge. Zuviel gedrucktes. Ich kann nicht alles auf einmal erfassen. Es ist jedenfalls deutlich anders als unsere Tarifverträge.

"Eine Frage." sage ich.

"Ja?"

"Was, wenn sich herausstellt, daß es die Welthöhle doch nicht gibt? Daß es wirklich nur ein guter Roman war? Das könnte ja noch sein - Sie haben keinen wirklichen Beweis!"

"Unser Risiko," sagt Grohmann, "dann müssen wir uns eben eine andere Erklärung für das Mädchen im Gletscher ausdenken."

"Ach, Chreich. Die habe ich vergessen."

"Wie sprechen Sie das aus?"

"Chreich!"

"Im Buch schreiben Sie aber ..."

"Chreich. Genau das schreibe ich. Wie soll man es sonst schreiben?"

Grohmann nickt. "Ich muß es ja nicht lernen. Wollen Sie sich die Verträge ansehen? - Ich lasse sie Ihnen da. Morgen kommen wir wieder. Tagsüber. Ich nehme an, Sie gehen nicht zum Dienst. Melden Sie sich krank. Arztbescheinigung brauchen Sie nicht mehr - bis die erforderlich wird, haben wir alles geregelt - wenn Sie morgen diese Verträge unterschreiben. Also gehen wir?"

Er steht auf. De Haan auch.

"Wir sehen uns morgen. Nicht? 'Rufen Sie uns nicht an, wir rufen Sie an!' so sagt man doch. Aber wir kommen wirklich. Ist Ihnen 14 Uhr recht?"

"Ist es uns recht?" frage ich Irene. Sie nickt.

Als die beiden gegangen sind, stehen wir eine Weile schweigend in der Küche.

"War das nun eine Erpressung, oder sind wir geködert worden?" frage ich.

Irene liest den Vertrag. "Guck dir das an. Da komme ich in der Bank ein Lebtag nicht hin. Warum zahlen die soviel?"

"Sie zahlen es nicht," sage ich. "die Granitbeißerinnen werden es bezahlen."

Ich nehme ein Buch von einem Stapel auf dem Küchenschrank. Ein Stapel gleichartiger Bücher. Belegexemplare. Ich blättere durch die Seiten. Josella Playton: 'Welthöhle - Die Granitbeißerinnen'. - Ich war so stolz darauf.

"Die Granitbeißerinnen werden es bezahlen," wiederhole ich, "sie werden es teuer bezahlen. Wie bei jeder Kolonisation."

Und nach einer Weile:

"Was habe ich getan? Mein Gott, was habe ich getan?"


Copyright © Josella Simone Playton 2000-09-15 14:00:00



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