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******** 059. Tag: Montag 95-10-16 ********

59.1 Bewegungslos im Nebel

"Bei dieser Sicht können wir nirgends wohin." stellt Osont mißmutig fest. Auch eine ganze Zeit nach dem Frühstück hat sich nichts geändert. Die Nebeldecke ist so dick, daß auch in der Höhe nichts zu sehen ist, nicht einmal von den Krähennestern aus. Jetzt könnten diese Schiffe in irgend einem tropischen Gewässer auf der Erdoberfläche schwimmen. Eine schöne Illusion. Für einen Moment. Für einen Moment kommt einem wieder die alte Idee, daß man von einer Sekunde zur anderen aufwachen könnte und die Welt der Granitbeißer sich als böser Traum erweist.

Aber dieser Osont neben mir mit seinem strengen Körpergeruch und seinem rabiatem, griffbereitem Schwert, die Geräusche der nach der Schlafperiode wieder aufgenommenen Arbeiten auf den Schiffen und, subjektiv, aber real und deutlich genug, der immer gegenwärtige Verlust von Charmion, den dieser Mann neben mir verschuldet hat, und natürlich das ungewisse Schicksal von Irene, das alles gibt allem den harten, unnachgiebigen Geschmack der Realität.

"Hauptsache, es kommt kein Wind auf, der uns in ungeplante Richtungen treibt. Im Moment ist es ja völlig windstill. Aber ich würde die Schiffe auch nicht auseinandernehmen, solange dieser Nebel anhält."

"Habe ich etwas gesagt, daß ich so etwas Blödes tun würde?" fragt Osont unwirsch, "Es wäre die größte Dummheit. Wir könnten uns verlieren."

Wir gehen die Decks auf und ab, schweigend und ungeduldig. Eigentlich möchte ich mich aus Osont's Nähe entfernen, andererseits sind in seiner Gegenwart die ersten Neuigkeiten immer zuerst zu erfahren. Deshalb stehen wir in gemessener Untätigkeit auf dem Deck und begutachten Wetterentwicklung und Arbeitsfortschritt. Noch haben die Leute zu tun, und noch wollen wir sowieso nicht weiterfahren. Aber wenn uns der Nebel länger festhält als unsere Vorbereitungen dauern, dann wird das noch ziemlich an den Nerven zerren. Das tut der Nebel eigentlich jetzt schon. Wenn man hinaussieht, dann ist da die spiegelglatte Wasseroberfläche, die sich schon nach wenigen Metern völlig im Nebel auflöst. Die Eigenbewegungen der Schiffe, verursacht durch die auf ihnen sich hin- und herbewegenden Männer und die dadurch bedingte Gewichtsverlagerung reicht nicht aus, auf dem Wasser mit bloßem Auge sichtbare Wellen zu erzeugen. Dazu ist es dunkler als gewöhnlich, was sich auch auf die Stimmung legt, bei allen.

Osont redet nicht, und ich habe auch keine Lust, irgendein Thema anzuschneiden. Wir haben ja so völlig verschiedene Ziele. Nur zeitweise ist unser Weg der gleiche, sind wir Gefährten. Gefährten, aber keine Freunde. Er hat Charmion ans Kreuz gebracht.

Vielleicht eine Stunde nach dem Frühstück dringt ein großes Rauschen durch den Nebel zu uns, gefolgt von einem urweltlichen Rülpsen. Augenblicklich erstarrt jeder an Bord zu völliger Reglosigkeit. Auch Osont steht wie angenagelt.

Jeder wartet. Es vergehen vielleicht sechzig Sekunden, in denen weiteres Platschen und Rauschen zu hören ist, und ab und zu tiefe, guturale Laute. Dann bemerke ich die seichte, langwellige Bewegung der Wasseroberfläche.

"Sie haben uns nicht bemerkt. Sie müssen vielleicht 200 Meter von uns entfernt sein." sage ich leise zu Osont.

"Uns nicht bemerkt? Bei dem Lärm hier?"

Wir warten. Kann sein, daß da irgendein Viech durch den Lärm an Bord angelockt wurde. Kann aber auch sein, daß wir ihm völlig egal sind. Was weiß ich von den Verhaltensmustern der hiesigen Tierwelt, außer, daß sie häufig, metabolisch bedingt, sehr langsam sind? Charmion wäre jetzt nicht so hilflos wie wir.

Ich weiß nicht, welcher Typ von Fischsaurier da draußen ist - irgend so etwas muß es ja sein - und ob sein Hiersein etwas mit uns zu tun hat, oder ob gar eine Aggression zu erwarten ist. Ausschließen kann man nichts. Das Adrenalin kocht jedenfalls im Blut. Jeder rechnet mit der Möglichkeit, sich schon in den nächsten Sekunden irgendwie zur Wehr setzen zu müssen.

Nach einigen Minuten habe ich aber das Gefühl, daß der Ursprung der Geräusche sich entfernt. Trotzdem dauert es etwa zehn Minuten, bis man überhaupt nichts mehr hört. Noch weitere zehn Minuten vergehen, bis Osont nickt. Es darf weitergearbeitet werden.

Aber die Stimmen sind leiser geworden, es wird öfter die Arbeit unterbrochen und in den Nebel hinausgehorcht, und sogar die Axt wird weicher geschwungen, soweit das möglich ist. Die Spannung weicht nicht von uns. Jederzeit können wir einem Großtier im Wege sein. Oder ein Großtier ist uns im Wege - was aber auf das gleiche hinausläuft.

Die Dunkelheit nimmt wieder zu, und bald nach diesem Vorfall beginnt es zu regnen, erst tröpfchenweise, als sei bloß der Nebel dicktröpfiger geworden, dann geht der Nieselregen in schweren Landregen über. Außerdem wird es noch wärmer. Die übliche Saunaatmosphäre in dieser Welt bin ich ja schon gewohnt, aber nun wird es schwer erträglich. In einer hundertprozentig feuchten Umgebung kann man sich nicht durch Schweißverdunstung kühlen, und wenn diese Umgebung wärmer als die übliche Körpertemperatur eines Menschen ist, dann wird die Körpertemperatur steigen. Es gibt nichts, was das aufhalten könnte. Eigentlich leben wir schon, seit wir in der Welt der Granitbeißer sind, ständig am Rande des Fiebers.

Die Arbeiten an Bord nehmen ab, weil sogar die Männer sich nicht gerne diesem warmen Regen aussetzen. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, weil das prasselnde Geräusch des Regens die Geräusche der Äxte übertönt.

Ich verbringe die Zeit abwechselnd in den Deckshäusern und schwimmend knapp an einer der äußeren Bordwände - Fischsaurier oder nicht. Immer dann, wenn ich das eine tue, kommt es mir so vor, als ob der jeweils anderen Aufenthaltsort mehr Kühlung bringen könnte.

Knapp eine Stunde nach Beginn des schweren Regens nimmt dessen Temperatur wieder etwas ab, und es wird wieder erträglich, faul auf Deck zu liegen. Mit dem weiteren Abflauen des Regens nimmt auch die Sicht wieder zu, und die notwendigen Arbeiten, um das Wasserstraßengebiet zu durchqueren, können fertiggestellt werden. Aber als die Schlafperiode beginnt, läßt der Regen erst eine Sicht von hundert bis zweihundert Metern zu. Und er geht so gleichmäßig, als wolle er nie aufhören.

Trotzdem ist er jetzt wieder von einer Temperatur, die das Schlafen im Freien ermöglicht. Das tue ich, nachdem ich meinem Wachvorgänger gesagt habe, wo er mich finden kann, wenn meine Wache dran ist. Ich habe in dieser Schlafperiode die letzte Nachtwache.


Copyright © Josella Simone Playton 2000-09-15 14:00:00



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