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******** 040. Tag: Mittwoch 95-09-27 ********

40.1 Osont's Launen

Kurz nach 0 Uhr gibt es den ersten schweren Unfall. Nicht für den Piloten, sondern für einen Schirm. Der betreffende Pilot - auch ein Erstflug - lenkt seinen Gleitschirm in einen Baum am Rande des Übungshanges. Dabei wird der Schirm vollständig zerrissen, so daß es wahrscheinlich einfacher ist, einen neuen herzustellen als diesen zu reparieren. Der Pilot kommt mit einigen Schrammen davon.

Aber nicht lange. Als Osont von diesem Unfall hört, platzt er vor Wut. Auch ihm ist der Projektfortschritt zu langsam, und jetzt hat er jemanden, an dem er seine Wut abreagieren kann.

Er schreit den armen Mann minutenlang an. Der weiß gar nicht, was ihm geschieht. Wahrscheinlich hat er etwas falsch gemacht, aber was, das wird diesmal gar nicht untersucht. Osont sorgt dafür, daß dieser Vorfall möglichst vielen von Anfang an bekannt wird.

Ich vermute schon, daß jetzt wieder Liegestütze überm offenen Messer fällig sind, vielleicht bis zur Erschöpfung, oder Auspeitschungen oder Zwangsarbeit.

Aber wenn Osont sauer ist, dann ist mehr Aufwand angesagt. Er läßt den Mann fesseln. Dann hält er eine ganze Gruppe Männer von sinnvollerer Arbeit ab, indem er sie ins Dorf schickt. Es wird bald klar, warum: Als sie wiederkommen, schleppen sie ein Vollstreckungskreuz.

Im Laufe der nächsten Stunden werden am Rande des Übungshanges sieben dieser Kreuze aufgestellt, so daß wer immer hier tätig ist, diese dauernd ansehen muß. Eines davon geht gleich in Gebrauch. Für den Unglückspiloten gibt es keine Rettung mehr.

Von da an ist die Stimmung am Übungshang weniger ausgelassen. Die Männer sind bei der theoretischen Einweisung mit wesentlich mehr Konzentration dabei, und immer, wenn ich zu der neuen Startrampe über den Wolken gehe, merke ich, daß auch da wieder mit weniger Reden und mit mehr Eifer gearbeitet wird.

Um 4 Uhr gibt es wieder Aufregung. Ich erfahre, daß an den Sumpfteichen zwei Rebellen gefaßt worden sind, die da rumspioniert haben. Ich bekomme sie zunächst nicht zu sehen, aber ich vermute, daß sie jetzt von Osont, der plötzlich nirgendwo zu finden ist, auf das genaueste befragt werden. Niemand sagt es mir direkt, aber ich weiß es trotzdem: Da wird gefoltert. Das ist ja auch Osont's Stil.

Um 6 Uhr werden die beiden zum Übungshang gebracht und ohne weitere Umstände gekreuzigt. Beide sind in einem fürchterlichen Zustand: Wunden am ganzen Körper, Unterarme und Schienbeine gebrochen, fast alle Zähne ausgeschlagen, der eine hat sogar ein Auge verloren. Beide kriegen kaum noch mit, was mit ihnen geschieht. Beide sind innerhalb einer halben Stunde nach der Kreuzigung tot, ohne daß sie wieder zu klarem Bewußtsein gekommen sind. Nur der Unglückspilot lebt noch.

Wenn ich jemals dazu komme, Osont umzubringen, dann wird dieses alles es mir leicht machen. Was habe ich damals zu Charmion gesagt? Vielleicht ist es für die Granitbeißer die richtige Gesellschaftsordnung, so, wie sie sich für mich darstellt, mit Kannibalismus und Gewalt. Entschuldigt das etwas? Nein. Und wenn es etwas entschuldigte, dann würde es auch das entschuldigen, was ich Osont noch antun werde.

Nur erst einmal von Casabones herunterkommen.

Nach diesen unschönen Vorgängen verbringe ich die meiste Zeit an der Baustelle für die Startrampe über den Wolken. Diese benötigt ungewöhnlich viel Material, da der Boden zu fest ist, um Pfähle einzurammen. Da muß man sich mit mancherlei anderen Konstruktionen behelfen, und alle brauchen mehr Holz als ein einfacher, in den Boden gerammter Pfahl.

Kurz nach 12 Uhr tauchen zwei Männer auf, die ich nicht bestellt habe. Sie setzten sich mißmutig hangaufwärts von uns hin. Ich frage nach, was sie vorhaben.

"Das Ding da bewachen. Hat Osont angeordnet. Es wird jetzt alles bewacht!"

"Und warum?"

"Hat Osont nicht erzählt, uns doch nicht. Aber es gibt vielleicht einen Angriff der Rebellen. Da soll nichts kaputt gehen."

So ist das also. Das heißt, ich kann mich ab sofort nicht mehr auf den üblichen Wegen unbeobachtet davon machen, ohne wenigstens Neugier zu erregen oder auch Fragen beantworten zu müssen. Und mich durch den wegelosen Wald zu schlagen ist auch nicht empfehlenswert. Ich hätte Orientierungsschwierigkeiten und könnte den Rebellen in die Hände fallen.

Nur der Weg über die Berge, der wäre mir sicher gewesen - wenn wir nicht diese blöde Startrampe bauen müßten.

Wenig später gehe ich dann mit den Arbeitern zu Tale. Statt an Charmion's Grabhügel schlafe ich an den Sumpfseen, weil man sich dort am schnellsten Material für ein Lager zusammensuchen kann. Außerdem schlafen - weit verstreut - inzwischen die meisten da. Das gibt natürlich eine gewisse Sicherheit. Aber, wenn man beim Liegen die Nase in bodennahen Luftschichten hat, ist da immer der Duft von ungewaschenen Füßen und frisch freigelassenen Darmwinden. Bei soviel Leuten ist das gar nicht zu vermeiden, nicht einmal im Freien.

Und außerdem wird geschnarcht.


Copyright © Josella Simone Playton 2000-09-15 14:00:00



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