Voriges Kapitel Inhaltsverzeichnis Nächstes Kapitel



Voriges Kapitel Inhaltsverzeichnis Nächstes Kapitel


******** 038. Tag: Montag 95-09-25 ********

38.1 Geschichten für Charmion

Ich denke daran, daß wir ziemlich zu Anfang unseres Aufenthaltes auf Casabones zwischen Mauerdurchbruch und Dorf einen Abstecher einen Berg hinauf gemacht haben. Dieser Berg muß derselbe sein, an dem der Übungshang anliegt. Also muß es möglich sein, über den Berg hinweg dort hinunter zu kommen. Dann muß ich nicht am Dorf vorbei. Und vielleicht an einem lauernden Beobachter, der dann wieder die Verfolgung aufnimmt.

Beim Steigen denke ich an den Mann, den Charmion an dem Tag umgebracht hat, als sie mir gezeigt hat, wie man sich im Urwald ernähren kann. Ich weiß ja bis heute nicht, warum der uns verfolgt hat. Ist da ein Zusammenhang? Oder ist es Zufall?

Über mir wird es dunkler. Die Wolkenobergrenze ist schon erreicht. Die Vegetation weicht innerhalb von nur 50 bis 100 Metern Höhenunterschied nacktem Felsboden. Es ist sehr uneben, und für einen Startplatz für Gleitschirmabsprünge muß man schon suchen - oder wir müssen ein Anlaufsgerüst bauen.

Als die leuchtende Wolkendecke definitiv unter mir ist und ich in alle Richtungen wieder den weiten Blick durch die Welthöhle mit ihren mächtigen Säulen habe, bleibe ich stehen, um mich zu orientieren. So ungefähr kenne ich diese Aussicht ja schon, und ich kriege auch relativ schnell heraus, wie ich etwa weitermarschieren muß. Es ist nicht weiter schwierig, schon gar nicht verglichen mit den Dingen, die ich in dieser Welt bereits gesehen habe. Eine unwegsame Bergwanderung, weiter nichts. Reine Genußstrecke.

Der seitliche Vorberg, auf dem ich damals mit Charmion, Ougom, Och und Ohohohom gestanden bin, ist leicht zu identifizieren und nicht ganz so leicht zu erreichen. Aber die ganze Zeit kann ich mich jederzeit vergewissern, daß mir weit und breit niemand folgt. Dann steige ich den mir schon bekannten Pfad ins Tal ab.

Dabei wird die Erinnerung an Charmion zeitweise übermächtig. Als ich die Wolkendecke schon wieder erreicht habe, erkenne ich das Wegesstück wieder, wo Charmion und ich uns so lange geküßt haben, bis Ougom ungeduldig geworden ist. Wenig später - was hat sie noch gesagt? Wenn wir unten angekommen sind, dann werden wir spielen, diesen und den nächsten Tag, solange wir können. Und dabei haben sich ihre Brustwarzen aufgestellt - sie hat das wirklich gemeint, was sie gesagt hat. Spielen, solange es geht. Charmion, da war deine Zeit schon beinahe abgelaufen. Spielen, solange es geht. Wie hätte ich es dir gegönnt!

Ich erreiche den Fahrweg. Leise bewege ich mich weiter. Ich sehe niemanden, und ich habe auch nicht das Gefühl, beobachtet zu werden. Als ich den Mauerdurchbruch passiert habe, inspiziere ich kurz die Waffenschränke oben im Aufgang neben dem Tor. Aber auch dort kein Hinweis darauf, daß jemand außer mir dortgewesen ist.

Ungehindert komme ich bis zum Steilufer über Oom's Platz und über Charmion's Grab. Sorgfältig sichernd steige ich ab.

Nichts. Charmion's Grabhügel ist unverändert, und Oom's Hütte ist leer. Auch darinnen ist niemand gewesen. Oder derjenige war sehr vorsichtig, um nichts zu verändern.

Wie ein alter Mann lasse ich mich neben Charmion's Grab nieder. Genauso fühle ich mich auch. Wie ein alter Mann. Abgesehen davon gibt es keinen Grund, ihr nicht zu erzählen, was ich seit meinem letzten Hiersein erlebt habe. Ob dereinst auch jemand an meinem Grab sitzen wird und mir Dinge erzählen wird? Seltsam, ich habe nie damit gerechnet. Es ist mir eigentlich auch immer egal gewesen. Die Gräber meiner Großeltern - denen habe ich nie etwas erzählt. Genaugenommen bin ich dort selten gewesen. Ich hatte ihnen ja auch im Leben wenig zu erzählen. Als kleiner Junge, da war das anders. Alle Großeltern erzählen sich Geschichten und lassen erzählen. Aber was immer ich mit Charmion geredet habe, das lag doch auf einer anderen Ebene - irgendwie. Ich weiß nicht wie. Ist es bloß wegen des Zufalls, daß zwei Wesen in der endlosen Wüste aus Milliarden von Lichtjahren an derselben Stelle sind, und das auch noch zur selben Zeit, zum selben Zeitpunkt aus der Ewigkeit von Milliarden von Jahren, die schon vergangen sind und die noch kommen werden? Wie habe ich zu Charmion gesagt, nachdem der Wendeltreppenschacht abgebrannt war? 'Wir sind hier und nicht dort, wir sind jetzt und nicht zu anderer Zeit, wir waren nicht, und wir werden nicht sein.' - Und wir waren zugleich am gleichen Ort und das gleichzeitig. Ich habe vergessen, ihr zu sagen - ich hätte ihr das wirklich öfter sagen müssen - nämlich, daß das ein großes Privileg für mich war.

Warum man so etwas nie im alltäglichen Leben sagt? Weil es zu flach klingt? Zu banal, abgeschmackt und abgeschaut aus dramatischen Filmen? Zu billig? Warum klingen große, einfache Wahrheiten denn immer billig?

Irene habe ich so etwas auch nie gesagt. Ich muß es ihr sagen, wenn wir uns wiedersehen. Wenn ihr etwas passiert, dann ist es auch dafür für alle Zeit vorbei und zu spät.

Arme Charmion - wenn sie doch zuhörte. Dieses Stück Ufer wird auch in meinem Gedächtnis bleiben, für immer. Auch, wenn ich alles daransetzen werde, nie wieder hierherzukommen, wenn uns die Flucht aus der Welt der Granitbeißer gelingen sollte.

Es ist noch zu früh zum Schlafen. Ich denke laut darüber nach, welche Strategie denn nun am besten wäre, wenn wir diese Welt wieder verlassen wollten. Da sind die braunen und die salzigen Quellen, von denen Oom erzählt hat, und die vielleicht einen Weg nach oben andeuten. Vielleicht aber auch nicht. Und ob wir sie finden ist ja auch nicht sicher. Es ist nicht einmal sicher, ob es sie wirklich gibt.

Und da ist der Weg, auf dem wir gekommen sind. Wenn wir jemals dahin zurückkommen sollten - mit guter Ausrüstung, Fackeln, Seilen, Strickleitern. Ob Irene das schafft? Dieser lange Anstieg, diese endlosen Leitern? Charmion, was meinst du? Ich brauche deinen Rat! Ich brauche ihn so dringend!

Ich lasse mir Zeit. An diesem Platz, so scheint es, gibt es soviel davon. Irgendwann schwimme ich noch einmal auf den See hinaus, soweit, daß das Steilufer im Nebel verschwindet und das andere auftaucht, im Vertrauen darauf, daß dieser See keine bedrohlichen Ungeheuer enthält. Aber ich habe ja hier auch nie welche gesehen. Dann bin ich noch eine Weile im Wald oben beim Essen, bevor ich es mir endgültig neben dem Steinhügel bequem mache. Bald schlafe ich ein.

38.2 Flugbetrieb

17 Uhr. Sehr gut. Präzise zum Ende der Schlafperiode aufgewacht. Woher das wohl kommt? Man könnte Spekulationen darüber anstellen, daß wir Oberflächenmenschen eventuell doch mehr genetische Verbindungen zur Welt der Granitbeißer haben als man vermuten könnte. Woher sonst der Zufall, daß ich mich so hervorragend an den 27 Stunden-Rhythmus anpassen kann?

Aber das ist natürlich Blödsinn. Der natürliche Schlaf-Wach-Rhythmus der meisten Menschen ist etwas länger als 24 Stunden, und er schwankt individuell sehr stark. Da kann man nichts hineingeheimnissen. Persönliche 27-Stunden-Rhythmen kommen genauso oft vor wie 23-Stunden-Rhythmen.

Ich mache mich auf den Weg zur Arbeit. Die ganze Zeit beobachte ich die Umgebung sehr aufmerksam, aber ich habe immer noch nicht den Eindruck, daß mich jemand beobachtet oder verfolgt. Vor dem Dorf nehme ich wieder den Weg über den Berg. Dabei überlege ich mir eine Ausrede, wenn mich jemand fragen sollte, wo ich solange war, und wieso man dahin ausgerechnet über den Übungshang gehen muß.

Aber es fragt mich keiner. Als mich der erste auf dem Übungshang sieht, bin ich ja schon längst wieder in der Nebelschicht, und da kann ich, wenn ich so plötzlich für jemanden anderes aus dem Nebel auftauche, im Prinzip von überall her gekommen sein.

Inzwischen sind drei Gleitschirme einsatzbereit und weitere fünf in Arbeit. Es gibt einen regen Übungsbetrieb, und schon einige weitere interessierte Männer sind eingewiesen worden. Ich erfahre auch von einem Beinbruch, den sich bereits einer zugezogen hat, und der jetzt in 'Behandlung' ist. Was immer das heißt. Da muß ich mich wohl auch noch drum kümmern.

Ich geselle mich zu den Zuschauern. Die Organisation klappt schon recht gut. Oios hat eine Art theoretische Einweisung unternommen, offenbar in der Erkenntnis, daß die durchschnittlichen Fähigkeiten der Männer für das Verständnis der Funktionsweise eines Gleitschirmes einfach nicht ausreichen. Wer nicht ein gewisses Grundverständnis nachweisen kann - sowenig das ist, weil Oios selbst ja kaum etwas weiß - darf noch nicht mit einem Gleitschirm fliegen. In einer Pause erzählt Oios mir, daß das fürchterlich viele sind, in deren Köpfe nicht einmal dieses Grundverständnis hineingeht.

Die Leute sind einfach den vielen neuen Stoff nicht gewöhnt, der in so kurzer Zeit auf sie einstürmt, nachdem sie jahrelang nur herumgegammelt haben. Erst Papierherstellung, Materialverarbeitung, Tischlerei, Nähen und Rohmaterial ernten, jetzt auch noch Aerodynamik und Flugbetrieb und Gleitschirmkunde. Das ist fast so, als ob man bei uns eine Vorschulklasse beträte und den Kinder sagte, daß sie in drei Monaten mit zum Mond fliegen können, wenn sie bis dahin noch rasch ein Universitätsdiplom in Physik und Chemie und Geologie machen.

Trotzdem bin ich zufrieden, daß diese Anfangserfolge dem Ganzen eine gewisse Eigendynamik gegeben haben. Jetzt geht die Entwicklung auf jeden Fall weiter. Die Bemerkungen aus der Zuschauermenge sind es, die mir diese Zuversicht geben. Es ist wie bei kleinen Kindern: Wer schon bei fünf Flügen zugesehen hat, dünkt sich als überragender Experte dem gegenüber, der erst zwei Flüge gesehen hat. Und die, die mit eigenen Augen noch gar nichts gesehen haben, werden fast mitleidig behandelt. Abgesehen davon sind die meisten Kommentare physikalisch absoluter Blödsinn.

Außerdem wird sich jetzt ein besonderer Adel heranbilden: Die, die schon einmal geflogen sind. Im Moment kann man die noch an einer Hand abzählen. Okr, Oios, Oam und noch zwei andere. Aber es werden immer mehr werden, und wenn einer von denen redet, dann haben die anderen Funkstille. Das wird so bleiben, bis alle einmal geflogen sind.

Irgendein Kriterium für eine Hackordnung in so einer Gruppe von Menschen bildet sich immer - und jetzt wird das eben die Flugerfahrung sein. Immerhin besser als die ständigen Streitereien, die auch immer wieder ausbrechen, auch wenn Osont's strenges Regiement dafür sorgt, daß das nicht zu oft vorkommt.

Wieder schwebt einer schräg über uns im Nebel vorbei, dreht eine sachte Kurve, verliert Höhenmeter um Höhenmeter. Er scheint nicht aus der Kurve herauszukommen, oder er ist vor Schreck gelähmt. Als er direkt vor der Zuschauergruppe landet, gerade noch rechtzeitig das Laufen anfangend, sehe ich ein mir noch unbekanntes Gesicht. Wohl auch ein Erstflug. Und mit der Schrecklähmung hatte ich, dem Gesichtsausdruck nach zu schließen, recht.

Das bleibt natürlich nicht lange. Erst befreit er sich noch mit zitternden Fingern aus den Haltegurten. Genaugenommen zittern die Finger nur, weil der arme Kerl am ganzen Körper schlottert. Aber schon während des Zusammenlegens des Schirmes gibt er seine ersten 'Interviews'. Wenig später steigen seine Höhenangaben, die er erreicht haben will, so rasch, daß er eigentlich noch gar nicht gelandet sein kann. Wie die Kinder, denke ich mir, wie Kinder.

Schirm zusammenlegen, nach oben bringen, überprüfen, eventuell reparieren, der Nächste bitte. So schnell geht das schon. Auch mein schlotternder Held von eben wird noch einmal nach oben zum Übungsleiter gerufen, weil der Flug in das Flugbuch eingetragen werden muß.

Nun wird es auch bald Zeit, daß ich mich selbst einmal so einem Gleitschirm anvertraue. Aber so eilig habe ich es damit nicht. Erst einmal muß die Qualität der Schirme in vielen Versuchsflügen reifen. Es wird schwere Abstürze geben, aus Gründen von Pilotenfehlern und aus Gründen des Materialversagens, und ich möchte nicht gerade einen davon selbst erleben.

38.3 Am Rande von Casabones

Da es so aussieht, als ob es für mich wenig zu tun gibt, will ich der Idee nachgehen, die ich schon länger hatte: Der Fahrweg vom Dorf führt zu den Sumpfteichen, hört da aber nicht auf. Er entfernt sich wieder von diesen und von den anderen Plätzen der momentanen Aktivität. Ich bin da noch nie gewesen und möchte zu gerne wissen, wo er hinführt. Es kann von hier aus ja nicht mehr allzuweit zum Rand von Casabones sein.

Niemand achtet auf mich, als ich mich auf den Weg mache, und schon bald bin ich allein. Der Wald wird dichter und der Weg schlechter. Zwischen den Bäumen blitzen ab und zu Wasserflächen auf, aber zu richtig ausgedehnten Sumpfteichen kommt es nicht mehr. Auch weiteres Schneidgras ist dort nicht zu holen, wo so eine Pfütze völlig im Wald eingebettet ist und man Schwierigkeiten hat, zwischen den Begriffen 'Sumpfteich' und 'nasser Waldboden' zu trennen.

Nach etwa einem Kilometer, in dem der Fahrweg seine Richtung in Großen und Ganzen nicht ändert, verwandelt er sich in einen Trampelpfad, der immer undeutlicher wird. Außerdem senkt sich das Gelände definitiv weiter ab. Ich befinde mich in einem Tal.

Das Tal wird bald zur Schlucht. Es wird düster, und stellenweise ist das Vorwärtskommen schwierig, auch wenn der Pfad immer noch zu erkennen ist. Das Rinnsal am Boden der Schlucht führt sowenig Wasser, daß es kein Hindernis bedeutet, wenn ich gelegentlich im Bachbett gehen muß.

Vielleicht zwanzig Meter sind die Schluchtwände an beiden Seiten nun hoch, und sie sind so steil, daß sie nur noch von Moosen und Kräutern bewachsen sind. Bäume können sich da kaum noch halten. Und ich vermutlich auch nicht.

Dann wird das Bachbett selbst plötzlich abschüssiger. Vor mir wird es hell - geradeaus sehe ich direkt in das Grau des Nebels. Wenig später kann ich nicht mehr weiter: Der Bach geht in eine abenteuerliche Folge von steilen Wasserfällen über, die sich auf dem Hang unter mir nach wenigen Metern meinem Blick entziehen. Ich weiß nicht genau, wieweit man da herunterklettern kann, bis der Boden zu steil ist, um darauf zu stehen. Ich will es auch nicht ausprobieren.

Auf jeden Fall ist das der Rand von Casabones. Eine Kerbe in diesem Rand, denn die Schluchtwände ragen noch weiter vorwärts als der Boden der Schlucht. Wenn man da vorne in die Schlucht stürzte, dann würde man bereits ohne Aufenthalt die ganzen fünftausend Meter bis zu den Schäreninseln durchfallen. Der kleine Bach wird diesen Fall nicht überstehen - das Wasser wird schon lange vorher vollständig zerstäuben und verdampfen. Schließlich sind wir auf dem Saurierfänger beim Durchfahren der Schäreninsel nicht beregnet worden, obwohl hier oben eine ganze Reihe solcher kleineren Rinnsale über den Rand von Casabones in die Tiefe stürzen müssen.

Hier, vom Grunde dieser entlegenen Schlucht, kann man definitiv nicht mit einem Gleitschirm starten. Man würde mit den Schluchtwänden kollidieren. Einen vernünftigen Hang braucht man schon. Sollte eigentlich auch zu finden sein: Ich stelle mir vor, daß an den meisten Stellen des Umfanges von Casabones der Rand einen Hang mit dem idealen Profil bildet: Erst flach, dann immer stärker in die Tiefe fallend. Wahrscheinlich muß man aber die geeigneten Stellen auch erst einmal kahlschlagen.

Ich steige durch den Schluchtgrund zurück. Dabei fällt mir erst auf, wie steil dieser in den letzten paar Metern tatsächlich schon geworden ist. Diese allmähliche Veränderung des Gefälles ist gefährlich, weil man sie kaum bemerkt.

Ich finde eine Stelle, an der man die linke - jetzt rechte - Schluchtwand leidlich gut besteigen kann. Am Rande der Schlucht kann ich dann wieder zum Rand von Casasbones marschieren. Dabei komme ich von der Schlucht ab, finde aber eine große, sehr steinige Lichtung, die langsam in einen Steilabfall übergeht. Hervorragend - genau das, was wir brauchen! Es ist, als ob man auf einem kahlen, schottischen Berg steht und in den Nebel stiert. Hier können Dutzende von Gleitschirmfliegern nebeneinander starten, und wenn sie gelernt haben, geradeaus zu fliegen, dann werden sie noch nicht miteinander kollidiert sein, wenn sie die Wolkendecke nach unten durchstoßen.

Ich entschließe mich gerade, mich umzudrehen und wieder umzukehren, als ich wieder das alberne Gefühl bekomme, beobachtet zu werden. Meine Hand schließt sich um den Knauf meines Schwertes, aber das vertreibt die Unsicherheit auch nur wenig. Ich weiß es: Es ist jemand da!

An den siebenten Sinn glaube ich nicht. Also habe ich wieder irgend etwas gehört oder gesehen, so schwach, daß die Wahrnehmung noch nicht mein Hauptbewußtsein erreicht hat. Wenn es irgendeine Wahrnehmung war, dann kann es natürlich auch etwas anderes sein als ein Mensch, der mich beobachtet. Oder sollte das Unterbewußtsein so detaillierte Auswertungen von Sinneswahrnehmungen machen können, daß es daraus schon ganz konkrete Schlüsse ziehen kann? Dann ist es aber sehr unfair, daß diese Erkenntnisse nicht gleich dem Hauptbewußtsein zugeleitet werden.

Unauffällig sehe ich auf meine Digitaluhr. 23 Uhr. Das ist mit der momentanen Lage des Tagesrhythmus etwa Mittag. Ich drehe mich langsam um. Den Waldrand um diese Lichtung herum kann ich nur aus den Augenwinkeln beobachten - alles andere wäre zu auffällig. Wenn doch Charmion hier wäre! Sie würde mit so etwas leicht fertig.

Ich gehe den Weg zurück, den ich gekommen bin. Sowie ich wieder im Wald bin, fühle ich mich sicherer, weil man mich nun nur noch aus sehr geringer Entfernung sehen kann. Allerdings höre ich nun das Knacken von Zweigen, und zwar aus verschiedenen Richtungen. War das vorher schon da? Kommt es näher?

Ich klettere wieder dieselbe Stelle in die Schlucht hinunter, an der ich hinaufgestiegen bin. Damit sind die Quellen der Geräusche im Walde nicht mehr in meinem akustischen Horizont, und im optischen auch nicht mehr.

Am Grunde der Schlucht fange ich sofort an, zu laufen. Das geht zunächst sehr schwer, weil der Pfad hier noch sehr uneben ist. Dafür höre ich wieder Geräusche, oben, jenseits der Schluchtkante. Es hört sich definitiv wie Schritte an.

Ich sehe mich nicht um. Bin ich nun Freizeitläufer oder nicht? Diesen Leuten werde ich doch wohl davonrennen können. Als der Pfad nur wenig besser geworden ist, laufe ich, was das Zeug hält. Dabei ist mir wohl schon klar, daß mich jederzeit ein Pfeil erreichen kann - jetzt und die ganze Zeit schon.

Aber es geschieht nichts, und in den Geräuschen, die ich selbst verursache, gehen die Geräusche möglicher Verfolger unter. Wahrscheinlich hänge ich sie ab, aber genau weiß ich es nicht.

Erst, als ich die Sumpfteiche wieder erreiche und unter den Meuterern bin, fühle ich mich sicherer und falle wieder in den normalen Schritt zurück.

Auf jeden Fall muß ich Osont fragen, ob das Leute von uns gewesen sein könnten oder welche von den Rebellengruppen. Er wird da den besseren Überblick haben, und vielleicht ist er auch für diesen Hinweis dankbar. Und für die Beschreibung eines möglichen Absprunghanges. Ich beginne sofort damit, ihn zu suchen.

Osont, jetzt kooperiere ich noch. Aber warte, bis wir unten sind! Wir haben noch eine offene Rechnung!


Copyright © Josella Simone Playton 2000-09-15 14:00:00



Voriges Kapitel Inhaltsverzeichnis Nächstes Kapitel



Voriges Kapitel Inhaltsverzeichnis Nächstes Kapitel


Zurück zu meiner Hauptseite