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******** 034. Tag: Donnerstag 95-09-21 ********
34.1 Papiere und Seile
Es ist 5 Uhr, als ich aufwache. 17 Stunden Schlaf. Der Körper hat eine lange Wirklichkeitsflucht erzwungen. Dafür tun mir alle Knochen weh - wegen der unebenen Unterlage und der schweren Arbeit von gestern.
Erstaunlich immerhin, daß ich gerade wieder zum hierorts üblichen Ende der Schlafperiode aufwache. Meine innere Uhr ist schon sehr gut auf den 27-Stunden-Rhythmus einsynchronisiert.
Langsam kehrt die Erinnerung zurück. Das Bewußtsein wehrt sich, aber der Realitätssinn war ein Evolutionskriterium. Sich zu lange der Wirklichkeit zu verschließen verschlechtert die Überlebenschancen. Charmion ist immer noch tot.
Hungrig und zerschlagen stehe ich auf. Ein Bad im See - wie üblich mit Klamotten, das ist ein Aufwasch - dann begutachte ich den Steinhaufen. Kein richtiger Grabstein, kein eingravierter Name. Kein Kreuz. Das schon gleich gar nicht. Jemandem ein Modell der eigenen Hinrichtungsmaschine aufs Grab zu setzen ist eindeutig geschmacklos. Es ist auch unüblich, Bilder von Guillotinen oder elektrischen Stühlen oder Galgen in Grabsteine einzugravieren. Nur beim Vollstreckungskreuz gilt das üblicherweise nicht. Und was die sonstige Symbolik des Kreuzes betrifft: Sie war ja ebensowenig formal Christ wie ich.
Ich lege noch ein paar Steine drauf - kleine Verbesserungen, hier und dort. Der Haufen soll lange halten.
Dann, nach einigen Minuten, meldet sich der Magen mit Macht. Das Leben geht weiter. Das heißt, mein Leben geht weiter. Und das auch nur, wenn ich bald etwas zu essen kriege. Ich reiße mich von dem Platz los und erklettere den Klippenpfad ohne mich umzusehen.
Aber so einfach kann man die Charmion nicht abschütteln. Bei allem, was ich oben im Wald zu essen finde, erinnere ich mich, daß sie es mir beigebracht hat, im Wald Nahrung zu finden. Bis auf die Maisbeeren, die Irene und ich schon während unseres Abstieges in diese Welt kennengelernt haben - die sind hier aber seltener zu finden.
Ich möchte zu Irene zurück, und dann will ich raus aus dieser Welt.
Vorsichtig bewege ich mich wieder in Richtung Dorf, immer drauf bedacht, nicht gesehen zu werden. Niemand soll wissen, wo ich war und wo ich Charmion's Leichnam gelassen habe. Deshalb dauert der Marsch auch etwas länger.
Das Dorf ist völlig verlassen, ebenso der Kreuzigungsplatz. Charmion's Kreuz wirkt bedrohlich - dabei sind es nur zwei gekreuzte Holzbalken, die nichts dafür können, daß sie für diesen Zweck verwendet wurden. Holz, einer der ältesten und natürlichsten Baustoffe. Milliardenfach verwendet in aller Welt. Aber dieses ist natürlich ein besonderes Holz.
Flüchtig denke ich daran, einen Splitter von Charmion's Kreuz mitzunehmen. Aber nicht nur aus praktischen Erwägungen - ich habe ja kein Messer, und wo sollte ich es wohl transportieren, und lästig wäre es auch - nehme ich davon Abstand: Diesen Reliquienrummel werde ich um Charmion's Kreuz nicht anfangen. Das Bild von Charmion, wie sie an ihrem Kreuz hängt, ist in mein Gedächtnis eingebrannt worden - das ist Reliquie genug.
Es halten sich offenbar alle Männer der Insel an den Arbeitsplätzen zwischen den Sumpfteichen und dem Steinbruch auf. Sie sehen mich, beachten mich aber nicht weiter. Es ist auch ein gewisser Arbeitsfortschritt zu bemerken.
Da sind zum Beispiel Stangengerüste aufgestellt worden, an denen Papier zum Trocknen aufgehängt worden ist. Dünnes Papier, dickes Papier, ungleichmäßig und nicht gebleicht, und sogar schon Papier mit eingelagerten Fasern. Nicht weit davon entfernt finde ich die aufgestellten Papierbecken. Es sind inzwischen mehrere, und sie sind auch leidlich dicht. Daubenfässer sind hergestellt worden, die als zusätzliche Eimer dienen. Die Dauben sind mit Seilen zusammengebunden - ob das lange hält? Aber natürlich, wo soll man eiserne Faßringe herbekommen?
Ich beobachte einen Mann, der ein solches Faß in beiden Armen trägt. Einen Tragegriff an diesen Faßeimern gibt es also noch nicht. Oder diese Konstruktion hält keinen Griff aus.
Eine Menge Leute arbeiten dort, und auch Osont hält sich dort auf. Als er mich sieht, kommt er sofort auf mich zu, als ob er auf mich gewartet hätte.
Natürlich will er gelobt werden für das, was er geschafft hat. Und es ist ja auch schon einiges. Der Kahlschlag ist schon recht weitgehend freigeräumt, und er zeigt mir die ersten Seilstücke aus Schneidgrasfasern, und eine Eigenentwicklung, auf die sie inzwischen auch gekommen sind: Seile verschiedener Dicke, die mit Papierbrei behandelt worden sind. Die drechseln sich von selbst nicht auf, und ich kann mich davon überzeugen, daß diese Seile sehr reißfest sind. Wahrscheinlich haben sie schon die Qualität der Seile erreicht, die bei den Granitbeißern von beruflichen Seilern hergestellt und etwa auf dem Saurierfänger verwendet werden.
Sie haben verschiedene Experimente gemacht, um herauszufinden, ob für Seile und Papier Holzfasern besser geeignet sind oder ob man das Schneidgras verwenden sollte. Tatsächlich ist das Schneidgras die bessere Wahl. Nur beim Papier ist der Unterschied nicht groß. Und es hängt auch von der Faserlänge ab, also von der Vorbehandlung mit den Zerfaserungswalzen oder den Mühlsteinen.
Osont fragt nicht nach Charmion's Verbleib. Er weiß, daß ich es ihm nicht sagen werde. Vielleicht hat er so seine Vermutungen, aber auch darüber spricht er nicht. Sie ist für ihn uninteressant geworden. Tot und weg. Kein Störfaktor mehr für die Leute. Vielleicht denkt er, daß sie nun auch mich nicht von dem gemeinsamen Vorhaben ablenken kann.
Wir reden wieder über Aerodynamik. Einiges muß er sich noch einmal erklären lassen. Da wir jetzt Papier haben, habe ich die Möglichkeit, mit Kohlestückchen aus alten Feuerstellen Zeichnungen zu machen, die etwas präziser und haltbarer sind als Rillen im Boden. Allerdings geht das nicht immer gut: einige der Papiere sind von so schlechter Qualität, daß sie unter dem Druck des Kohlestückchens in meiner Hand brechen. Hoffentlich kriegen wir diese Qualitätsprobleme für die Gleitschirme selbst noch in den Griff!
Osont meint, daß wir schon morgen daran gehen können, den ersten Gleitschirm zusammenzusetzen. Bis dahin müßten schon genug faserverstärktes Papiere und reißfeste Fäden vorhanden sein.
Wenn wir morgen schon die Konstruktion des ersten Gleischirmes beginnen, dann muß ich heute etwas mehr Theorie darüber verbreiten. Ich frage nach, wer dafür in Frage kommt.
Osont winkt zwei Leute herbei und läßt nach einem dritten, der irgendwo anders arbeitet, schicken. Ich kenne keinen von ihnen. Wahrscheinlich Osont's spezieller Freundeskreis. Manchmal habe ich den Eindruck, daß alle, die mir irgendwie auffallen, alsbald ums Leben kommen. Sie heißen Oam, Okr und Oios. Oios ist der jüngste, Oam könnte so alt wie Osont sein und Okr liegt dazwischen. Ich lasse mir mehr Papier und Kohlestückchen bringen.
Der Trick beim Hanggleiter oder Gleitschirm ist der, möglichst gut ein Tragflächenprofil, das für einen langsamen Flug geeignet ist, nachzubilden. Deshalb muß ich erst das Flügelprofil erläutern. Da alle Granitbeißer Flugsaurier und Vögel aus eigener Anschauung gut genug kennen, können sie sich darunter etwas vorstellen. Nur die Druckverhältnisse um einen angeströmten Flügel muß ich erläutern.
Das erinnert mich wieder daran, daß Charmion von schnellerer Auffassungsgabe war.
Ober- und Unterseite dieses Tragflügelprofils werden beim Gleitschirm durch Stoffbahnen gebildet. Diese sind so miteinander verbunden, daß sie, wenn sie sich so weit wie möglich voneinander entfernen, gerade das Tragflächenprofil bilden. Damit sie sich tatsächlich voneinander entfernen werden sie aufgeblasen - und dazu nimmt man praktischerweise den Fahrtwind des fallenden und gleichzeitig vorwärtsgleitenden Gleitschirmes. Vorne, in Fahrtrichtung, ist zwischen oberer und unterer Plane eine große Öffnung, an der Hinterkante des Profils eine kleinere Öffnung.
Das ganze Ding muß breit sein. Deshalb besteht so ein Gleitschirm aus einer Reihe ziemlich identischer Luftkammern nebeneinander. Von jeder gehen Leinen nach unten, an denen der Gleitschirmflieger hängt, und die Trennwände dieser Luftkammern geben dem Profil die eigentliche Form.
Dann male ich auf, wie es von der Seite aussieht, wenn ein Gleitschirmflieger unter seinem Gleitschirm hängt. Durch die Länge der Trageleinen kann man erreichen, daß die vordere Kante des simulierten Flügelprofils tiefer liegt als die hintere Kante. Dadurch wird sichergestellt, daß sich tatsächlich genug Luft zwischen den oberen und unteren Planen in den Luftkammern fängt. Die fehlende vordere Kante des Tragflügelprofils wird einfach durch die gestaute Luft gebildet. So einfach ist das.
Dann gehe ich darauf ein, wie man so ein Ding steuern könnte. Leider weiß ich sehr wenig darüber, und ich muß einfach mit meinem physikalischen Wissen etwas extrapolieren.
Zum einen kann man die Neigung des Gleitschirm-Profiles durch verschieden starkes Anziehen der vorderen und hinteren Trageseile beeinflussen. Damit ist eine Geschwindigkeitsbeeinflussung möglich - glaube ich. Wahrscheinlich ist es aber auch möglich, dabei grobe Fehler zu machen und etwa die Luftkammern kollabieren zu lassen. Dann ist es besser, wenn man noch viel Luft unter sich hat, um die Kammern sich wieder entfalten lassen zu können.
Das unterschiedliche Anziehen der Leinen rechts und links dürfte sich wohl auf die Flugrichtung auswirken. Zuviel Anziehen der Leinen wird sich aber auch hier in instabilen Fluglagen auswirken. Auch da weiß ich nicht, wie so ein Störfall in der Praxis aussieht.
Mit einem gewöhnlichen Flugzeug zu fliegen würde mir leichter fallen - das habe ich in zahlosen Flugstunden vor meinem Flugsimulator geübt. Da weiß ich, was zu tun ist, wenn die Strömung abreißt, da wissen es sogar meine Reflexe: nämlich den Steuerknüppel drücken. Bei einem Gleitschirm wird vieles anders sein. Es wird für mich eine genauso neue Erfahrung werden wie für meine Zuhörer und alle anderen hier. Und es wird keine Simulation - wir werden wirklich fliegen.
Wie gerne ich Charmion den Gleitschirmflug gezeigt hätte! Wenn wir es hinkriegen, dann würde ihr das gefallen.
Und dann fällt mir ein, daß ich hätte versuchen müssen, Osont die Verwendung von Charmion als Versuchskaninchen für die ersten, zweifellos gefährlichsten Flugversuche vorzuschlagen. Ob er sich drauf eingelassen hätte? Wir hätten uns weitere Zeit erkaufen können! Herwig, warum diese Idee erst jetzt?
Meine vier Zuhörer machen den Eindruck, als ob sie verstehen, was ich erzähle. Besonders bei den beiden jüngsten glaube ich, eine gewisse gespannte Erwartung auf die ersten Flugversuche ausmachen zu können.
Dann aber muß ich ihre Ungeduld dämpfen. Das immer wieder brechende Papier zeigt, daß wir noch etwas brauchen: Qualitätssicherung. Prüfverfahren für Seile und Stoff müssen definiert werden. Was schlecht ist, muß ausgesondert werden und kann vielleicht wieder als Rohstoff Verwendung finden. Ich sehe, daß ihnen die Aussicht, vielleicht mehr als die Hälfte allen erzeugten Papieres und aller Seile gleich wieder wegwerfen zu müssen gar nicht gefällt. Aber bei der Fliegerei geht es nicht anders. Sonst findet der Qualitätstest während des Fliegens statt, und schlechtes Material wird zusammen mit den Piloten aussortiert.
Dann sehen wir uns den Übungshang an. Osont verspricht, noch mehr Leute damit zu beschäftigen, Wurzeln und andere Hindernisse aus dem Wege zu räumen. Ich überlege mir, was man sich einfallen lassen sollte, um Orientierung für die zu ermöglichen, die zu hoch fliegen, weil sie recht weit oben am Hang gestartet sind - wegen des Nebels könnten die zeitweise keine Bodensicht mehr haben.
Für längere Übungsflüge würden sich einige der Berge auf Casabones anbieten. Dann allerdings würde man von oben in die Nebelschicht eintauchen müssen und man weiß erst recht nicht, wo man landet. Ich schlage Osont vor, am oberen Ende des Übungshanges, der schon dicht unter der Obergrenze des Nebels ist, einen großen Holzturm zu errichten, der für solche Übungsflüge als Orientierungspunkt zur Verfügung steht.
Osont ist dagegen. Er meint, wenn man mit steigender Geschicklichkeit immer weiter oben am Übungshang startet, dann kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem man sowieso knapp über der Nebelobergrenze zu fliegen anfängt. Dann lernt man die umliegenden Berge kennen und wird schnell sicherer in der Navigation, so daß man Flüge von noch weiter oben beginnen kann. Man weiß dann ja ungefähr, wo man in die Wolkendecke eintauchen muß, um am Fuße des Übungshanges zu landen. - Da hat er möglicherweise recht.
Dann kommt das Thema Starten auf. Okr hat den Einfall: Wie kann man überhaupt einen Flug anfangen, wenn am Anfang der Gleitschirm noch wie ein Haufen unordentlichen Tuches am Boden liegt.
Ich stelle zunächst einmal klar, daß ein Gleitschirm immer sauber zusammengelegt werden muß. Daß so ein Gerät wie ein 'unordentlicher Haufen' irgendwo liegt kommt nicht in Frage.
Dann erläutere ich die mögliche Hilfestellung durch zwei Helfer. Durch einen Anlauf muß es gelingen, den Schirm aufzublähen und über sich zur Entfaltung zu bringen. Dann wird er seine Tragfähigkeit voll entwickeln, und auf hinreichend schrägem Hang kann man dann abheben. Wenn das nicht funktioniert, dann müssen wir die Konstruktion des Schirmes eben so lange ändern, bis es funktioniert. Egal, wie lange es dauert.
Und was, werde ich gefragt, ist, wenn man keine Helfer hat? Der letzte, der irgendwann schließlich Casabones verlassen will, hat ja keine Helfer.
Das weiß ich auch nicht. Ich denke an ein Hilfsgerüst. Oder man muß eben sehr geschickt sein. Wie machen es denn unsere Paraglider-Hobbyisten? Ich bin ein dummer Laie - ich weiß es nicht. Auf jeden Fall werden wir uns auch um das helferlose Starten kümmern müssen.
Dann sprechen wir noch über die Aufhängung des Piloten. Der kann ja nicht alle Halteleinen gleichzeitig festhalten. Da muß irgendeine Art von Sitz gemacht werden - uns wird schon etwas einfallen, denke ich mir. Ich habe nämlich nicht die geringste Ahnung, wie das bei unseren Gleitschirmen aussieht. Das sieht man nämlich nicht so genau, wenn man aus der Ferne zuschaut.
Ich glaube mich aber bestimmt zu erinnern, daß bei uns oben ein Rettungsfallschirm vorgeschrieben ist - beim Drachenfliegen bestimmt, aber wahrscheinlich auch beim Gleitschirmfliegen. Ich fürchte, ich werde nicht darauf bestehen. Wir können froh sein, wenn wir für jeden einen einzigen funktionierenden Gleitschirm herstellen können, und noch ein paar zur Reserve, für die, die im letzten Moment kaputt gehen.
Ein anderes Problem, um das wir uns irgendwann wenigstens kümmern müssen, ist die Festlegung des endgültigen Absprungortes. Da muß ich mich noch etwas mit der Geographie der Oberfläche von Casabones beschäftigen. Und falls der erste Teil dieses Massenabsprunges noch im Nebel stattfindet, müssen wir uns auch irgend etwas einfallen lassen, um Karambolagen im Nebel zu verhindern. Ein Luftraum mit fast zweitausend Gleitschirmfliegern gilt auch bei klarer Sicht als ganz schön belebt.
Bevor meine vier Zuhörer sich wieder an ihre anderen Arbeiten begeben - sie haben heute genug gehört und ich bemerke Anzeichen der Unkonzentriertheit - zeige ich ihnen noch etwas: Ich nehme ein Blatt Papier, lasse mir ein Messer geben und schneide zwei rechteckige Stücke aus. Dabei denke ich daran, daß ich schnell die Schere 'erfinden' sollte. Wenn sich eine solche aus vorhandenen Messern herstellen läßt. Aber damit ließen sich Papier und Stoff und Fäden besser schneiden. Eigentlich seltsam, daß dieses einfache Instrument bei den Granitbeißern offenbar noch nicht bekannt ist, bei ihrem Stand der Schmiedekunst und der Tuchtechnik.
Aus den beiden Blättern Papier falte ich ein Papierflugzeug, eine sogenannte 'Schwalbe'. Es gelingt mir gut, schon der erste Flugversuch stößt auf Interesse - allerdings nicht auf lebhaftes. Ein Pfeil fliegt auch, und die meisten sehen nicht den Unterschied zwischen einem balistisch fliegenden Pfeil und einem aerodynamisch fliegenden Flugzeug. Zudem ist ein Pfeil nützlicher als eine harmlose Schwalbe, und zu dem Abstraktionsschritt, daß eine Schwalbe auch in wesentlich größerer Ausführung genauso fliegen würde, und daß dann Menschen drauf reiten könnten, sind die meisten nicht in der Lage.
Immerhin weiß ich jetzt aber, daß das Papier eine Qualität erreicht hat, daß man es falten kann, ohne daß es bricht.
Den Rest des Arbeitstages treibe ich mich herum und sehe den Leuten bei der Arbeit zu. Manchmal werde ich etwas gefragt, und ich antworte, so gut ich kann. Wenigstens vergeht so die Zeit. Nebenbei erfahre ich, daß es ein blutiges Scharmützel mit den Rebellengruppen gegeben haben muß, aber Einzelheiten sagt mir keiner. Ich weiß nicht, wer angegriffen hat und wer dabei wieviele Verluste erlitten hat. Zuviele dieser Männer haben Hemmungen, mit mir, dem Fremden, zuviele Worte zu wechseln.
Als es 21 Uhr wird, finden sich immer weniger Leute bei der Arbeit. Jagd und Essenszubereitung müssen auch erledigt werden. Zeit, mich abzusondern.
Schon im Dorf bin ich allein, und das bleibe ich, bis ich am Wald über Charmion's Grab bin. Genau da werde ich die Schlafperiode verbringen. Genau dort und nirgends anders. Allerdings sammle ich diesmal während der Essenssuche Blattmaterial, um mir da unten auf dem Geröll ein etwas besseres und bequemeres Lager zu machen. Ich muß deshalb mehrfach den Klippenpfad mit einem Arm voller Grünzeug hinunter und ohne das wieder herauf klettern.
Dann, kurz vor 23 Uhr, mache ich es mir auf dem Lager neben Charmion's Steinhaufen, der sich in meiner Abwesenheit nicht verändert hat, bequem. Ich erwische mich dabei, daß ich ihr erzähle, was ich den Tag lang getan habe, und wie die Fluchtvorbereitungen laufen. Ich rede mit einem Grab wie alte Leute auf einem Friedhof.
Und wieder fällt mir ein, wie sie da so gequält am Kreuz hing und ich nichts dagegen getan habe, und wie ich jetzt mit ihren Mördern kollegial zusammenarbeite, um wieder nach Hause zu kommen. Es ist zum Heulen, und ich heule, und es hört ja niemand.
Irgendwann schlafe ich dann ein.
Copyright © Josella Simone Playton
2000-09-15 14:00:00
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