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******** 011. Tag: Dienstag 95-08-29 ********
7:20 Uhr am Dienstagmorgen. Chrwerjat wirft für heute das Handtuch. Sie hat offenbar den Auftrag, mit uns intensivst und lange zusammenzuarbeiten, aber die Anstrengung, ein paar Wörter in die Köpfe dieser begriffsstutzigen Fremden hineinzubringen sieht man ihr an. Sie trollt sich, und da Chechmon sich nicht blicken läßt, schließen wir daraus, daß wir, vor Beginn der nächsten Schlafperiode, noch etwas Freizeit haben.
Weil der Unterricht in die Zeit des gemeinsamen Abendessens hineingereicht hat, nehme ich automatisch an, daß unsere Anwesenheit dabei nicht unbedingt erforderlich ist. Chrwerjat hätte so etwas ja wissen müssen. Vielleicht kann man sich woanders etwas zum Essen beschaffen. Ich habe da so meine Idee.
Trotz meiner momentanen Aversion gegen die Xonchen-Sprache probiere ich ihren Gebrauch aus, indem ich den Koch nach einigen der Kräutern frage, deren Namen ich gelernt habe. Zu meiner besonderen Überraschung bekomme ich genug für uns beide. Wir müssen also gar nicht an der allgemeinen Tafel Platz nehmen, um etwas zu essen zu bekommen. Auch habe ich nicht den Eindruck, daß der Koch mir gram ist, weil er nun wieder seine Küchenarbeit ganz alleine machen muß. Vielleicht ist das eine Solidarität in der unterprivilegierten Klasse!
11.1 Charmion's Schwert
Während wir auf dem Relingsbalken sitzen und unser zwar nicht übertrieben reichhaltiges, dafür aber fleischloses Mahl genießen, sehen wir plötzlich die Kommandantin den Niedergang vom Obergeschoß herunterkommen. Charmion, das Mädchen von Mast, folgt ihr. Kaum sind sie unten angekommen, beginnt ein Anschiß, der sich gewaschen hat.
Unsere Xonchen-Kenntnisse reichen nicht aus, auch nur einen Bruchteil der Vorwürfe mitzubekommen, die Charmion über sich ergehen lassen muß. Aber der Tonfall ist deutlich genug. Keine sachliche Rüge, wie sie bei meinem Arbeitgeber immer noch wenigstens gelegentlich gepflegt wird. Nein, Cherkrochj macht Charmion nach allen Regeln der Kunst nieder. Diese Darbietung, wenn man sie isoliert sehen würde, ließe nicht vermuten, daß Frauen per definitionem auf einer anderen, höheren sozialen Stufe stehen als Männer. Aber wahrscheinlich ist es so, daß ein Mann, der sich dasselbe zuschulden hat kommen lassen wie Charmion, was immer es ist, schon längst seinen Weg in die Vorratskammer der Küche gefunden hätte.
Ich habe die Befürchtung, daß es vielleicht etwas mit uns zu tun haben könnte. Aber das ist wohl nicht der Fall. Als die Kommandantin den Niedergang wieder nach oben geht, sieht sie uns auf der Reling sitzen, ohne eine Reaktion zu zeigen.
Charmion bleibt einen Moment da stehen, wo sie gerade steht. Dann geht sie nach achtern. Deshalb können wir ihr Gesicht nicht erkennen, und ich weiß nicht, wie sehr sie getroffen wurde. Als sie wenig später wieder nach vorne geht, muß sie an uns vorbei. Ihr Gesichtsausdruck ist gleichgültig. Uns nimmt sie gar nicht zur Kenntnis.
Als sie an uns vorbeigeht, fallen dunkle Tropfen an Deck und ziehen in das Holz ein. Erst denke ich, daß sie eine ungewöhnlich starke Monatsblutung haben könnte, und das Fehlen von Unterwäsche würde ja alles weitere erklären. Aber die wahre Ursache klingt wie ein Wortspiel: Es ist die Scheide ihres Schwertes, die da tropft. Sie muß das Schwert gerade eben blutig in dieselbe hineingesteckt haben. Hat sie ihre Frustration mit einer kurzen adhoc-Hinrichtung kompensiert? Und wir haben nicht einmal etwas gehört!
Wir widerstehen unserer Neugier, achtern nachzusehen, wessen Blut so schnell und lautlos vergossen wurde. Fast will ich glauben, daß sie nur auf Fleischvorräte eingeschlagen hat, so, wie unsereiner manchmal mit der Faust auf den Tisch schlägt.
Da die Schlafperiode beginnt, verziehen wir uns wieder in das vordere Masthaus. Gut geraten, denn wenig später sieht Charmion nach, ob wir tatsächlich dort sind. Sie geht gleich wieder. Niemand macht sich mehr die Mühe, uns häufiger als sporadisch zu kontrollieren.
Jetzt bin ich eigentlich auch ganz glücklich, daß sie geht. Hätte ich nachsehen sollen? Die Ungewißheit, wer weshalb hingerichtet wurde, und ob, ist am schlimmsten. Wie leicht kann man diese Regeln übertreten, wenn man sie nicht kennt! Vielleicht reicht es aus, nicht am gemeinsamen Abendessen teilzunehmen. Nun, dieses Vergehen war es jedenfalls nicht. Wir leben ja noch.
Bevor wir einschlafen - heute haben wir das Masthaus für uns alleine - fällt mir noch auf, daß Charmion beim Überprüfen unserer Anwesenheit keine Blutspur hinterlassen hat. Sie muß ihr Schwert wieder gesäubert haben. Naja, immerhin war sie aufgebracht genug, daß sie es nicht gleich nach der Hinrichtung, wenn es eine solche war, getan hat.
Und dann kommt mir der Gedanke, daß sie uns absichtlich das bluttriefende Schwert hat sehen lassen. Machen wir mal folgende Hypothese: Sie hat gesehen, daß wir Zeugen ihres Anschisses waren. Um das Gesicht nicht ganz zu verlieren, ging sie nach hinten und hat ihr Schwert blutig gemacht. Mit dem blutigen Schwert in der Scheide ist sie dann so an uns vorbeimarschiert, daß wir das Blut sehen mußten. Danach wurden Schwert und Scheide schnellstmöglich gesäubert.
Ich erläutere Irene meine Vermutungen. "Hältst du das für möglich?" frage ich.
"Nein. Eigentlich nicht. Soviel Aufwand für uns? Das glaube ich nicht! - Die hat es nicht nötig, uns zu imponieren."
"Aber es paßt nicht zusammen," überlege ich weiter, "entweder, man hält seine Sachen prinzipiell sauber - dann hätte sie ihr Schwert gleich gereinigt, oder man ist in dieser Hinsicht nachlässig - dann hätte ihr Schwert eben noch blutig sein müssen!"
"Oder das Blut ist inzwischen angetrocknet." schlägt Irene vor. Recht hat sie. Wir können überhaupt keine Aussagen mit Sicherheit treffen.
Im Schlaf werde ich von meinen alten Lehrern gepeinigt. Sogar Mathematik- und Physiklehrer versuchen, uns über die Xonchen-Sprache auszufragen. Irene, die ich in meiner Schulzeit noch gar nicht gekannt habe, ist bei mir und muß eine Hausarbeit über Schmiedekunst anfertigen. Alle Quellen sind in der Xonchen-Sprache verfaßt und wir verstehen sie nicht. Irgendwann komme ich dann im Traum auf die Idee, daß es ein Traum sein muß, und danach schlafe ich ruhiger.
11.2 Schiffsalarm
Um 17 Uhr wachen wir auf. Es ist draußen wieder unruhiger geworden, weil die Wachperiode beginnt. Dafür sind unsere Sprachlehrerinnen noch nicht eingetrudelt. Kann mir denken, warum: Ihr anfänglicher Eifer ist inzwischen auch schon abgekühlt.
Morgentoilette und Frühstück sind problemlos. Der Koch händigt mir wieder Kräuter und Gemüse aus. Ich versuche, ihn zu fragen, was gestern abend passiert ist. Aber entweder weiß er es nicht, oder meine Beherrschung des Xonchen-Wortschatzes ist noch so unausgereift, daß er nichts versteht.
Dann laufen wir der Kommandantin Cherkrochj über den Weg, oder sie uns, wie man es sehen will. Ich nicke gemessen - weiß ich, welche Begrüßungsform angemessen ist, oder welche schon als unverschämt gilt? Sie scheint uns zu ignorieren. Aber nur zwei Minuten später sind Chechmon und Chrwerjat wieder bei uns. Ob da wohl ein Zusammenhang ist? Jedenfalls geht der Streß weiter, fast sieben Stunden lang. Dann, nach Mitteleuropäischer Zeit um Mitternacht, schreit jemand oben in der Takelage. Danach wird es unruhig auf dem Schiff.
Irgend etwas scheint sich dem Schiff zu nähern, danach zu urteilen, wie die Mitglieder der Besatzung plötzlich flußaufwärts in die Ferne schauen.
Plötzlich sind alle bewaffnet, sogar die Männer.
Copyright © Josella Simone Playton
2000-09-15 14:00:00
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