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32. Kapitel



        32.     Miriam Ugawe

12 Uhr, Mittwoch. 4 Stunden und 144 Kilometer bis St. Peter Ording.

Auch wiederholte Versuche der Kontaktaufnahme mit der Gruppe Hufner mißlingen.

Ich setze mich mit dem Flugdienst in Verbindung. Ich brauche einen Freiwilligen, der mit einem schnellen Flugzeug aus großer Höhe einmal nachschaut. Das Flugzeug muß so schnell sein, daß es vor dem Orkan notfalls wieder zur Stadt zurückkehren als auch auf der Sandbank landen könnte. Haben wir sowas?

Haben wir, wird mir mitgeteilt. Die Freiwillige ist auch schon da. Als sie sich mit mir in Verbindung setzt, bin ich einen Moment verblüfft.

"Sie sind ..."

"Miriam Ugawe. Pamela war meine Zwillingsschwester."

"Das wußte ich nicht, daß sie zwei sind."

"Waren."

"Ja, natürlich, waren. Sie waren beide in der Fliegerei, beruflich?"

Sie nickt. Mehr kann ich aus ihren dunklen Gesichtszügen nicht herauslesen. Sie ist nicht sehr gesprächig.

"Sie brauchen mir nicht zu erzählen, warum sie sich freiwillig gemeldet haben. Aber bitte, seien sie vorsichtig. Nehmen sie einen Kameramann mit?"

"Nein. Ich nehme einen Duocopter. Wendig und schnell genug. Das Modell wird auch von den Streitkräften der WBK eingesetzt, aber unserer ist leider nicht bewaffnet."

"Aber mit einem Duocopter können sie etliche Passagiere mitnehmen!"

"Ich möchte aber nicht!"

Sie sieht mich durchdringend an. Was soll ich machen? Sie ist die Fachfrau. Und sie hat eine persönliche Rechnung zu begleichen. Ich habe den Verdacht, daß sie sich eher in Gefahr bringen wird als ein anderer Pilot. Aber genauso habe ich den Verdacht, daß sie jetzt auch ohne meine Genehmigung starten würde. Und wenn sie niemanden mitnehmen will, dann wird sie ihre Gründe haben.

"Gehen sie mit Gott!"

Sie reagiert nicht auf die antiquierte Floskel. Mir fällt auf, daß ich sie in genau einer solchen Situation verwendet habe, in der sie schon immer verwendet wurde: Nämlich, wenn jemand auf eine Mission geschickt wird, auf der eventuell Menschenleben ausgelöscht werden. Gott läßt bemerkenswert viel mit sich machen, ohne zu protestieren.

Der Bildschirm erlöscht. Sie muß in Sprintweite von ihrer vollgetankten Maschine gestanden haben - schon nach siebzig Sekunden sehe ich hinter einer der nordöstlichen Stadtkanten den zweirotorigen Hubschrauber aufsteigen. Er legt sich in die Kurve und kommt schnell näher. Sie weiß wohl, in welchem Turm wir sind. In kaum vierzig Metern Abstand fliegt sie vorbei. Sogar durch das dicke Fensterglas dieses Kontrollraumes dringt das Dröhnen der Motoren. Die zweirotorigen Hubschrauber sehen sehr gefährlich aus und sie sind es im Kampfeinsatz auch. Wie ein böses, bissiges Rieseninsekt, das statt seiner Flügel an jeder Seite einen Rotor hat. Dieses Insekt aber kann nicht beißen. Ich versuche, ob ich einen Blick auf Miriam Ugawe in der Pilotenkanzel erhaschen kann, aber es gelingt nicht.

Dann verschwinden sie nach Süden, mitten in die blitzende Sonne.

"Die sehen wir nicht wieder." sagt Paul.

"Dann hätte ich sie nicht fliegen lassen dürfen."

"Dann hätte sie dich zerrissen."

"Warum ist sie denn noch nicht früher zu mir gekommen?"

"Ich weiß nicht. Da haben wir ja alle noch auf Neuigkeiten von Hufner gewartet."

Er sieht nach Westen. Ich folge seinem Blick.

Der Orkan läßt sich immer noch nicht blicken.



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