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28. Kapitel



        28.     Die Nacht vor der Schlacht

22 Uhr. 18 Stunden und 648 Kilometer bis St. Peter Ording.

Weder die Hauptverwaltung von GENERAL CRAFTS noch das Direktorium der Betreibergesellschaft haben es bis jetzt für nötig befunden, sich zu unserem Vorgehen morgen noch einmal zu Wort zu melden. Ist vielleicht für sie das geschickteste Vorgehen. Die Verantwortung bleibt an mir hängen, und was an der Aktion gelingen wird, dafür werden sie sich schon gegenseitig auf die Schultern klopfen.

Ich stelle fest, daß es für die letzte Nacht eigentlich überraschend ruhig ist. Naja, warum auch nicht? Alle Vorbereitungen sind getroffen worden, und es ist jetzt das beste, sich für den morgigen Tag auszuruhen.

Wie viele das Leben verlieren werden? Da kann man machen, was man will, bei einer nicht-routinemäßigen Operation, bei der soviele Menschen beteiligt sind, wird es immer irgendwelche Verluste geben. Und für jeden einzelnen kann man mich nachher fragen: 'Was hast du getan oder unterlassen, so daß es diesen Menschen treffen mußte?'

Um 22 Uhr schicke ich Paul zu Bett. Er soll von 22 Uhr bis 03 Uhr schlafen, ich 03 Uhr bis 08 Uhr. Jeder fünf Stunden. Ich finde, das ist gerecht und es muß unter den momentanen Umständen genug sein.

Als ich dann alleine in dem Kontrollraum bin, fühle ich mich verloren. Diese riesige Maschinerie um mich, die doch macht, was sie will, diese Riesenspeicher irgendwo in dem Stadtrechner da unten, die so komplexe Datenstrukturen enthalten, die keiner mehr überblicken kann, und die von einer blind zugreifenden CPU immer mehr in Unordnung gebracht werden. Werden vielleicht jetzt, in diesem Moment, dort Bits umgestellt, die die Stadt in wenigen Minuten untergehen lassen können?

Ich möchte raus, auf die Oberfläche der Stadt, durch den Stadtwald laufen, und von der Stadtkante auf die See schauen, den großen Wellen nachsinnen und an nichts und alles denken, den Seewind spüren und Salz auf den Lippen schmecken und glauben können, daß die Stadt unter meinen Füßen für die Ewigkeit gebaut wurde. Ich bin gestern und heute nicht dazu gekommen, und morgen wird es wohl auch nicht gelingen. Nein, korrigiere ich mich, das wenigstens wird mir morgen gelingen: Salz auf den Lippen zu spüren. Vielleicht mehr, als mir lieb sein könnte.

Und natürlich kann es auch mich erwischen - bist du denn darauf vorbereitet, Joycelyn?

Ich weiß es nicht. - Die Nacht vor der Schlacht schläft der Soldat, heißt es irgendwo. Ich kann mich nicht mehr daran erinnern, ob er gut oder schlecht schlafen sollte.



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