17. Beförderung
Der Morgen kommt, ohne daß ich viel Möglichkeiten habe, den Sonnenaufgang zu genießen. Es hat aufgeklart, und ein steifer Westwind hat den Orkan abgelöst. Die Dünung ist immer noch beeindruckend, und wäre es noch mehr, wenn man unten, an der Stadtkante, in Luv stünde.
Die Nachfragen hageln so dicht hintereinander wie das ein einzelnes Visiophon zuläßt. Dabei fängt die Leitwarte auch schon einiges ab - allerdings bezweifele ich, daß der besoffene Herr Michelson allzuviele präzise Auskünfte geben kann. Aber ganz so schlimm ist es nicht, denn inzwischen wird er von Gregor MacIntosh assistiert, der sich vorzeitig zum Dienst gemeldet hat. Wenigstens einer mit nachgewiesener Kompetenz in der Leitwarte.
Anstatt dauernd um Dinge herumzureden, die ich nicht weiß, wären mir ja auch einmal Anrufe recht, die mir Informationen bringen - zum Beispiel, wie es in den hinteren Sektoren aussieht. Doch von da kommt nichts. Ich komme mir vor wie eine Kasperlefigur, die vorgelernte Texte nachplappern muß. Und dabei bin ich hundemüde.
Immerhin erfahre ich aus der Leitwarte, daß die ISAAC ASIMOV sich zur Landung angemeldet hat - bei dem Wetter ist jetzt eine Landung auf der Stadt möglich - gerade eben. Sie können vielleicht fünf bis sechstausend Personen evakuieren, mehr nicht. Nicht viel, verglichen mit den 1.25 Millionen, die warten. Selbst, wenn mehr Raumschiffe dieser Art in Erdnähe wären, dann würde die zur Verfügung stehende Zeit nicht reichen, genügend Landungen durchzuführen.
Sie lassen sich mit mir verbinden und machen den Vorschlag, daß ich die Güte haben solle, die Stadt in Ost-Westrichtung auszurichten, damit sie sofort aus dem Orbit absteigen können. Die Güte habe ich aber nicht. So aufwendige Manöver, bloß um einem vergleichsweise kleinen Raumschiff zu erlauben, ein paar Menschen auszufliegen - nein. Die Stadt muß baldmöglichst auf Grund gesetzt werden. Ich will alle Menschen retten.
Dann, werde ich aufgeklärt, dauert es aber noch ein paar Stunden, bis sie ihren Orbit so ausgerichtet haben, daß er über den Pol führt. Ich höre zwischen den Zeilen den Vorwurf, daß das viel Energie kostet. Aber ich bleibe stur.
Als sich ein TV-Team anmeldet, erkläre ich kurzerhand den Kontrollturm zur Sicherheitszone. Dann rufe ich Paul in einem der Terminalräume des Stadtrechenzentrums an. Nach elendiglich langen Weitervermittlungen taucht sein Gesicht auf dem Bildschirm auf.
Er hat im Prinzip wichtigeres zu tun. Aber ich rechne nicht mit seinem Erfolg. Wie soll man in der verbleibenden Zeit diese Gigabyte großen Speicherräume durchforsten und dort etwas sinnvolles erreichen? Ich berufe ihn ab.
Er soll auf den Turm kommen. Ich brauche Schlaf, sonst mache ich Fehler. Und da die meisten meiner Kollegen wegen ihres Einsatzes bei C7 nicht erreichbar sind, habe ich eigentlich nur zu ihm Vertrauen. Er kennt die Stadt nicht nur von der Softwareseite.
Als er den Kontrollraum betritt, gebe ich ihm ein handgeschriebenes Stück Papier. Seine Ernennung zum stellvertretenden Schichtleiter des nautischen und technischen Dienstes der Stadt. Und, da Cammaroto nicht dienstfähig ist und ich faktisch Stadtkommandantin bin, ist er damit auch stellvertretender Stadtkommandant.
Das ist eine sehr egoistische Maßnahme. Denn meine erste Anweisung ist, daß er für vier Stunden übernehmen soll. Ich brauche den Schlaf.
Es gibt einen Ruheraum in der Turmetage unter dem Kontrollraum - selten benutzt, weil, wer immer keinen Dienst hat, nach Hause geht. Ich hätte den Ruheraum ganz alleine für mich.
Das ist mir aber etwas aufwendig. Ich rolle mich unter einer Schalttafelkonsole zusammen. Der Boden ist hart und kalt. Es macht mir überhaupt nichts. Ich spüre das Vibrieren von Maschinen - vielleicht einer der Scheinwerferventilatoren am Turm. Dann bin ich eingeschlafen.
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