16. Weckruf
Es vergeht eine ganze Stunde, bis sich wieder jemand aus Sektor C7 meldet, eine ältere, verschwitzt und erschöpft aussehende Frau, die sich als Gremlin vorstellt. Ich habe sie noch nie gesehen. Sie will wissen, ob ich den Reaktor R-480-C7 abschalten kann, weil er das eingedrungene Wasser weiter aufheizt. Von einer Evakuierungsmaßnahme weiß sie nichts. Ich muß also damit rechnen, daß die angeordnetet Evakuierungsmaßnahmen nicht in vollem Umfange durchgeführt werden. Oder noch nicht. Unangenehm, überhaupt nichts zu wissen.
Die sekündlich eindringende Wassermenge hat sich verringert, aber das liegt vermutlich daran, daß sich im Sektor C7 jetzt schon soviel Wasser befindet. In vielen Abteilungen steht das Wasser bis zu dreißig Metern über dem Stadtboden - also etwa ebenso hoch wie der Wasserspiegel außerhalb der Stadt. Der Reaktor ist ganz unter Wasser und heizt dasselbe mit seiner vollen Leistung. Das bewirkt in der Gegend des Sektors C7 stellenweise eine unangenehm schwüle Atmosphäre, die die Arbeiten sehr behindert.
Ich schlage vor, die Stadtoberfläche aufzusprengen, muß mich dann aber belehren lassen, daß über Sektor C7 einer unserer größten Binnenseen liegt. Die einstürzenden Wassermassen würden die Überflutungen in C7 noch verschärfen. Im Moment sind sie froh, daß nur ab und zu eine Wand bricht und dann eine weitere Abteilung aufgegeben werden muß.
Die Erwähnung des Sees bringt mich aber auf eine Idee. Schade, daß ich nicht früher dran gedacht habe. Ich frage, ob man den See nicht ablassen kann, um die Stadtstruktur zu erleichtern. Die Frau Gremlin weiß das nicht. Also muß ich mich drum kümmern, herauszufinden, wer es weiß, und wie man es in die Wege leitet. Nachdem ich der Frau Gremlin erläutert habe, daß ich den Reaktor genausowenig abschalten kann wie die Sonne. Ich habe den Eindruck, daß sie mir nicht glaubt. Außerdem trage ich ihr auf, etwas über den Stand der Evakuirungen in Erfahrung zu bringen und mich dann zu informieren. Als ich die Verbindung unterbrechen, habe ich das Gefühl, daß diese Frau genau das tun wird, was sie für richtig hält, und nicht ich.
Die Binnenseen. Es könnte eine ganze Menge bringen. Von den 125 Quadratkilometern Stadtoberfläche ist nicht alles Wald. Die wenigen Türme nehmen kaum Platz ein, aber schon der Raumhafen, die beiden Landebahnen für leichte Raumschiffe, bedecken zwei Streifen von sechs Kilometern Länge und zweihundert Metern Breite. Der Rest sind Wald- und Park-Anlagen, die von einem Gewirr von zusammenhängenden Seen durchzogen sind. Diese Seen sind nirgends tiefer als zwei Meter, bedecken aber zusammen eine Fläche von zweiundvierzig Quadratkilometern. Von jedem Ort der Stadt kann man irgendein Ufer dieses Seennetzes schnell erreichen. Der Durchschnittstiefe von 1.20 Meter entsprechend enthalten sie etwas mehr als fünfzig Millionen Tonnen Wasser. Wenn man sich von diesem Wasser trennen könnte, dann bedeutete das eine mechanische Entlastung der Stadt und eine Verlängerung des uns zur Verfügung stehenden Zeitraumes.
Halt, denke ich mir, das letzte wohl kaum. Unsere Zeit ist ja nicht mehr durch die vollaufenden Auftriebszellen begrenzt, sondern durch die sich ausweitende Strukturschwäche in Sektor C7. Außerdem - fünfzig Millionen Tonnen brächten nur einen knappen halben Tag. Und wo und wie ich das Wasser der Binnenseen genügend schnell auslaufen lassen könnte, das weiß ich auch nicht.
Dann denke ich daran, daß die Binnensehen ein nicht zu unterschätzendes Süßwasserreservoir darstellen - das Wasser ist nicht übertrieben sauber - an warmen Tagen wird ja darinnen geschwommen - aber es ist besser als Salzwasser. Kann man das Wasser eventuell irgendwohin pumpen, wo man es später gebrauchen kann? Irgendwohin, wo es nach der strandung der Stadt noch verfügbar ist? Mir fällt nichts ein.
Wieder vergeht Zeit. Ich rufe die Leitwarte an. Außer Michelson ist keiner anwesend, und die Redeweise des Herrn Michelson klingt schlingernd. Im Hintergrund sehe ich eine Flasche. Ach guck mal an, denke ich. Es hat wohl wenig Zweck, sich mit dem Herrn Michelson weiter zu unterhalten.
Die Ungewissheit ist nervenaufreibend. Der Sektor C7 ist etwa sechs Kilometer von hier entfernt. Ich beschließe, mich dorthin zu begeben. Der Turm muß aber besetzt bleiben. Ich versuche, Rodrigo aus dem Bett zu klingeln. Es meldet sich niemand. Vielleicht ist er auch in C7. Wahrscheinlich sogar. Okay. Dann ist es nichts, mit dem selbst-nachsehen. Schade. Ich hätte Bewegung gebrauchen können.
Nur, um mich abzulenken, nicht aus einer Art von Mitleid, beschließe ich, mich in der Klinik nach dem Befinden der Frau Straub zu erkundigen. Es wird wahrscheinlich in der Spezialabteilung für Unfallchiurgie sein. Ich müßte die Nachtschwester erreichen. Schließlich ist es ja eine dienstliche Frage - eigentlich.
Die Verbindung gelingt nicht. Das Visiophon meldet sich mit der Mitteilung, daß der betreffende Netzknotenrechner nicht existiert. Da habe ich mich wohl verwählt. Ich versuche es ein zweites Mal. Dasselbe Ergebnis. Merkwürdig: Nicht die Nummer, sondern der Netzknotenrechner existiert nicht. Diese Meldung bekommt ein Benutzer der stadtinternen Visiophonanlage eigentlich nie zu sehen, da kein Netzknotenrechner auf die Idee kommt, eine Verbindung zu einem anderen, nichtexistierenden Netzknotenrechner aufzubauen. Ist das schon wieder so ein Software-Fehlverhalten?
Ich lasse mich auf den Kontrollsitz fallen. Als mir sonst gar nichts anderes einfällt, nehme ich wieder Verbindung mit der Leitwarte auf. Es vergeht eine Pause. Michelson erscheint und redet noch unkoordinierter als vorhin. Die Flasche im Hintergrund ist weg. Deutlich genug: der Junge säuft tatsächlich. Ich trage ihm auf, sich um den Verbleib und Befinden meiner ehemaligen Chefin zu kümmern. Er hat ja sonst offenbar nichts zu tun. Sonst unternehme ich zunächst nichts. Jugendlicher, trinkt aus Mangel an Abwechslung. Kein Problemtrinker, aber schwach ausgeprägtes Pflichtgefühl und Phantasie Null. Kein Problemfall, aber so einer gehört nicht in die Leitwarte.
Minuten vergehen. Michelson macht seine Arbeit entweder gründlich oder überhaupt nicht. Am liebsten würde ich mich jetzt hinlegen und schlafen. Im Prinzip dürfte ich das - wenn ich hier im Kontrollsitz einschlafe, dann bin ich ja immerhin noch sofort erreichbar und weckbar. Aber so müde wie ich bin würde ich alles mögliche überhören. Also sollte ich wachbleiben.
Könnte man noch jemand anrufen? So etwas macht man am frühen Morgen nicht. Ich wüßte auch nicht, wen. Besser wäre es, sich mit allen technischen Mittel, die die Stadt bietet, vertraut zu machen. Wo liegen zum Beispiel die Schwimmwesten? Gibt es überhaupt welche, und gibt es genug davon? Ich weiß es nicht. Wo findet man welche Materiallager? Ich weiß es nicht. Welchen personellen Einsatz braucht man, um ein Raumschiff bei gutem Wetter auf unseren Landestreifen landen zu lassen, und welche Einrichtungen müssen dazu funktionieren? Ich weiß es nicht. Wo sind die Antennen, mit denen wir Verbindung zu den Außenwelten aufnehmen, wo sind unsere Radarantennen, die wir doch zweifellos haben, wo sind die Antennen, mit denen wir Verbindung zu unseren eigenen Booten und Flugzeugen halten, wenn diese irgendwelche Touristen spazieren führen? Ich weiß es nicht. Was geht jetzt genau in Sektor C7 vor? Ich weiß es nicht.
Ich werde mir mit erschreckender Deutlichkeit bewußt, wie wenig ich über das komplexe Ineinanderspiel der Einrichtungen dieser Stadt weiß. Eine solche Einrichtung läßt sich eben nur, soweit die Belange der Stadt als ganzes betroffen sind, mit einer zentralen Entscheidungsinstanz führen. Und die ist zwangsläufig dumm. Wäre es notwendig, sich zentral um jede Kleinigkeit zu kümmern, dann wäre jede Führung restlos überfordert, und nichts würde funktionieren. Im zwanzigsten Jahrhundert wurde diese Form der kollektiven Dummheit in den sozialistischen Staaten vorgeführt, mit dem bekannten Ergebnis. Zentrale Planwirtschaft hat es seit über einem Jahrhundert nirgends mehr gegeben, oder jedenfalls nicht für sehr lange Zeit.
Aber das hilft mir wenig. Es gibt Dinge, die ich wissen müßte, um meine Arbeit gut zu machen, und die ich nicht weiß. Man steht hier, im Turm, oder unten in der Leitwarte, wartet auf einen Anruf, um einen Hebel umzulegen, den sonst im Moment niemand umlegen kann. Und wenn dieser Hebel nicht funktioniert, dann ist man genauso machtlos wie jeder andere in der Stadt. Offenbar bezog sich die ganze Ausbildung zum Stadttechniker nur auf die normal funktionierende Stadt. Notfallübungen waren nicht eingeplant. Hätte die Ausbildung verlängert und verteuert. Ich erinnere mich noch dumpf an eines der Argumente, mit denen uns diese mangelnde Vorbereitung auf große, umfassende Notfälle plausibel gemacht wurde: In einer so großen Stadt sind alle Katastrophen nur lokaler Natur. Große Teile der Stadt würden unbeschädigt und funktionsfähig bleiben. Evakuierungen lassen sich innerhalb der Stadt durchführen, ausfallende Einrichtungen lassen sich ersetzen, zum endgültigen Reparieren der Folgen eines Unglückes kann man sich Zeit lassen, um die Sache dann gut zu machen. Das hat sich damals doch ganz vernünftig angehört.
Ein rotes, diffuses, kurzes Aufleuchten, aus dem Norden. Das ist nicht der Mond. Das ist die Richtung zum Achterende der Stadt. Da liegt Sektor C7. Hatte ich eine Sinnestäuschung?
Nach einigen Sekunden spüre ich eine leichte Erschütterung im Boden. Der Turm zittert nach. Die Erschütterung muß in der ganzen Stadt zu spüren gewesen sein. Wenn es jetzt draußen etwas zu hören gibt, dann lassen die dicken Scheiben das Geräusch wohl kaum herein. Ist da jetzt etwas passiert? Alles bleibt ruhig, kommunikationsmäßig. Niemand hält es für nötig, mich aufzuklären. Wenn ich aber über diese Entfernung den Widerschein und die Erschütterung einer Explosion wahrgenommen habe, die ja offenbar auch die Oberfläche der Stadt durchstoßen hat, denn sonst hätte ich nichts gesehen, dann war es eine größere Angelegenheit. Da stehe ich nun hier und weiß nichts. Und doch heißt es, ich trage die Verantwortung. Die Ritterin von der traurigen Gestalt. Kommt nicht an die Windmühlen heran. Sieht sie nicht einmal.
Bis zum Zerreißen sind die Nerven gespannt. Diese nichtssagende Redewendung würde man in billigen Romanen benutzen. Aber so ist es, wenn man nicht eine exaktere Beschreibung, die der neuronalen Situation der Aufmerksamkeit gerechter wird, vorzieht: Die Steigerung der Aufmerksamkeit durch Anregung der neuronalen Regionen, die für die Interpretation der Sinnesreize verantwortlich sind, eine Vor-Anregung durch Impulse oder durch geeignete Neurotransmitter, so daß ein wesentlich geringerer Reiz wahrgenommen wird und auf keinen Fall Gefahr läuft, sich zwischen den Neuronen totzulaufen. Aber ich weiß auch, daß diese Art der gespannten Aufmerksamkeit empfindlicher für marginale Halluzinationen macht. Das spontane Feuern der Neuronen kann von Nachbarneuronen als Signal mißverstanden verden, und schon hat man eine Wahrnehmung, die keinem Vorgang in der äußeren Realität entspricht.
Ich warte auf die kleinste Erschütterung des Bodens, und auf weiteren Lichtschein aus dem Norden. Nichts. Ein paarmal glaube ich, etwas zu sehen. Ich nehme das Fernrohr zu Hilfe. Aber das Gesichtsfeld ist so dunkel, daß ich nachsehen muß, ob die Schutzklappen nicht noch auf den Objektivlinsen stecken.
Es kam aus der Richtung des Reaktors in C7. Eine Möglichkeit fällt mir ein: Die Elektrolyse von Seewasser, das mit spannungsführenden Teilen in Berührung gekommen ist. Dabei ist Knallgas oder Chlorknallgas entstanden. Wäre eine Möglichkeit. Aber warum informiert mich niemand? Kann ich denn sowenig tun, daß man das nicht für notwendig hält?
Ein nautischer Stadttechniker auf wenigstens einem der Türme der Stadt. Das ist die Minimalbesetzung unter Normalbedingungen. Und der hat schon wenig zu tun. Die Navigation geht automatisch, die gesamte Maschinerie der Stadt, all der nautische Kram. Nur, wenn dem Stadtrechner eine neue Route mitgeteilt werden muß, dann wird der nautische Stadttechniker tätig. Vielleicht nicht einmal dann. In der Leitwarte kann man die Kursumlegung auch machen, und der Stadtkommandant hat sogar die Möglichkeit, das in seinen eigenen vier Wänden zu tun.
Eigentlich ist der nautische Stadttechniker nur dazu da, seine Augen offenzuhalten, um ungewöhnliche Dinge zu bemerken, sei es die Navigation oder die Stadt selbst betreffend. Ähnliches macht die Leitwarte, und manchmal auch noch weitere Techniker in anderen Türmen - etwa bei komplizierten Manövern. Er oder sie weiß von allem etwas, aber nichts genau. Keine in die Tiefe gehende Ausbildung. Viele Fächer, viele Einzelprüfungen, stabile Persönlichkeit. Das sind die Anforderungen an einen nautischen oder nichtnautischen Stadttechniker. Mit den Vorausetzungen verbringt er oder sie die zwanzig Wochenstunden seines oder ihres Arbeitslebens im wesentlichen auf dem Kontrollturm, in dem geräumigen, wohlklimatisierten Kontrollraum. Das ist das Abenteuer, das man sich vielleicht einmal ganz anders vorgestellt hat, als man diesen Beruf ergriff.
Ja, und dann war da natürlich die Faszination Erde. Die richtige Erde, nicht die Nachbildungen in den Amüsierparks auf Mars und Ganymede und Titan und Charon. Die Erde, auf der sich tatsächlich die Geschichte abgespielt hat, die wir alle in der Schule lernen müssen, und die uns doch so weit hergeholt und abstrakt vorkommt, weil wir mit der Erde ja eigentlich nichts mehr zu tun haben. Politik und Kultur spielen sich heute auf den Außenwelten ab. Das, was auf der Erde passiert ist, steht fast gleichwertig mit Märchen und Legenden. Es ist so lange her, und es ist, als ob es in einer anderen Welt passiert ist. Die Eiszeit. Die amerikanische Völkerwanderung über die Beringstraße. Die Assyrer. Griechische Kultur und römisches Weltreich. Die Gegenpäbste und die französische Revolution. Die Sezessionskriege. Erster und zweiter Weltkrieg. Der irakisch-amerikanische Krieg, der der erste ökologische Krieg war. Das alles, und noch viel mehr, ist hier auf dieser Erde wirklich einmal geschehen!
Die Faszination Erde nimmt mit der Zeit stark ab. Ein bißchen bleibt immer - wo gibt es im Sonnensystem sonst schon Ozeane? - aber das ist es auch schon, was man als nautischer Stadttechniker von der Erde zu sehen bekommt: die Ozeane. Bei klarem Himmel und Flaute genauso wie bei den Stahlträger brechenden Taifunen. Die Ozeane sind Leben, sind Bewegung, die Wiege des Lebens überhaupt. Das macht, daß die Faszination bleibt. Das Wetter und die See, sie sind immer anders, haben jeden Tag ein neues Gesicht und sehen nie gleich aus, aber andererseits sind es auch immer nur das Wetter und die See. Ist das nun Eintönigkeit oder Abwechslung?
Aber dann sind die Elemente auch wieder so weit weg. Das macht die Größe der Stadt. Aus diesem Turm zum Beispiel ist nur in Richtung Steuerbord der Ozean aus der Nähe zu sehen - in allen anderen Richtungen geht der Blick über viele Quadratkilometer Wald. Man hört den Ozean nicht, man spürt nicht den Wind und schmeckt nicht das Salz in der Luft. Jedenfalls nicht im Dienst. In der Freizeit kann man sich ja im Freien aufhalten. Ich tue das oft. Jeden Tag laufe ich meine acht bis zehn Kilometer durch den Stadtwald, wenn möglich, in Sichtweite des Ozeans, und wenn möglich, durch kaum besuchte Waldgebiete. Es fehlt mir: Wegen des Wetters und wegen der besonderen Situation bin ich schon längere Zeit nicht mehr dazu gekommen.
Auch als Stadttechniker darf man, wie jeder andere Tourist, sich den Landexkursionen anschließen. Ein Flug in die Savanne, mit zwanzig Kilometer Fußmarsch, einen Gang durch die Ruinen von London, Washington, Paris oder Moskau, ein Besuch im tropischen Regenwald, eine Luftlandung im Himalaya oder in den Alpen. Viele weitere Punkte dürfen angesteuert werden. Geführt und beaufsichtigt. Damit sich niemand davonmacht, mit der Absicht, fortan ein Leben in der Wildnis der alten Erde zu leben. Solche Vorstellungen haben viele. Ich kann das verstehen. Ich habe diese Vorstellungen auch. Aber ich liebe auch den Luxus meines Apartments hier an Bord der Stadt. Da ist vielleicht mein Job noch der beste Kompromiß. Auch wenn das Meer aus dem Turm so fern und kraftlos scheint. Auch, wenn die Aufstiegschancen begrenzt sind. Mehr als Schichtleiter ist nicht drin. Naja, das bin ich jetzt ja. Aber auch ein Schichtleiter sieht die See im Dienst nur von weitem.
Wir sind gar nicht so richtig auf der Erde. Wir tun nur so. Mit all der Technik um uns herum können wir so tun, als gäbe es den Sturm und die aufgewühlte See da draußen gar nicht. Wir können die Erde ignorieren, wann immer wir wollen. Aber vielleicht ändert sich das nun zum ersten Male. Denn jetzt verrät die Technik uns. Wir werden es uns bald nicht mehr aussuchen können, ob und wie wir die Umwelt dieser Erde zur Kenntnis nehmen oder nicht.
Apropos Umwelt: In der meteorologischen Dienststelle könnte man sich mal erkundigen, wie sich das Wetter in der nächsten Zeit entwickeln wird. Vielleicht gibt es ja neue Erkenntnisse. Dringende Mitteilungen von denen gibt es sicher nicht, denn sonst hätten sie sich sicher außerhalb der Reihe gemeldet. Ich wähle die Nummer an.
Schon wieder die Meldung, daß der Netzknotenrechner nicht existiert. Merkwürdig. Weder die Unfallchirurgie noch die meteorologische Dienststelle lassen sich erreichen. Was hat das Krankenhaus mit der meteorologischen Station gemeinsam?
Ich schlage mich an den Kopf. Wie konnte ich das so lange übersehen? Beide sind im hinteren Teil der Stadt, von hier aus hinter Sektor C7! Da sind schon irgendwelche Kommunikationskabel zerstört! Vielleicht ist das auch der Grund, daß niemand von den Leuten, die um den Sektor C7 kämpfen, mich erreichen kann!
Was soll ich tun? Was wäre das Sinnvollste? Alternative Kommunikationswege? Was hätten wir denn da?
Funk. Die Funkverbindung zu den meteorologischen Aufklärungsflugzeugen oder zu den Flugzeugen für die touristischen Landeunternehmen. Das Gerät ist abgestellt, weil natürlich im Moment niemand draußen ist. Aber am Achterende der Stadt gibt es auch Kontrolltürme, und wenn von dort jemand versuchte, mit mir Kontakt aufzunehmen, weil im Moment andere Verbindungen ausgefallen sind, dann habe ich mich natürlich reichlich dämlich verhalten. Ich hätte das Gerät schon früher anstellen sollen.
Der Empfänger kämmt alle Kanäle durch. Er wird sofort auf dem Standard-Anrufskanal fündig:
"... tte melden. Leitwarte oder nautische Überwachung, bitte melden. Leitwarte oder nautische Überwachung, bitte melden. Michelson, Sparsky, Pemberton, Sanchez, hört ihr? Meldet euch doch! Leitwarte oder naut ..."
Ich ergreife das Mikrophon:
"Pemberton. Wer spricht? Was gibt's?"
Einen Moment Pause. Dann:
"Ja, das war aber ein hartes Stück Arbeit! Moment, ich sage dem Chef Bescheid."
Der Lautsprecher trieft vor Erleichterung. Ich hätte trotzdem ganz gerne gewußt, wer da gesprochen hat.
Einige Minuten lang passiert gar nichts. Dann meldet sich dieselbe Stimme wieder:
"Fräulein Pemberton?"
"Nein."
Wer spricht denn da?"
"Frau Pemberton. Nautischer Stadttechniker, Schichtleiter und diensthabender Schichtleiter."
Jetzt weiß er es ganz genau. "Und mit wem spreche ich?" will ich wissen.
"Chromsky."
"Mmh. Ist Cammaroto zu sprechen?"
"Schwer verletzt, bei der Explosion vorhin. Ist nicht mehr bei Bewußtsein. Und den Einsatzleiter kann ich nicht finden."
Also doch eine Explosion. Man soll seinen Sinnen gelegentlich trauen, auch wenn bei meinem Alter der Gedanke an eine Sinnestäuschung schon nicht mehr allzuweit hergeholt ist.
"Was ist passiert?"
"Genau wissen wir es nicht. Es müssen sich Gasansammlungen über dem Reaktor gebildet haben. Die sind plötzlich in die Luft geflogen und haben die Stadtoberfläche dort aufgerissen. Jetzt fließt das Wasser aus den Badeseen hinein. Wir können gar nichts mehr machen. Eine Abteilung nach der anderen bricht. In C6, B6 und D6 sind Wohnbereiche bedroht. Da versuchen wir gerade, die Leute aus ihren Apartments zu scheuchen, damit sie sich nach hinten retten. Wahrscheinlich ist es in den Abteilungen B7, D7, B8, C8 und D8 ganz genauso. Aber da gibt es keine Verbindung. Das müssen Sie machen!"
"Heißt das, daß die Zerstörungen schon auf neun Quadratkilometer übergegriffen haben?"
"Vielleicht. Es ist unübersichtlich. Da fließen immense Mengen von Wasser in C7 hinein, und es gibt Schäden und Lecks in allen angrenzenden Sektoren. Sogar A7 und E7 sind schon betroffen."
Großer Gott. Die Stadt in ihrer ganzen Breite. Das erste Mal kommt mir der Gedanke, daß die Stadt auseinanderbrechen könnte.
"Kommt man da überhaupt noch durch?"
"Stellenweise, ja. Es funktionieren sogar noch einzelne Tunnelbahnen. Aber es ist nicht möglich, den hinteren Teil der Stadt in den vorderen zu evakuieren."
"Ist wahrscheinlich auch nicht nötig," überlege ich laut, "wenn der ganze hintere Teil der Stadt unbewohnbar wird oder absäuft, dann dauert es bei dem vorderen auch nicht mehr lange. Die beiden Teile haben schließlich vergleichbare Größe. Es ist eine gute Idee, die Stadtbewohner dazu zu bringen, weiter nach hinten zu gehen. Ich schlage vor, Sie benutzen die Rundspruchanlagen. Die Leute sollen nicht erst lange packen. Naja, in der Nähe von C7 werden sie es schon gemerkt haben, was die Stunde geschlagen hat. Ich schätze, daß auf Ihrer Seite von C7 sich etwa 350000 Stadtbewohner aufhalten. Sie werden etwas zusammenrücken müssen."
"Machen Sie's vorne? Ich sagte, wir haben keine Verbindung zu irgendjemanden, der weiter vorne ist als in den Siebener Sektoren."
"Natürlich. Melde mich demnächst wieder. Pemberton Ende."
Darum also hat sich der Feuerschein der Explosion nicht wiederholt. Der Binnensee fließt allmählich in die Stadt hinein und hat alle Brände erstickt. Wenigstens wird die Auftriebsbilanz dadurch nicht verändert. Das allerdings dürfte kaum ein Trost für die sein, die jetzt ihre Wohnungen verlassen müssen.
Jedenfalls war meine Einschätzung von vorhin falsch: Schon sehr viele Stadtbewohner werden diese Nacht um ihren verdienten Schlaf gebracht. Bald werden es noch mehr sein.
Der Reihe nach. Wenn wir die ganze Stadt wecken müssen, dann werden viele Leute auch nach oben gehen, in den Stadtwald. Draußen ist es noch stockfinster. Das muß sich ändern. Wenigstens kann man für die Turmscheinwerfer den Stadtrechner umgehen. Ich sehe mir die zuständige Schalttafel an. Sie ist eigentlich ganz logisch aufgebaut. Es gibt einen Drehschalter für 'all external lights on, full power'. Wieviel 'full power' auch immer sein mag. Ich drehe den Schalter in die erste Einrastposition. Ein bisher nicht benutzter Bildschirm leuchtet auf. Mist. Ohne den Rechner läuft in dieser Stadt offenbar gar nichts.
Es gibt eine Rückfrage, verbunden mit der Warnung, daß ich dabei bin, an allen Kontrolltürmen Scheinwerfer mit einer Gesamtleistung von Achtzehntausend Megawatt einzuschalten. Das erscheint mir viel. Es reicht aus, die gesamte Fläche der Stadt mit mehr als zehn Prozent der Intensität zu beleuchten, die auch die Sonne aufbringen würde. Während meiner Ausbildung, erinnere ich mich, haben wir natürlich auch etwas über die Beleuchtung der Stadt gehört. Aber diese hohen Leistungen sind damals noch nicht installiert gewesen. Haben wir überhaupt soviel Reaktorleistung installiert?
Egal. Mit weniger als der vollen Leistung zu arbeiten hieße, sich genauer mit der Schalttafel beschäftigen zu müssen. Man kann schließlich jede Kombination von Scheinwerfern und Leistungen haben. Wahrscheinlich kann man sie auch über die übliche Bedienschnittstelle des Stadtrechners steuern, aber den möchte ich sowenig wie möglich behelligen. Aber wie auch immer, alles einzuschalten, was da ist, ist natürlich das einfachste.
Ich drehe den Schalter um, darauf hoffend, daß nicht eine neue Task den Rechner ganz stoppen wird. Der Schalter rastet vertrauenerweckend ein.
Draußen schweben plötzlich einige blaue Glühwürmchen im Nichts. Es werden immer mehr. Die Vorheizung der starken Gasentladungslampen, die unter den Kontrollräumen der einzelnen Türme befestigt sind. Unter meinen Füßen vibriert es. Da läuft offenbar ein großer Kühlungsventilator an.
Dann explodiert plötzlich eines dieser Glühwürmchen, Sekunden später ein zweites. Immer mehr Schwerter aus Licht durchschneiden die Nacht, so schnell und so grell, daß ich die Augen schließen muß. Wie durch ein Zauberwort erscheint der Wald, wo vor Sekunden noch genausogut die See hätte sein können. Mit dem und in dem grellen Licht macht die Stadt durchaus keinen kranken Eindruck.
Nächster Punkt: Wecken. Die Rundspruchanlage ist ähnlich leicht zu bedienen wie die Scheinwerferanlage. Mit blinzelnden Augen überfliege ich die Schalter, die die Auswahl einzelner Sektoren und Subsektoren ermöglichen. Alles nicht nötig - ich will alles haben. Und das ist auch nur ein einziger Schalter. Ich drehe ihn um, eine Warnleuchte legt die Vermutung nahe, daß alles funktioniert. Der Rechner scheint hier nicht mitzumischen - aber man weiß natürlich nicht, was sich hinter der Schalttafel abspielt.
Ich nehme das Handmikrophon. Einen Moment befällt mich ein albernes Lampenfieber. Ich habe bis jetzt nur vor einem Auditorium von höchstens hundert Menschen gesprochen, während der Ausbildung, und davor in der Schule. Jetzt hören entweder neunhunderttausend oder 1.25 Millionen zu, je nachdem ob die Schaltung in den hinteren Teil der Stadt noch funktioniert oder nicht. Und da ich die Lautstärkeregelung auf Anschlag drehe, stelle ich sicher, daß mich auch wirklich alle hören werden, selbst die, die in dieser Sekunde noch schlafen. Was werden sie fluchen!
Einen Moment lang lege ich das Mikro noch einmal aus der Hand und schreibe mir rasch einen Spickzettel mit der Liste der Dinge, die ich sagen muß, damit ich nichts vergesse.
Und wenn die Situation doch nicht so schlimm ist? Eine ganze Stadt voller zahlender Touristen scheucht man nicht zum Spaß aus den Betten. Blödsinn, sage ich mir: Neun oder mehr Sektoren schwer beschädigt. Das ist ernst. Du machst etwas falsch, wenn du jetzt nicht sprichst. Außerdem - eine Million Menschen zu wecken - wie oft hat man im Leben diese Gelegenheit? - Das überzeugt mich. Ich drücke die Sprechtaste:
"Achtung, Achtung, Ihre Aufmerksamkeit bitte ... Achtung, Achtung, Ihre Aufmerksamkeit bitte."
Jetzt ist es passiert, denke ich mir, jetzt kannst du nicht mehr zurück. Jetzt wollen ungefähr eine Million Menschen wissen, was los ist. Und wenn du jetzt einen Redeblock hast? Lähmendes Lampenfieber? Stage-fright? Ist egal, sie müssen dir zuhören:
"Achtung, Achtung, Ihre Aufmerksamkeit bitte. Es spricht die nautische Leitwarte, Schichtleiter im Dienst Pemperton.
"Wie Sie wissen, haben wir Probleme mit der Steuerung der Stadt. Sie sind in den letzten Tagen in den Medien ausführlich informiert worden.
"Die Situation hat sich leider verschärft, aber, und ich betone das ausdrücklich, es besteht im Moment keine Gefahr, daß die Stadt als Ganzes Schaden nimmt."
Ist das korrekt formuliert? Wenn die Stadt auseinanderbricht, aber die beiden Teile nicht versinken, leidet dann die Stadt als ganzes Schaden oder nicht? Bei einem Menschen oder einem anderen hochorganisierten Organismus, der in zwei unbeschädigte Teile zerbricht, würde man dazu neigen, die Frage mit 'ja' zu beantworten. Und die Stadt ist ein hochorganisierter Organismus.
"Das Problem besteht in den schweren Schäden, die in der Gegend des Sektors C7 aufgetreten sind. Beachten Sie bitte die Grundrißpläne der Stadt, die in allen Wohnungsdielen, Hotelfoyers und öffentlichen Plätzen angebracht sind.
"Sektor C7 ist verloren. Auch die Nachbarsektoren B7 und D7, B6, C6 und D6, und B8, C8 und E8 sind in Gefahr. Bedroht sind weiterhin A6, A7 und A8, und auf der anderen Seite E6, E7 und E8. Alle Bewohner der eben aufgezählten Sektoren müssen sich in die Nachbarsektoren begeben. Ich wiederhole: Alle Bewohner der Sektorgruppen 6, 7 und 8 müssen sich in die Nachbarsektoren begeben. Ich werde aufzählen, wer sich wohin begeben sollte. - Bitte genaue Aufmerksamkeit!"
Regel in panikträchtigen Situationen: Ganz klar formulieren. Als ob man einer zurückgebliebenen Schulklasse etwas erklärt. Niemand darf hilflos um sich sehen und fragen, 'was soll ich jetzt tun?', wenn meine Stimme durch die Räume fegt. 'Warum soll ich das tun?' darf man schon eher fragen - Hauptsache, es wird gemacht, was ich vorschlage.
"Die Bewohner der Sektoren mit der Nummer 6, also A6, B6, C6, D6 und E6 begeben sich in Richtung niedriger Sektornummern, also in Richtung zum Achterende der Stadt. Beachten Sie die Stadtpläne, die überall angeschlagen sind. Gehen Sie zu Fuß. Benutzen Sie nicht die Tunnelbahnen. - Wiederhole: benutzen Sie unter keinen Umständen die Tunnelbahnen!"
Dieser Teil der Ansage ist vielleicht unnötig, weil die Menschen in den hinteren Sektoren mich nicht hören. Aber es besteht ja auch immer die Gefahr, daß jemand unter den Zuhörern mitdenkt, während er mich hört, und dann völlig obskure Schlüsse zieht.
"Die Bewohner der Sektoren mit der Nummer 8, also A8, B8, C8, D8 und E8 begeben sich in Richtung höherer Sektornummern, also in Richtung zum Vorderende der Stadt. Beachten auch Sie die Stadtpläne, die überall angeschlagen sind. Gehen Sie zu Fuß. Benutzen Sie auch keine Verkehrsmittel, insbesondere auch nicht die Tunnelbahnen - Wiederhole: benutzen Sie unter keinen Umständen die Tunnelbahnen!.
"Bewohner der Sektoren A7, B7, C7, D7 und E7 folgen einer der beiden erwähnten Gruppen. Für diese zuletzt genannte Gruppe der Sektoren mit der Nummer 7 gilt ganz besonders: Beeilen sie sich.
"Achtung, Achtung, es spricht die Leitwarte, Pemberton. Es ist ein Notfall. An die Adresse aller Hotelbetriebe: Bis auf weiteres stellen Sie alle Räumlichkeiten, die Sie noch haben, ohne Verrechnung zur Verfügung.
"Bewahren Sie Ruhe. Eine unmittelbare Gefahr für die ganze Stadt besteht nicht. Nehmen Sie nur das Notwendigste mit. Für rein materielle Schäden werden Sie entschädigt. Rufen Sie bitte nicht in der Leitwarte an. Sie werden auf dem Laufenden gehalten. Pemberton Ende."
Ich lege das Mikrophon aus der Hand. Jetzt werden bald die Rückfragen kommen, trotz meiner gegenteiligen Bitte. Darunter auch die von Leuten, die nicht genau zugehört haben und denen man alles noch einmal erklären muß. Irgendwann später werde ich mir auch vom Direktorium die Frage gefallen lassen müssen, wieso ich dazu komme, einfach so Entschädigungen in Aussicht zu stellen. Das kostet die Betreibergesellschaft viele zusätzliche Milliarden.
Aber ich werde ihnen und der Öffentlichkeit die Sachlage schon erklären: Wieviele Leute mag es geben, die zögern, sich in Sicherheit zu bringen, weil sie irgendeinen wertvollen Krempel mitnehmen wollen. Da muß man explizit klarmachen, daß Geld letztlich kein Thema ist, wenn man die Sache nur überlebt. Und wenn sie mich auf Schadenersatz verklagen, na und? Bei meinem Einkommen müßte ich für die zu erwartenden Forderungen Jahrtausende arbeiten. Das ist natürlich ein Freibrief, mit der beruflichen Karriere ganz aufzuhören. Ich werde nicht den Rest meines Lebens schuften, um einen Schuldenberg dann doch nicht abzutragen, der etwa dadurch entstanden ist, daß ich eine Entscheidung gefällt habe, die in der und an der Stadt von Hundert Milliarden Verrechnungseinheiten von Sachwerten vielleicht nur Achtundneunzig Milliarden gerettet hat. Für sowas zur Verantwortung gezogen zu werden, kann bei unserer Rechtsprechung doch immer wieder vorkommen.
Draußen haben die Scheinwerfer ihre volle Helligkeit erreicht. Es regnet nicht mehr, aber die Wolkendecke, die deutlich vom Widerschein der Stadt angestrahlt wird, ist noch geschlossen. Ein merkwürdiges Bild. Ein bißchen sieht die Stadt wie eine riesige Halle aus, mit verschiedenen Scheinwerfermasten darinnen. Irgendwie Fabrikhallenatmosphäre. Dann sehe ich auch, daß einige der Seen deutliche Uferstreifen zeigen: Der Wasserspiegel sinkt. Dort, wo der Sektor C7 liegt, kann man nichts außergewöhnliches erkennen.
Das Visiophon meldet sich, wie zu erwarten. Es ist Paul, Gottseidank. Er liegt im Bett und sieht müde aus.
"Kann ich helfen? Ich meine, da war gerade so eine laute Stimme. Wie das jüngste Gericht. Ich bin sowieso wieder wach."
"Nein. Du kannst noch nichts tun. Aber ich fürchte, es kommt noch schlimmer. Verträgst du dienstliche Informationen?"
"Du wirst es mir sowieso erzählen."
"Genau. Die Stadt könnte auseinanderbrechen."
"Bei C7?"
"Ja."
"Ich dachte daran."
"Du dachtest daran?"
"Ja. Aber nicht daran, daß es so schnell kommen könnte."
"Es hat eine Explosion in C7 gegeben."
"Oh."
"Eine kleine Explosion. Aber es sind Kommunikationsleitungen betroffen. In den hinteren Teil der Stadt sind keine Visiophoverbindungen mehr möglich. Weißt du, ob da andere Datenleitungen betroffen sein könnten?"
"Betroffen sein könnten - Konjunktiv - ja. Ob sie betroffen sind, weiß ich nicht. Aber ich kann es herausfinden." Er setzt sich auf.
"Aber du mußt jetzt nicht ..."
"Natürlich muß ich. 2000 km bis Jütland, nicht wahr? Schlimmstenfalls kann ich die ganze Zeit wachbleiben. Mein eigenes Leben hängt ja schließlich auch davon ab. - Außerdem sind da diese lauten Durchsagen, da kann ja kein Mensch bei einschlafen."
"Kein tätiger Altruismus?"
"Nur für die Presse. Ich melde mich wieder." Und das Visiophon verblaßt. "Es sind nur noch 1900 Kilometer!" rufe ich in Richtung Visiophon, aber um Sekunden zu spät.
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